Kürzlich in Bonn: Ecke Hausdorffstraße / August-Bier-Straße

„Was wissen wir vom Vergangenen? Grosse Menschen und Ereignisse müssen uns „sitzen“ oder wenigstens Minuten lang, Secunden lang stillehalten, bis sie sich abgezeichnet, eine „Wirkung“ gehabt haben: Sie werden gemalt oder photografirt, in beiden Fällen als Kunst, Phantasie, Fälschung überliefert.“

 

Paul Mongré

 

Wandelnd auf der Lebensader von Kessenich, der Hausdorffstraße, kommt man unversehens an der August-Bier-Straße vorbei. Erst, wenn man den Ort länger wahrnimmt, fällt die feinsinnige Dialektik auf, mit der die Bonner Stadtväter die Namensgebung der Straßen betrieben hatten. Kreuzt doch die August-Bier-Straße in direkter Nähe des ehemaligen Wohnsitzes von Felix Hausdorff in der Hausdorffstraße Nr. 61 die nach diesem benannte Straße. Dies muss vertiefte Absicht gewesen sein, dann bis 1978 hieß die August-Bier-Straße noch Gneisenaustraße. August Wilhelm Antonius Graf Neidhardt von Gneisenau starb bereits 1831, somit war zumindest ein personeller Zusammenhang von Hausdorff mit ihm nicht herzustellen und die Straßenbenennung unauffällig. Zu bemerken ist hier noch, dass die Hausdorffstraße direkt nach dem Krieg durch den Bonner Stadtrat  am 5. August 1949 benannt wurde. Als Felix Hausdorff 1921 das zweite Mal nach Bonn kam, hieß die Straße bereits Hindenburgstraße / Junkerstraße. Eine Verbindung zwischen Gneisenau und Hindenburg herzustellen, fällt nicht schwer. Nach der Umbenennung von Hindenburg- in Hausdorffstraße war wohl der Nicht-Zusammenhang beider sich kreuzender Straßen im Namen nicht zufrieden stellend, so dass in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts eine Lösung gefunden werden musste.

 

Wir erinnern uns: Felix Hausdorff, geboren 1868 in Breslau, starb am 26. Januar 1942 durch Selbstmord gemeinsam mit seiner Frau, um der Deportation in nationalsozialistische Vernichtungslager zu entgehen. Der berühmte Mathematiker und Professor der Bonner Universität hatte bis dahin in Bonn geforscht, und ließ sich auch durch die Emeritierung am 31. März 1935 hiervon nicht abhalten. Seit ersten Störungen seiner Vorlesungen 1934 wurde die Situation immer unerträglicher, sogar Bücher aus der Bibliothek musste er von anderen besorgen lassen. 1939 scheiterte der Versuch, durch eine Forschungsstelle in den USA ausreisen zu können. Ab 1941 wurden Bonner Juden in das ehemalige Kloster „Zur ewigen Anbetung“ in Bonn-Endenich umgesiedelt, von wo aus die Vernichtungslager im Osten angefahren wurden. Die Hausdorffs erhielten die Übersiedlungsanordnung im Januar 1942. Es ist sicher, dass Hausdorff der Zweck des Endenicher Lagers zumindest dem Grunde nach bekannt war. Der Freitod war die gewählte Konsequenz.

 

Welcher Bonner oder Wahlbonner kam nun als „Straßenpartner“ von Felix Hausdorff in Betracht? Was lag näher als einen Bonner Professor, der etwa in der gleichen Zeit lebte, zu wählen? Die Wahl des Bonner Hauptausschusses am 22. Oktober 1974 fiel auf August Bier. Zunächst einmal drängen sich Parallelen auf. August Bier wurde 1861 in Helsen, Waldeck geboren und starb 1949 in Sauen. Er wurde etwas älter als Hausdorff, weil er eines natürlichen Todes sterben durfte, lebte aber im Prinzip zur gleichen Zeit. Seine Meriten verdiente er als Chirurg (Lokalanästhesie, Stahlhelm, Homöopathie, alternative Methoden) und Förster. In Bonn war er von 1903 bis 1906 als Professor der Bonner Universität tätig, also zeitlich vor Hausdorff. Er wohnte in der Coblenzer Straße 93, jetzt Adenauerallee. Das Gebäude ist nicht mehr vorhanden, es lag am Standort des ehemaligen Außenministeriums.

