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Rheinreise Ein Reisetagebuch 3.8. bis 12.8.2018

Rheinreise Ein Reisetagebuch 3.8. bis 13.8.

 

 

Vorab

 

Der Rhein. Ich habe mir schon lange vorgenommen, den Rhein von der Quelle bis zur Mündung zu bereisen, in jedem Abschnitt mit einem geeigneten Verkehrsmittel. Die Reise hat bisher das Argument verhindert, dass man das doch machen könne, wenn man viel Zeit hat. Doch ehe man es sich versieht, ist die Zeit, die man hat, um. Die Erkenntnis wächst naturgemäß mit steigendem Alter, stellt man dann auch irgendwann fest, dass die körperlichen Kräfte nicht mehr zunehmen. Immerhin muss für den Besuch der Rheinquelle, den Tomasee, eine Höhe von 2.350 m erreicht werden, und das zu Fuß. Richtig ernst wurde es, als ich Anfang diesen Jahres den Ratschlag gab, ich glaube, es war gegenüber Corinna, Dinge, die man machen möchte, nicht aufzuschieben. Schon hatte ich mich an der eigenen Nase erwischt. Es blieb in der Konsequenz nichts anderes übrig, als diese Reise jetzt anzugehen. Das passte auch gut in das große Jubeljahr 2018 hinein und so würde ich die Reise vor meinem 60. Geburtstag noch machen können. Doch berufliche Termine verhindern, dass die Reise an einem Stück gemacht werden kann. So wird sie zweigeteilt, Teil I ist der hier berichtete Abschnitt Quelle-Basel. Teil II kommt dann, sofern es mir möglich ist, im nächsten Jahr.

 

Was treibt einen zu einer solchen Reise? Zunächst ist der Rhein ein zentrales Abflussgewässer in Mitteleuropa, das Teile der Alpen, den Schwarzwald, die Vogesen und große Teile Deutschlands entwässert, aber auch Teile der Schweiz, Frankreichs, der Niederlande. Also ein ganz normaler Fluss wie andere auch. Auch die Entwicklung, klein an der Quelle und dann immer breiter werdend bis zur Mündung ist normal und auf der ganzen Welt so. Das Smetana-Stück „Die Moldau“ kann auf jeden Fluss angewendet werden, man muss nur die Tänze variieren.

 

Ist es dann doch die Suche nach der „Seele“ des Rheins? Dem nachzujagen, wäre vergeblich, weil uns die Wissenschaft glaubhaft darstellt, dass eine Seele in keinem Wesen existiert, also auch alle seelenbezogenen Hypothesen zum Scheitern verursacht sind. Letztlich sind es doch die Geschichten. Geschichten haben den Vorteil, ihre Attraktivität nicht von der Frage des Realitätsbezugs abhängig machen zu müssen. Es gibt realitätsbezogene und fiktive Geschichten, die mit dem Rhein verknüpft sind, auch hier voraussichtlich wie bei anderen Flüssen. Die berühmte Rheinromantik, die sich aus einer Ritter-Romantik des 19. Jh. ableitet, ist schon etwas besonderes, bezieht sich aber komischerweise nur auf den Mittelrhein. Kern und Ausgangspunkt ist möglicherweise die Loreley-Ballade von Clemens von Brentano.

 

Neben den Geschichten sind die Bilder das Prägende des Rheins. So hat hier sicher jeder ein Bild im Kopf, wenn das Wort Rhein fällt. Das mögen Landschaften, Personen, Städte oder sogar der Rhein selbst sein. Mich hat insbesondere das große Wandgemälde von HAP Grieshaber im Bonner Theater geprägt, das mir schon früh unheimlich, aber auch anziehend vorkam. Ich kenne es sicher länger als die meisten Rheingeschichten, mit denen ich mich erst später befasst habe.

 

Andererseits ist der Rhein als Grenzfluss mit umfassender Siedlungstätigkeit verbunden und auch schon vorher wegen seiner verkehrlichen, strategischen und Fischgrundtechnischen Eigenschaften Grund für frühe Siedlungsplätze. Der Wissensschatz über den Rhein ist erheblich, meine Absicht ist es nicht, diesen, auch nur in Teilen, darzulegen. Die Literatur ist jedem interessierten Menschen zugänglich. Zudem gibt es ebenfalls eine unzählige Menge von Büchern, in denen wohlmeinende, belesene oder auch nur unterhaltende Menschen den Rhein in seinem Wesen, seiner Geschichte, seiner technischen Entwicklung etc. darlegen. Dem will ich weder etwas entnehmen noch etwas  hinzufügen. Als Raumplaner und Stadtplaner interessiert mich die Veränderung der Landschaft, sowohl naturräumlich, als auch kulturgeografisch. Auch hier werden nur Streiflichter aufblinken, für fachlich tiefgründige Untersuchungen sei auf die entsprechende Literatur verwiesen.

 

In dieser Reisebeschreibung schreibe ich auf, was mir angesichts der Reise in den Sinn kommt, was ich sehe oder zu welchen Themen irgendein Ereignis oder ein Gegenstand, oder auch ein geführtes Gespräch anregen. Natürlich sind auch familiäre Aspekte unvermeidbar, haben doch meine Oma und Opa mütterlicherseits lange in Konstanz gewohnt und mein Vater in Waldshut Abitur gemacht. Und schließlich habe ich von 1967 bis 1978 und von 1985 bis 1989 in Bonn direkt am Rhein gelebt, und von 1971 bis 1978 als Mitglied des Godesberger Kanu-Clubs auch viel Zeit auf dem Rhein verbracht, teilweise zwei-dreimal in der Woche. Hier bin ich auch „rheingetauft“, so dass in mir sicher einige Moleküle Rhein von damals verbaut sind. Dann bin ich auch mit einem „rheinischen Mädcher“ aus Bonn seit 1978 zusammen.

 

Ich wähle für diesen Teil des Rheins eine Gruppe von Verkehrsmitteln, die vor allem langsame Fortbewegung in den Bergen und entlang des Baches / Flusses ermöglicht: Zunächst Anreise mit der Bahn bis Oberalppass, dann zu Fuß bis Ilanz, von Ilanz bis Reichenau mit dem Schlauchboot, von Reichenau bis Chur mit der Bahn, von Chur bis Bregenz mit dem Fahrrad, von Bregenz bis Konstanz mit dem Schiff, in Konstanz mit dem Fahrrad und Bus, von Konstanz bis Stein am Rhein mit dem Schiff, von Stein am Rhein bis Basel mit dem Fahrrad und dann noch einmal von Kaiseraugst bis Basel mit dem Schiff. Alles weitere dann Mit Bus und Bahn.

 

In den Bildern kommt natürlich der Rhein zur Geltung. Alle Fotos des Rheins habe ich auf der Tour mit der gleichen Brennweite aufgenommen, sie werden alle im gleichen Maßstab gezeigt. So kann man den Breitenzuwachs gut vergleichen. Da auf dem Alpenrhein keine zuverlässige Kilometrierung hilft, gebe ich die jeweiligen Koordinaten an. Andere Bilder, die zur Erläuterung helfen, sind in beliebigen Größen eingefügt.

 

 

Rheinreise 3.8.2018

Es geht gut los. Friedliche Autofahrt von Kohlscheid nach Bonn. Schöner Abschied am Bonner Hauptbahnhof nach einer Tasse Milchkaffee. Dann der Zug… es ist nicht der erwartete IC 7, sondern ein Ersatzzug, wie üblich bei der Bahn, im Komfort darunter angesiedelt. Wagen aus der IR-Klasse, natürlich ist die Reservierung nicht gültig. Man hat auch keine Lust, ins Bistro zu gehen, es kommt auch kein Schaffner durch, den man fragen könnte… Selbstverständlich ist auch die Toilette schon auf Höhe Worms nicht mehr in gebrauchsfähigem Zustand, zumindest nicht für Frauen. Ansonsten bis Freiburg schöne Gesellschaft mit Großfamilie, die dort eine Hochzeit feiert, auf der Burg Kenzingen…

 

Erfahrungen mit der Technik: Der Minutenrythmus der GoPro zwingt den Aku nach ca. 1,5 h in die Knie. Habe aber entdeckt, dass auch längere Fotoabstände möglich sind. Mache später noch einmal ein Experiment, wenn ich in den schweizer Bergen bin.

 

Und natürlich hat der Zug in Freiburg schon 10 min Verspätung. Ob ich in Olten den Umstieg schaffe?  Überraschung in Basel SBB: Unser Ersatzzug endet dort. Wir müssen in einen anderen Zug einsteigen. Noch größere Überraschung: Die SBB ist zu spät. Die Vorstellung von der Schweiz als Land der Pünktlichkeit und Sauberkeit bekommt einen kleinen Kratzer. Ganze 15 min später als geplant fährt der Zug ab. Auf jeden Fall ist es ein EC 7 und sogar meine Wagennummer finde ich wieder, allerdings ist mein Platz nicht reserviert. Aber egal, es sind nicht so viele Fahrgäste im Zug. Wegen der Verspätung in Basel komme ich in Olten natürlich zu spät an und die Verbindung ist weg. Noch eine Überraschung: Es gibt keinen Automaten, der Verbindungen ausgibt, nur Fahrkartenautomaten. Ein Punkt für die DB. Also auch hier: Schlange stehen am Schalter, damit der freundliche Beamte eine neue Verbindung ausgibt. Im Bioladen am Bahnhof ein belegtes Brötchen und einen Bio-Tee, Geschmacksrichtung „Hanf“ gekauft. Kann man machen…

 

Ab Olten fährt der Zug durch den Schweizer Jura, so langsam werden die Berge höher. Wir kommen an einigen Seen vorbei und halten in Luzern. Inzwischen habe ich der GoPro einen 2-min-Takt entlockt, der die Batterie hoffentlich nicht so in Anspruch nimmt. Nächster Umsteigeort ist Arth-Goldau, vorher nie gehört, ein Ort hinter dem Luzerner See. Jetzt sind schon die ersten höheren Berge zu sehen. Das Tal wird enger, wir fahren durch Schwyz und Flüelen, wo ich schon bei meiner legendären Alpenüberquerung mit dem Rucksack durchgekommen bin, allerdings mit 17 kg Rucksackgepäck. Kurz vor Erstfeld fängt es an zu regnen. Daher in Erstfeld zügiger Umstieg auf den RE nach Bellinzona. Jetzt geht es das Reusstal hinauf, mehr oder weniger parallel zur Autobahn, die bekannte Strecke. Man sieht vom Zug aus aber die Reuss besser. Umstieg in Göschenen, genau 2 min. Zeit, funktioniert aber. Rein in den Zug und los gehts. Der Zug ist eine Zahnradbahn. Ich glaube, ich bin noch nie Zahnradbahn gefahren. Es ruckelt und knarrt, die Bahn ist bestimmt über 100 Jahre alt, spannende Strecke mit Viadukten, Tunneln, Gallerien etc., fast kein freies Stück. 10 min. Fahrt und dann sind wir oben. In Andermatt viele Baustellen im Bahnhofsbereich, man rüstet auf. Lese später im Hotel, dass der Unternehmer Samih Sawiris mehrere große Appartementhäuser und ein Hotel gebaut hat, um „gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung neue Wege zu gehen und mit Andermatt Swiss Alps eine Tourismusdestination zu schaffen“(Prospektsprache). Habe die Dinger beim Durchgehen nicht gesehen. Allerdings später zwischen Ortskern und Bahnhof. Riesige Gebäudekörper mit Wohnungen und ein Hotel. Gestaltung modern mit einer Holz-Vorsatzfassade, die das dahinter liegende verdeckt. Man könnte sagen arabische Blendarchitektur im schweizer Stil. Angelockt werden sollen wohl zahlungskräftige Bewohner, für die eigens das Kaufverbot für Ausländer gelockert wurde. Wenn die alle mal da sind, ist der Ort sicher nicht wieder zu erkennen. Also für die Zukunft muss man Andermatt wohl als Destination streichen. Der Ortskern ist bisher noch wie gehabt.