 

Eine weitere Parallele ist die Emeritierung beider Professoren zu einer ähnlichen Zeit, Bier wurde am 31.März 1932 emeritiert. Der Grund war jedoch ein anderer. Bier wurde letztlich Opfer der Karrierebestrebungen seines Konkurrenten Ferdinand Sauerbruch an der Charité in Berlin, dem die chirurgische Klinik von Bier ein Dorn im Auge war. Er erreichte, dass diese geschlossen wurde. Auch hier erinnert man sich, dass Sauerbruch nach dem Münchner Hitlerputsch vom 8./9. November 1923 Adolf Hitler behandelt hatte. Die Umstände seiner Emeritierung hielten Bier jedoch nicht davon ab, danach Hitler zu unterstützen. Kurz nach seinem Rauswurf in Berlin unterschrieb er einen Aufruf zugunsten der NSDAP. Die Unterstützung brachte ihm 1937, also zwei Jahre nach Hausdorffs Emeritierung, den „deutschen Nobelpreis“, den Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft, übrigens gemeinsam mit Sauerbruch, ein. Im zweiten Weltkrieg benannte Adolf Hitler am 18. August 1942 Bier zum Mitglied des wissenschaftlichen Senats des Heeressanitätswesens. Da war Hausdorff schon ein halbes Jahr tot und mit ihm sehr viele Menschen in den Vernichtungslagern und an anderen Orten.

 

Was lernt nun der wissbegierige Bürger an der Straßenkreuzung Hausdorffstraße/ August-Bier-Straße? Wir wissen: Beide haben erhebliche Verdienste in ihren Fachgebieten. Wir erfahren: Der deutsche Wissenschaftsbetrieb hat sowohl nationalsozialistische Umtriebe mit gestaltet (Umgang mit Hausdorff) als auch persönliche Karrierebestrebungen einzelner mit unterstützt (Umgang mit Bier). Direkt nach dem Krieg war es dem Bonner Stadtrat wohl ein Anliegen, hier ein Signal zu setzen, dass nun neue Wege zum Andenken an die Opfer gegangen werden. Immerhin war nach dem Beschluss 1949 die Hausdorffstraße die längste und bedeutendste nach einem Wissenschaftler benannte Straße in Bonn. Diese Auszeichnung wurde durch den Hauptausschuss 1974 wieder rückgängig gemacht, da nun Robert Koch durch die damals beschlossene Verlängerung der nach ihm benannten Straße der „längste“ Wissenschaftler bei den Bonner Straßen ist. Wir lernen schließlich, dass auch die Unterstützung des nationalsozialistischen Umtriebs bis in den Krieg hinein für die Ehre und das positive Andenken in der Nachkriegszeit kein Hindernis ist. Schließlich ruft die räumliche Zusammenführung zur dauerhaften Auseinandersetzen mit den gesellschaftlichen Funktionsweisen auf, die zu beiden hier vorgefundenen Ausformungen menschlichen Verhaltens führen kann.

 

Man verlässt den Ort geläutert und erhaben.

 

Epilog: Die Ratssitzung vom 5.8.1949, bei der unter Punkt 10 mehrere Straßenbenennungen behandelt wurden, hat mitnichten eine intensive Diskussion zur Benennung der Hausdorffstraße beinhaltet. Im Protokoll wird trocken dokumentiert: „ Der Straßenbenennungsausschuß hat am 21.6.1949 die folgenden Beschlüsse gefasst: (… ) 2. Es sollen umbenannt werden (…) Die Hindenburgstraße in Hausdorffstraße, ( ... ) Beschluss einstimmig, keine weiteren Erläuterungen. Interessant dagegen ist die Sitzung des Straßenbenennungsausschusses vom 21.6.1949. Dort befasst man sich ausgiebig mit der Umbenennung mehrere Straßen unter TOP1: ( … ) „Hindenburgstrasse: Laut Erlass des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 3.9.1947 ist die Beibehaltung der Straßen-, Platz- und Schulbezeichnungen auf den Namen Hindenburg mit Nr. V der Anweisung des Kontrollrates vom 13.5.1946 nicht zu vereinbaren. Am 17.9.1947 hat die SPD-Fraktion der Stadtvertretung gebeten, zu der Strassenumbenennung Stellung zu nehmen und einen entsprechenden Beschluss zu fassen. (Kommentar: bis hierhin auch Protokoll der Sitzung vom 17.5.1949). Prof. Dr. Steinbach erklärt, sich gegen die Umbenennung der Hindenburgstrasse, wenn diese nicht zwingend vorgeschrieben sei (hier sei die Fußnote erlaubt: Prof. Dr. Steinbach war bis 1960 an der Universität Bonn zunächst Lehrstuhlinhaber für Rheinische Geschichte und allgemeine Wirtschaftsgeschichte, anschließend für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Vorher war er unter anderem Mitherausgeber der NS-Zeitschrift „Rasse und Volk“). Der Vorsitzer verliest den Erlass vom 3.9.1947. Herr Fassbender schlägt vor, die Strasse in „Brüningstrasse“ umzubenennen. Der Vorsitzer schlägt vor, die Strasse nach Prof. Dr. Hausdorff zu benennen, der in dem Hause Hindenburgstraße 61 von 1921 – 1942 gewohnt habe und unter dem Druck der nationalsozialistischen Machthaber freiwillig aus dem Leben geschieden sei.  Beschlussvorschlag: Die Hindenburgstrasse soll die Bezeichnung Hausdorff-Straße erhalten.“ Die Stadt Bonn hat also nur auf äußeren Druck hin die Umbenennung betrieben und ist vermutlich nur durch ihren ehemaligen Oberstadtdirektor Dr. Langendörfer und seine Verwaltung zu der verdienstvollen Straßenbenennung gekommen. Daran, dass damit das Privileg der längsten, in Bonn nach einem Wissenschaftler benannten Straße verbunden war, erinnern zumindest die Sitzungsprotokolle nicht mehr.