 

Beim Laufen komme ich an der Dorfkiche vorbei. Auf dem Friedhof, genau gegenüber dem Kirchtor, ist ein großer Grabstein einer Familie Camenzind. Den Namen kann man eigentlich nicht erfinden, so kommt mir Peter Camenzind von Hermann Hesse in den Sinn. Zumindest die Charakterisierung von Peter Camenzind als Bauernsohn mit Liebe zur Natur kann man sich sehr gut in der Umgebung von Andermatt vorstellen. Das Buch von Hesse ist von 1904, das passt in die Lebenszeit der hier begrabenen Albert und Elisabeth Camenzind. Welch Zufall, Hesse wohnte damals in Basel und machte Italienreisen, sicher auch über Andermatt…

 

Mein Zimmer hat Blick auf die Berge und die Seilbahn-Talstation der Gemsstockbahn. Ist aber schon abgestellt, vielleicht fahre ich morgen damit, wollte aber eine andere nehmen. Das Hotel ist wohl hauptsächlich auf Skigäste ausgerichtet und hat eine gemütliche rustikale Gaststätte, wo der Jodlerwirt sein Unwesen treibt, aber davon später. Gehe erst mal was trinken und essen.

 

Die Hauptstraße besteht aus Hotels, Restaurants, teuren Touristengeschäften und wenigen normalen Geschäften. Die Restaurants sind zum großen Teil voll, vor allem die traditionell aussehenden. Preise erheblich. Pizza kostet 18 Fr., Fleischgerichte durchgängig ca. 30-40 Fr. Habe dann beschlossen, in meinem Hotel zu essen, das preislich günstiger ist. Wahrscheinlich, weil keine traditionelle Architektur und historisches Gehabe. War übrigens früher mal ein Motel mit integrierter Werkstatt und Tankstelle. Später wurde dann die Schlagerbeiz im Holzstil ein- und angebaut. Bier kostet 0,5 ca. 7 Fr. Habe kleine Jodlerwirtplatte bestellt, bin mal gespannt, ist wohl so eine Art Vesperplatte. Stimmt. Schinken, Rauchfleisch, Käse, Eier, Tomaten, Gurken, Silberzwiebeln, Brot. Mehr als ausreichend für mich.

 

Die Schlager dudeln so vor sich hin, Amore mio etc. Mir fällt ein, dass bei meiner Musikauswahl anlässlich meines futurologischen Kongresses tatsächlich das Thema Liebe dominiert. Komisch...vor allem weil die Sozialisierung ja in den 70er Jahren war, wo ich das mit der Liebe noch nicht richtig verstanden habe. Wahrscheinlich habe ich einfach weniger auf den Text geachtet. Allerdings sind natürlich auch neuere dabei, wo die Liebe ganz bewusst eine wichtige Rolle spielt. Bei den eindringlisten Stücken geht es aber komischerweise nicht darum, eher um Freiheit und Trauer.

 

Wozu Schlager alles gut sein können….Schachmatt – die Dame im Spiel. RADIO PALOMA Wegen dir kann ich nicht schlafen….auf der Straße meiner Sehnsucht – dich zu lieben fällt nicht schwer. Alles da: Kuhglocken, Geweihe, alte Töpfe, Jägermeister Zapfstelle …mit dir bis ans Ende der Zeit….Sind wir für den Himmel bereit…Der Schwachsinn hat kein Ende. Der Himmel ist nach wie vor ein astronomisches Phänomen, oder eher ein terrestrisches…Fragt ein Astronom im 19. Jh. einen Priester: Was glaubst du, wo der Himmel liegt, vor dem Saturn oder hinter dem Saturn? Hinter dem Saturn natürlich. Und wie schnell ist Jesus in den Himmel aufgestiegen? Ich nehme an, so schnell wie eine Kanonenkugel. Tja, dann ist er wohl heute noch unterwegs…Ich bin der König von Mallorca, ich bin der Prinz von Arenal, ich hab zwar einen in der Krone, doch das ist mir scheißegal...ole ole. Ihr Name war Sophia, die Chefin in der Bar….So ein Küsschen Küsschen hier, und ein Küsschen Küsschen da…

 

Rheinreise 4.8.2018

Bergpanorama!!!! Toller Platz. Ich stehe in einem Schweizer Gefechtsstand aus der Zeit um 1900. Der Stöckli, wo ich bin, ist ca. 2.350 m hoch. Tolle Rundumsicht, daher hat wohl die Schweizer Armee irgendwann beschlossen, hier eine große Verteidigungsanlage zu errichten. Der Berg ist ziemlich ausgehöhlt, auf der Spitze ist der Gefechtsstand, auf dem man eine Artellerie montieren kann.

 

So wie ich mit der Seilbahn, die gerade fertig geworden ist, hoch gefahren bin, kann man auf fast alle umliegenden Berge mit der Seilbahn bis auf ca. 2.300, teilweise bis auf ca. 2.700 m Höhe hochfahren. Die von mir benutzte Seilbahn war übrigens eine Einseilumlaufbahn, wie in Bonn von uns vorgeschlagen. Tolle Fahrt, nur etwas heiß, weil man das Fenster nicht aufgemacht hatte. Die Seilbahn selbst hat tatsächlich offensichtlich verhältnismäßig wenige Eingriffe in die Struktur des Berges bedeutet, schlimm sind die Skipisten und die Beschneiungsanlagen, die in den Fels geschoben, bzw. montiert werden.

 

Gut, dass ich noch mal in den Alpen bin, die Gipfelgletscher sind schon sehr dezimiert, Die Permaschneebereiche schon sehr zurückgezogen. Ich denke, dass in 10 Jahren hier kein Berg mehr im Sommer weiß ist. Der Dauerschneebereich liegt jetzt bei ca. 2.700 m, und auch da nur in Lagen, die sowohl flach genug sind als auch nicht dauerhaft von der Sonne beschienen.

 

Heute morgen in Andermatt dachte ich, dass die Berge voll von Leuten sein müssten. Aber es stellt sich heraus, dass die meisten sportlich aktiven Personen hier Radfahrer sind. Später erfahre ich, dass gerade die Straße auf den Oberalppass für Radfahrer noch relativ gut zu befahren ist. Viele ältere Radfahrer, auch mit Tandems und viele E-bikes. Es gibt die tollsten Räder. Die Radfahrer treffe ich oben in den Bergen nicht, Montainbiking habe ich hier nicht wahrgenommen. Wanderer morgens noch nicht gesehen, an der Seilbahn war ich alleine, aber auch um 9:00 Uhr der erste Fahrgast. Später bevölkert sich der Berg.

 

Auch die Beweidung ist nur noch punktuell, bei der Seilbahnauffahrt waren viele Kühe zu sehen, von hier oben kann man einige genutzte Weiden sehen, die Fläche ist aber groß genug für mehr. In der Zeitung stand, dass die Schweiz eine Milchüberproduktion hat, die erheblich subventioniert z.B. nach Saudi-Arabien verkauft wird, wo sie halb so teuer wie in der Schweiz sei….Die Weidewirtschaft mit Kühen wird also zurückgehen.

 

Eigentlich wollte ich heute nicht so viel machen, da der Tag ja zur Akklimatisierung dient, damit morgen der Körper bei der Höhe nicht streikt. Aber ich gehe jetzt noch etwas bergauf…, ich komme aber nicht weit. Dafür bin ich in den alten Gefechtsständen der Bergfestung herumgelaufen. Um 1900 hat man Andermatt mit vielen Festungen und Verteidigungsanlagen auf den Bergen versehen, um die Schweizer Landesverteidigung im Herzen des Landes zu sichern. Die Anlage wurde dann nach dem 2. Weltkrieg aufgegeben. Viele Türen sind offen, so dass man rein kann. Man hat wohl für die Gefechtslage mit Angreifern gerechnet, die vom Oberalppass kommen. Warum die dann über die Bergkette kommen sollen, weiß ich nicht, vielleicht gibt es eine wirkungsvolle Blockade der Passstraße. Später lese ich noch, dass mit der Artellerie vom Fort Stöckli der Oberalppass erreicht werden konnte, also war das quasi die Sperre. Nachdem ich den Gefechtsstand überwunden hatte, bin ich den schmalen Pfad über Geröll weiter gegangen, allerdings war dann nach etwa 500 m Schluss, hier fängt der Berg an, sich mit großen Geröll- und Steinplatten aufzutürmen. Der Pfad wird wohl nur von den Bergsoldaten oder aber von neugierigen Touristen wie mir benutzt. Dafür habe ich eine grandiose Sicht auf die Befestigungsanlage von der Angreiferseite und sowieso auf die Bergwelt. Also wieder zurück. Ich sehe in der Ferne einen See, den will ich noch erreichen. Der Weg von der Bergstation zum Lutersee ist allerdings tatsächlich voll von Leuten, die zu Fuß, mit Rad oder mit Krad, Quad etc. unterwegs sind, nachdem sie die Seilbahn benutzt haben. Wenige Wanderer waren zur Befestigungsanlage gegangen, sogar eine Familie mit Kinderwagen! Sind hier alle möglichen Leute unterwegs, auch Nichtwanderer. Zwei Kletterpärchen wagen sich an eine Steilwand. Der See ist dann gut bevölkert, ein Mann nimmt sogar ein Vollbad. Ich habe das Wasser nicht berührt, ich tippe optisch auf 10 Grad. Auf einem Stein gesessen und die Hose gekürzt.

 

Große Aufregung! Der Hund eines schweizerisch_englischen Paares mit Kindern jagt die Schafe und stellt schließlich eins direkt neben mir und bellt. Nachdem die Familie den Hund wieder eingefangen hat, gibt’s noch eine Belehrung eines Schweizers, dass Hunde in den Bergen anzuleinen sind. Ja, so ist’s. Belehren scheint eine wohl geübte Schweizer Betätigung zu sein. Mich trifft es zwei Mal, einmal werde ich von einem Autofahrer darauf hingewiesen, den Zebrastreifen zu benutzen, ich war ca. 20 m daneben. Das andere Mal habe ich Reiterinnen mit dem Fahrrad überholt ohne zu klingeln! Welch Frevel. Da will man die Pferde nicht erschrecken und wird von den Reiterinnen gescholten…So sind sie.

 

Inzwischen haben sich von mir unbemerkt zwei Alphornbläser in Stellung gebracht. Sie begleiten meinen Rückweg mit typischen Klängen, wie romantisch, Klischees erfüllt. Mein Tal von morgen ist in der Ferne sichtbar. Es sieht relativ grün aus, im Vergleich zu der Felsenregion, in der ich gerade bin, wird es dann wohl weniger rauh (Was sich für die ersten drei Stunden dann als Irrtum herausstellt).

 

Ich nehme wieder die Seilbahn auf die Zwischenstation, Nätschen. Hier soll es eine Gastronomie geben. Stelle fest, dass sich diese im Neubau der Seilbahnstation befindet. Moderner schweizer Stil, Kombination von Beton und Holz. Nach einiger Überlegung esse ich doch etwas, eine Salatplatte, die sich aber als Schüssel herausstellt. Mit dem Kellner über Bier philosophiert, er schlägt ein Stiär Biär naturtrüb vor. Habe im Netz recherchiert, dass es sich um ein Ale naturtrüb handelt. Die Brauerei ist aus Altdorf, also ein regionales Bier. Schmeckt sehr hopfig und riecht gut. Ich sitze auf einer Sonnenterrasse ohne Schirme. Wegen des Windes geht hier auch keine temporäre Verschattung. Gut, dass es Sonnencreme gibt. Trotz zunehmender Bewölkung erreichen die Wolken selten die Sonne dort, wo ich gerade bin. Schöner Blick auf Andermatt und das Reusstal. Hier geht auch die Bahnstrecke vorbei, die ich morgen fahren werde, auch eine Zahnradbahn. Auf der Rückfahrt mit der Seilbahn fährt der Glacier Express vorbei. Ich bin vor ihm am Bahnhof Andermatt. Viele Leute in Panoramawagen mit Getränken (und Essen?), vor allem ältere. Ein bisschen dekadent ist das schon….Der höhere Sinn erschließt sich mir nicht, essen- und trinkenderweise durch die Berge kutschiert zu werden. Dadurch, dass man in einer Blechdose sitzt, kann man die Luft und den Geruch der Berge nicht wahrnehmen. Dagegen gibt es standardisierte Massenware zur Verköstigung und das zu überhöhten Preisen. Aber die Eventeritis ist auch hier sehr ausgeprägt. Man kann Krimi-Dinner mit und ohne Bahn buchen und verschiedene andere Unsinnigkeiten. Aber offensichtlich sind ausreichend Kunden für so etwas zu finden.