 

Dem Hauptausschussbeschluss zur Benennung der August-Bier-Straße lag folgender Beschlusstext zugrunde: Derzeitige Straßenbenennung: „Gneisenaustraße (GO), Benennungsvorschlag: August-Bier-Str., Bemerkungen: August Bier: geb. 24.11.1861 in Helsen/Waldeck, verstorb. 17.3.49, Prof. in Bonn von 1903 bis 1906; einer der führenden Vertreter der Chirurgie seiner Zeit (Vorschlag Dr. Hörold).“ Der verdienstvolle ehemalige Leiter des Stadtarchivs von Bonn, Prof. Dr. Hörold  hat wohl im Sinn gehabt, die Professoren der Bonner Universität zu benennen, stammt doch mit der Aloys-Schultestraße ein weiterer professoraler Vorschlag der gleichen Beschlussliste von Ihm. Gleichzeitig wurden weitere Bonner Professoren wie Oskar Walzel, Hans Iwand und Wilhelm Levison durch Straßenbenennung geehrt. Ein Hinweis auf eine Auseinandersetzung des Hauptausschusses mit den persönlichen Vergangenheiten der benannten Personen, insbesondere von August Bier, findet sich im Sitzungsprotokoll nicht. Die Frage nach dem Verhalten im so genannten „Dritten Reich“ war jedoch den Ausschussmitgliedern wohl bewusst, findet sich doch im gleichen Sitzungsdokument zur Umbenennung der Schillerstraße in Johannes-Henry-Straße: (…) Er hat sich in der NS-Zeit untadelig verhalten (… )“.

 

 

 

Quellen:

 

Adressbuch Bonn 1904

 

 

 

Hess, Volker: Es hat natürlich nur alles einen Sinn, wenn man sich der Resonanz des Ministeriums sicher ist. Die medizinische Fakultät im Zeichen der Führeruniversität, in: Die Berliner Universität in der NS-Zeit, Band 1; herausgegeben von Rüdiger Vom Bruch, Christoph Jahr, Rebecca Schaarschmidt, 2005 Franz Steiner Verlag Wiesbaden

 

Meyer, Bernhard: Der letzte Große aus der Ziegelstraße, Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de

 

Mongré, Paul (d.i. Felix Hausdorff): Sant' Ilario: Gedanken aus der Landschaft Zarathustras, C. G. Naumann, Leipzig 1897 (zitierte Textstelle: Nr. 9, S. 10)

 

Protokolle Sitzungen Stadtrat 5.8.1949, Straßenbenennungsausschuss 17.5. und 21.6.1949, Hauptausschuss 22.10.1974, Stadtarchiv Bonn

 

Straßenauskunft http://stadtplan.bonn.de/strassen_auskunft.php?strasse=1275&query_id=188582

 

Waldeckische Landeszeitung, 25.11.2011, http://www.wlz-fz.de/Lokales/Waldeck/Korbacher-Zeitung/Mensch-mit-Licht-und-Schattenseiten

 

Applied Technology nun auch in Deutschland

12.7.2019

Nun ist die angewandte Technologie auch endlich in Deutschland angekommen. Komplexe Drahtflechtwerke können jetzt endlich - wenn auch noch in einfacher Weise - abgestützt werden. Nach langer Forschung wurde ermittelt, dass natürlich gewachsenes Holzmaterial gut Druckkräfte aufnehmen kann.  Eine spezialisierte Firma liefert seitdem das seltene Material auf die Baustellen des führenden Schienenverkehrsbetreibers in der Bundesrepublik Deutschland. Die Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland Eigentümer dieser Firma ist, hat sicherlich dazu beigetragen, dass diese Neuerung schnell in der Praxis betrieben werden kann. Da sind wir sehr dankbar auf die fördernde Aktivität des zuständigen Ministeriums für Verkehr und Digitale Infrastruktur, das sich sonst nicht so an dem Funktionieren dieses Unternehmens interessiert zeigt, insbesondere was das Spitzenpersonal angeht... Wir hoffen noch auf weitere Forschung hinsichtlich der Gestalt und Form des Stützmaterials.

Foto: Drahtkorb für Betonbauteil auf einer Bahnbaustelle in Nordrhein-Westfalen mit innovativer Abstütz- und Lagertechnik....