 

In Andermatt noch im COOP zwei Teilchen eingekauft für morgen. Werde wohl noch ein Schlafbierchen beim Jodlerwirt trinken und früh ins Bett, damit ich morgen den 7:28 Uhr-Zug bekomme. Abends beim Jodlerwirt steht in der Zeitung ein interessanter Artikel über das Schlafen. Auch Donald Trump meint, vier Stunden Schlaf würden ausreichen. Er meint ja auch, dass nur Verlierer Mittagspause machen. In der Zeitung stehen hierzu interessante Sprüche. „Vier Stunden schläft der Mann, fünf die Frau, sechs ein idiot“ wird Napoleon Bonaparte zitiert. Dagegen die moderne Wissenschaft: „Zuwenig Schlaf macht dumm, dick und krank“ (quod erat demonstrandum Trump). Jürgen Zulley, Schlafforscher. Ich liege mit meinen acht Stunden dann wohl richtig.

 

Rheinreise 5.8.2018

Der Lai da Toma (Toma-See)!!! Der Aufstieg war doch beschwerlicher als vermutet. Das Training im Schwarzwald bereitet nicht so auf hochalpine Touren vor, auch wenn die Höhenunterschiede bei meiner Tour von Waldkirch zum Kandel drei mal so groß wie heute waren. Vom Oberalppass ging es zunächst zivil los, aber dann ein kontinuierlich aufsteigender Bergpfad, Über Stock und Stein, felsige Geröllstrecken und Felspartien. Wurde durch eine Moräne optisch fehlgeleitet, vermutete dahinter den Tomasee, der aber viel höher liegt, habe also zu früh mit dem Ende des Anstiegs gerechnet. Letztlich habe ich aber das Zeitziel 10:00 Uhr eingehalten. Der See ist in einem Bergkessel gelegen und liegt am Fuße des Piz Badus. Er wird von einem Hauptzufluss, dem Rein da Toma und kleinen Nebenzuflüssen gespeist. Das offizielle Quellendenkmal habe ich fotografiert. Da in der Schweizer Landeskartierung der Hauptzufluss als Rein da Toma bezeichnet wird, ist also die Quelle, bzw. sind die Quellen am Hang des Piz Badus zu suchen, sofern man der Hypothese folgt, dass dies hier die einzige Rheinquelle ist. Da aber noch weitere Zuflüsse sowohl zum Vorderrhein, um den es sich hier handelt, als auch zum Hinterrhein gibt, überlasse ich die Diskussion des wichtigsten Rheins der Fachwelt. Für mich ist das Schild, das ich in das 19. Jh. datiere, maßgeblich. Die Landschaft ist idyllisch, ein Graspolster markiert den Zufluss des Rein da Toma in den Lai da Toma. Nicht ganz in die Idylle passen die vielen Menschen, einige haben hier sogar campiert.

 

Für die Eigennamen verwende ich jetzt die in Graubünden verwendeten, die in romanischer Sprache gehalten sind. Graubünden ist ja das Kernland des „Rätoromanischen“ Es ist die vierte amtliche Sprache in der Schweiz. Man bemüht sich aufrichtig, die Sprache gegen das Deutsche zu verteidigen. Ich treffe aber auch tatsächlich Leute, die so sprechen.

 

Längere Pause in der Nähe des Zuflusses auf einer Grasinsel. Nettes Gespräch mit einer Schweizerin. Wir reden übers Wandern, sie wohnt einige Dörfer flussabwärts, quasi am Rhein. Ich erläutere meine digitale Ausstattung und bemerke, dass die nächste Generation die ganzen Geräte wohl nicht mehr braucht, weil implantiert oder ähnlich. Sie findet die Entwicklung nicht gut und meint, dass die moderne Sklaverei dadurch gefördert würde. Ich meine, das läge am Staat, da hätten sie ja in der Schweiz eine gute Startbedingung. Nein, sagt sie, so gut ist das auch nicht mehr. Sie berichtet von Fällen, bei denen Menschen, die krank und berufsunfähig werden, um ihre Rente kämpfen müssen. Dann sagt sie, dass mit einem Gehalt von 2.500 Franken das Existenzminimum erreicht ist, und da gäbe es immer mehr Menschen. Ich sage, bei uns ist das etwa die Hälfte und begreife, dass die Preise in der Schweiz ja doppelt so teuer sind wie bei uns und damit das Existenzminimum auch doppelt so hoch ist. Klingt trotzdem komisch. Sie ergänzt, dass bei Einverdienerfamilien ein Einkommen von 6.000 Franken gerade so zum Leben reicht… Verrückt. Klar, denke ich, dass die Schweiz so Probleme mit dem derzeit verhandelten Abkommen mit der EU hat, weil sie starke Konkurrenz im Lohnbereich fürchtet, wodurch die Lohnhöhe dauerhaft nicht gehalten werden kann… aber warum nicht, dann wird’s vielleicht auch hier wieder billiger.

 

Dann unterhalten wir uns über den Klimawandel, ich bemerke, dass der Dauerschnee gefährdet ist. Sie sagt, im letzten Winter gab es überraschend viel Schnee. Aber die „Verholzung“ wie sie sich ausdrückt, sei eine Gefahr. Die Bäume wachsen in immer höheren Lagen. Passend dazu kommt eine riesige Ziegenherde auf der anderen Seite des Lai da Toma vorbei. Ich sehe sie später an sehr hohen Hängen grasen. Auf dem Moränenplateau hat der Bauer eine mobile Melkstation aufgebaut. Sie sagt, dass jetzt mehr Schafe und Ziegen gehalten werden. Nicht nur, weil die Nachfrage nach entsprechendem Käse steigt, sondern vor allem, um auf den Hängen, die von Kühen nicht mehr erreicht werden können, die Baumschößlinge abzufressen. Die Ziegen machen auf jeden Fall einen ziemlichen Lärm, da neben das Meckern noch die Glocken kommen. Bei gefühlten 2-300 Ziegen kommt da einiges an Schallquellen zusammen.

 

Zurück zum Thema Digitalisierung. Ich sage, wenn wir nicht mitmachen, machen es andere und spätestens die nächsten. Eine Genugtuung, dass man dagegengehalten hat, ist nicht zu erwarten, weil man weiß, dass das nicht nachhaltig ist. Deshalb bin ich diesmal auch mit massiver digitaler Unterstützung unterwegs. Da fällt mir die Geschichte (oder Legende, habe ich nicht geprüft) von dem schottischen Minenarbeiter im 19. Jh. ein. Es sollte eine dampfmaschinengetriebene Bohrmaschine für die Sprenglöcher angeschafft werden. Klar war, dass dann Arbeiter entlassen werden müssen. Er handelt einen Deal mit der Leitung aus. Er tritt einen Tag gegen die Maschine an, und wenn er gewinnt, also mehr Bohrlöcher schafft, dann wird die Maschine nicht angeschafft. Der Tag ist um, er gewinnt, findet allerdings danach den Erschöpfungstod. Vereinbarungsgemäß wird die Maschine nicht angeschafft, aber es ist nicht aufzuhalten. Wenige Jahre später ist es dann soweit, viele Arbeiter werden entlassen. Die Moral von der Geschichte: Widerstand gegen die technische Entwicklung und deren Folgen ist zwecklos. Die Hoffnung bleibt einzig beim staatlichen Reglement. Dafür braucht man aber weitsichtige Politiker...., derzeit wohl nicht in den Mehrheitsgruppierungen zu finden sind.

 

Trotz der guten Luft hier oben Allergie an den Beinen bekommen, ist aber zum Glück nicht weiter störend. Tolle, ruhige Stimmung hier. Es ist doch eine wichtige Destination, auf diesem Wanderweg sind mir viele Leute begegnet, eine Art Wanderautobahn von Oberalppass bis zum Lai da Toma. Das Wasser ist naturgemäß sehr kalt, habe einen Pflichtrundgang im Wasser gemacht.

 

Letztlich ist die Rheinquelle fiktiv, allein durch Benennung wird damit etwas geschaffen. Das ist auch das Postulat von Juval Noah Harari, der das ganze Gesellschafts- und Staatswesen der Benennung fiktiver Dinge zuweist. So sind Staaten nicht real existent, auch keine Firmen (außer Personenfirmen) etc.. Geld gibt es nur durch Vereinbarungen, nicht als Materie, zumindest heute nicht mehr.

 

Der Abstieg ist hochspannend. Austretend aus dem Kessel des Lai da Toma geht’s zuerst eine kleine Schlucht hinunter, danach außen herum. Die Natur zeigt sich insgesamt von der besten Seite, es sind mehr Schmetterlinge als zu Hause zu sehen, sogar ein Apollofalter lässt sich fotografieren. Hier am Steilhang sieht man schon weitere Zuflüsse zum jungen Vorderrhein. Der Abstieg bis auf das durch die Moräne gebildete Plateau ist ähnlich steil und schwierig wie der Aufstieg. Mit dem Gepäck muss man sehr auf das Gleichgewicht achten. Zum Glück bin ich nicht abgerutscht. Auf dem Plateau dann ein geschotterter Fahrweg. Hier sind die Ziegen temporär zu hause. Dann muss ich leider links um die Moräne herum, der Rhein nimmt den rechten Weg. So sehe ich ihn lange nicht mehr, auf dem nächsten, jetzt geteerten Fahrweg sagt mir das Navi, ich soll links gehen, der Wegweiser sagt geradeaus. Da ich hier eine größere Nähe zum Rhein erhoffe, folge ich dem Wegweiser. Jetzt ändert sich der Bewuchs. Bisher gab es Gras, Heidelbeeren und die Alpenrose, allerdings massenhaft. Nun mischen sich Farne dazu und es gibt so eine Art Macchia aus Bergulmen und Buchen(?). Dazu mischen sich schon bald Vogelbeeren. Von weitem sieht man, wie sich der Vorderrhein eine längere Wasserfallstrecke den Berg herunterfallen lässt. Erinnert irgendwie an Triberg. Da hier noch keine Bäume sind, kann man die Strecke gut sehen. Kurz danach muss der Rhein sich mit einem weiteren Zufluss vereinen.

 

Ich bin jetzt ca. auf 1.800 m Höhe und steige tief hinab in das Bachtal, allerdings hier noch ein weiterer Rheinzufluss. Da ich völlig ausgelaugt bin, mache ich Rast im Bachbett und kühle über den Fußkühler herunter.

 

Es kommt das Dort Tschamut, auf dessen Gemarkung auch die Rheinquelle liegt. Es hat einen Brunnen, der meine Flaschen füllt, dafür hat die Kneipe das Nachsehen, ich gehe weiter. Was ich nicht sehe, ist der Zusammenfluss von Rein Anteriur und Rein da Cunera in der Schlucht neben dem Dorf. Ein paar hundert Meter weiter eine weitere menschgemachte gravierende Landschaftsverwandlung, nachdem die Verkehrswege der Hauptstraße und der Bahnstrecke in Verbindung mit der Aufstauung des Oberalpsees das Haupttal dominieren: Der Talboden ist über eine lange Strecke in einen Golfplatz des Golfclubs Sedrun verwandelt worden. Also weicht die bisher noch weitgehend natürlich aussehende Landschaft einer Kulturlandschaft besonderer Ausprägung. Es sind sogar Golfer bei dem hier schon wärmeren Wetter unterwegs. Genau beim Abstieg vom Dorf in den Talboden wird es gefühlt fünf Grad heißer. Bisher war die Temperatur trotz Dauersonnenschein akzeptabel, ich tippe auf 20 Grad. Ab jetzt bis zum Ende der Tagesetappe sind es also etwa 25 Grad. Im Talboden liegen riesige, gletschergeschliffene Felsen wie überdimensionierte Kühe in den Wiesen. Wald kommt näher, ich schätze ich bin bei ca. 1.600 m Höhe, Fichten, Tannen etc., habe nicht genau nachgeschaut. Der Rhein verschwindet in einem Canyon, Wege gibt es dort nicht. Noch ist er recht schmal, ein Bergbach mit klarem, durchsichtigem Wasser, wie andere auch. Der Weg führt am oberen Rand des Canyons vorbei, man sieht aber nichts vom Rhein. Im Wald noch mal nach einer längeren Steigungsstrecke eine Zwangspause. Trinke eine Flasche leer. Hier gibt es Kühe und Ochsen mit großen Hörnern und langem Fell, man experimentiert also mit den Arten…

 

An einem weiteren Zufluss kann ich jetzt den Rhein queren, es gibt schon etwas Breitenzuwachs zu sehen. Nach der Querung in der Campingplatzgastronomie eine Pause gemacht zwecks Energieaufladung der Technik. Pause war aber diesbezüglich sehr knapp. Die Batterien der GOPRO halten nicht so lang, wie notwendig. Ein 0,33 Radler für 4,80 Franken getrunken.

 

Danach bei größter Hitze am Rhein entlang und dann durch das Gewerbegebiet von Sedrun. Hier darf der Vorderrhein samt seinen Zuflüssen dann das erste Mal in größerem Stil der Energiegewinnung dienen. Eine Staumauer staut das Wasser für ein Wasserkraftwerk. Hier kommen noch die Wässer des Lai da Nalps, Lai da Sontga Maria und Lai da Cunera vie Druckleitung zusammen, die Kraftzentrale Sedrun verarbeitet diese mittels Turbinen die Druckwässer. Alle drei Seen sind aufgestaute Rheine, der Rein da Nalps, der Rein da Cunera und der Rein da Medel. Die Gebäude nebst dazu gehörender Umspannstation weisen nach, dass ab jetzt der Rhein vornehmlich wirtschaftlichen Interessen dient, die Anlage ist aus den 60er Jahren. Dennoch, und das hoffe ich in den nächsten Tagen zu sehen, gibt es noch naturnahe Abschnitte. Rheinwasser ist immer noch klar.

 

Vor das erlösende Hotel hat der liebe Gott einen unsäglichen Aufstieg auf einer Industriestraße, die sich als Hitzequelle entpuppte, gelegt. Schon in Sichtweite des Hotels muss ich noch mal Pause machen und letzte Reserven sammeln. Das Hotel La Cruna ist schon im 19. Jh. als Hotel Krone gebaut worden. Mit der Einführung des Rätoromanischen als 4. Landessprache und zuletzt 1996 als Amtssprache bei der Sprachenreform bestätigt, hat wohl eine Re-romanisierung stattgefunden, daher nun Cruna (rum. Corona). Ich denke manchmal, ich höre rumänisch oder italienisch…

 

Im Hotel etwas Geld beim Essen ausgegeben, hatte keine Lust mehr, rumzulaufen, außerdem lockt die Erfahrung typischer Küche. Typisches Gericht hier ist Tujetscher Capuns, bestehend in der hier zubereiteten Version aus Mangoldwickel: Landjäger – Schinken – Petersilie – Rahmsauce – Gemüsebrunoise – Käse. Dekoriert war das ganze mit einer Lavendel- und Kapuzinerkresse-Blüte. Es hat mich sehr an die rumänischen Sarmale erinnert, allerdings in einer viel feineren Version, Mangold statt Kraut oder Wirsing, Schinken und Landjäger statt Hack, aber man macht (historisch) rein, was man hat…Auf jeden Fall sehr lecker. Habe zunächst Wasser bestellt, dann aber doch noch 0,1 l Wein, nach Empfehlung des Hauses, war mir aber zu stark.

 

Die dummen Sprüche sollen wohl Tradition symbolisieren: „ Ein Mädchen und ein Gläschen Wein sind Retter in der Not, denn wer nicht trinkt und wer nicht küsst, der ist so gut wie tot“. Schon hier oben wird die Rheinromantik- etwas anders, aber in gleicher Manier, angesprochen. Richtig gut wird’s beim Pendant: „Was gibt es schöneres als mit einem jungen Mann und einem alten Rotwein gemeinsam die Schwelle des gehobenen Niveaus zu verlassen?“ Die Sprüche sind auf der Speisekarte eines gehobenen Restaurants zu finden. Ich gestehe, ich würde mir eine Frau in passendem Alter wünschen, ich wüsste auch schon welche, aber die trinkt wenig Alkohol und würde wahrscheinlich dem alten Rotwein nicht angemessen begegnen…  

 

Schon hier oben wird mit dem Rhein kräftig Werbung gemacht. Man kann Rheingold aus hiesiger Schürfung kaufen oder gleich selbst schürfen. Die Nuggets sind allerdings Plättchen von gerade mal 1-2 mm Größe, also eher was für Lupenbesitzer. Es gibt wohl seltene größere Objekte, es wird auf dem Werbeprospekt mit „Maria“, 1,7 g, 17 x 7 mm geworben. Kann man machen…Auch das Hotel la Cruna macht Werbung: An der Quelle des Rheins…, dabei sind wir schon ca. 15 km entfernt. Es ist auch ein „Sporthotel“ wobei ich glaube, dass man vor allem auf die Golfer abzielt, auch am Golfplatz hängt ein großes Plakat vom La Cruna. Die Architektur hier ist in Sedrun vor allem Blockhausarchitektur für alle Gebäudetypen außer der Kirche. Häufig ist das EG aus Stein und die Holzkonstruktion sitzt darauf. Das La Cruna ist aber ein Ganzsteinbau.

 

Rheinreise 6.8.2018

Wetter ist wieder super, Sonne soweit das Auge blickt. Heute etwas später zum Frühstück gegangen, da es hier erst um 7:30 Uhr eröffnet. Also bis 7:00 Uhr geschlafen… Im Frühstücksraum eine Überraschung: In Schweizer Ordnung gab es nummerierte Tische passend zur Zimmernummer. Also entsprechenden Tisch eingenommen, vollständige Selbstbedienung. Besonderheit: Man kocht sich sein Ei selbst in einem öffentlichen Eierkocher, stellt sich selbst den Wecker und holt das Ei ab. Guter Trick, da kann sich keiner beschweren, dass das Ei zu hart oder zu weich sei…Der Eierkocher feuchtet kontinuierlich die Luft an, merkt man aber nicht. Ansonsten gute Qualität. Habe Ovomaltine getrunken.

 

Um 8:15 Uhr geht’s los, nachdem die Kurtaxe von 4,0 Fr. entrichtet wurde. An dem heutigen Tag sieht man viele Einmündungen von anderen Flüssen, die auch Rhein heißen und ich bin gespannt, ob die größer oder kleiner als der Rein Anteriur sind. Der erste kommt gleich hinter Sedrun. Der Rhein ist hier in einer tiefen Schlucht eingegraben, die nur gequert werden kann. Daher habe ich heute auch mehr Höhenmeter als gestern vor mir, weil man ein paar Mal runter und wieder rauf muss. Also den Rein da Nalps quere ich und stelle fest, er hat deutlich weniger Wasser als der Vorderrein. Allerdings wird er oberhalb durch den Lai da Nalps auf gestaut, und bei der Trockenheit kann man erwarten, dass der See viel Wasser zurückhält, bzw. für die Energiegewinnung benötigt…Danach geht der Weg wieder nach oben über kleine Streulagen von Höfen, sogar eine Kapelle ist dabei. Sprüche an den Häusern verraten die frühere Angestrengtheit des Lebens hier oben: „Aufsteigend musst du dich bemühen, doch ohne Mühe sinkest du, der liebe Gott muss immer ziehen, dem Teufel fällts von selber zu…“ oder „ der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt kräftig an – und handelt“.  Hier wieder vereinzelte Gletschergrundfelsen mitten auf den Almen… Es gibt auch Ferienwohnungen, teilweise sehr schön (Haus am See bei Cavorgia Sura). Danach geht es gemeinerweise weiter bergauf, so dass ich schließlich bei fast wieder 1.400 m Höhe angelangt bin. Der Rhein ist in einer zu erahnenden tiefen Schlucht verschwunden. Das ganze geht dann zu einem Dorf mit dem lustigen Namen Mompé Medel hin. Traditionelles Dorf auf einem Bergsporn. Der Weg durch die Almen wird durch teilweise heftige aromatische Düfte begleitet, es ist nicht nur Mädelsüß, sondern noch etwas anderes, das ich nicht erkenne. Manchmal denke ich an den „wilden Anis“ den wir im Garten haben, vermutlich Samen aus dem Schwarzwald.

 

 

Von weitem schon sieht man seit einiger Zeit ein imposantes Gebäude in Disentis / Muster. Dem Typus nach handelt es sich um eine barocke Klosteranlage. Ich vermute, dass hier das erste (von Rheinquelle abwärts aus betrachtet) Kulturelement im Rheintal handelt. Natürlich gibt es in jedem Dorf mindestens eine Kirche, die aber nur lokale Bedeutung hat und die meistens aus dem 18. oder 19.Jh. ist. Es ist ja bekannt, dass die Klöster im dunklen Zeitalter (ca. 400 bis ca. 800) die einzigen nennenswerten Kultur- und Wissensträger waren, bzw. viele durch lokale oder irische Wandermönche gegründet wurden und sich in der Zeit in das Niemansland ausgebreitet haben, die nach der „Völkerwanderung“ und dem Zusammenbruch des römischen Reichs entstanden waren, also warum auch nicht hier? Und letztlich macht die kirchliche Kulturgeschichte ein wesentliches Charakteristikum des Rheins aus. Rechnet man den Bodensee als Aufweitung des Rheins und ist da räumlich großzügig, sind die Quellen der frühromanischen Kulturgeschichte, und damit die Grundpfeiler des Mittelalters alle am Rhein: St. Gallen, Konstanz, Basel, Speier, Mainz, Köln. Also vermute ich im Kloster Disentis ein frühes Kloster. Dies nehme ich zum Anlass, meine Tour zu verlassen und einen Umweg zu machen. Vorher eine ausgiebige Rast im Rhein, Füße wieder reingehalten und mittendrin auf einem Stein gesessen. Die Felsen sind jetzt etwas größer geworden, über die und an denen vorbei das Wasser fließt. Immer noch glasklar. Ich denke darüber nach, wie lange das Wasser, das meine Füße umspült, wohl bis Köln oder Düsseldorf braucht. Feststoffe können aufgehalten oder herausgefiltert werden (Stauanlagen). Flüssigkeiten können etwas verdampfen, aber die Bakterien etc. bleiben erhalten, sofern es keine Flußkläranlage gibt….

 

Zurück zu den Klöstern. Durchquere Disentis direkt zum Kloster. Man muss in althergebrachter Weise beim Pförtner vorbei, der allerdings nicht da ist. Es empfangen einen sanierte Barock-Korridore, eine Gastronomie undsoweiter. Dann die Erkenntnis: Die Kirche wird renoviert, kein Eintritt, dafür eine kleine Ausstellung über die Restaurierung. Die erhoffte Bestätigung der Vermutung findet sich aber dann doch, die Restauratoren haben ein Schaufenster auf die Krypta der Kirche von ca. 700 gebaut. Da ist sie also. Seit ca. 700 wird hier gekircht. Der Franke Sigisbert kam wohl im Umfeld der iroschottischen Wandermönche rheinaufwärts und errichtete in der unbewohnten Gegend eine Einsiedelei und wurde dabei vom einheimischen Placidus unterstützt. Daraus entstand um das Jahr 700 das Kloster Disentis. Der Eintrag im Reichenauer Verbrüderungsbuch weist Namen verschiedener Herkünfte auf, das Kloster war also von Anfang an interkulturell. Karl der Große bezog das Kloster in seine Passpolitik ein. Die frühmittelalterliche Klosteranlage wurde vermutlich durch den Sarazenen-Einfall von 940 zerstört. Also seit ca. 1.300 Jahren verbreitet die Katholische Kirche hier ihre Weltsicht und trägt sicher zur Bildung der Bevölkerung bei, ist aber schon früh mit der Politik verbandelt. Nach Wasserfassung am klösterlichen Brunnen gehe ich schnurstracks wieder zum Rhein zurück. An der Straße ein Schild: „Wer früher bremst, ist länger für die Familie da“. Das Schild fragt nicht, ob das denn die Absicht des Fahrzeugführers ist, vielleicht will man nicht länger für die Familie da sein? Häufig überkommt mich bei diesen Warnschildern die Vermutung, dass auch diese klischeehaft zur Aufrechterhaltung einer längst vergangenen Gesellschaftsstruktur verwendet werden. Wer daran wohl Interesse hat?

 

Hier in Disentis /Muster ist die nächste wichtige Mündung eines anderen Rheins, des Rein da Medel, der schon vorher einen Großteil seines Wassers an die Energiegewinnung der Anlage in Sedrun abgegeben hat. Im Bereich des Zusammenflusses liegt ein Campingplatz mit vielerlei Betätigungen. Neben Schweizern findet man hier vor allem Niederländer. Der Rein da Medel hat ein breiteres Geröllbett, aber weniger Wasser als der Rein Anteriur. Heraus kommt ein noch breiterer Geröllbettstreifen, in dem aber im Moment wenig Gesamtwasser ist. Auch hier wird in mehreren Gruppen nach Gold geschürft, man schaufelt, siebt und lässt die Schüssel kreisen. Das Material wird durch findige Erholungsgeschäftsleute bereit gestellt. Habe mindestens drei Gruppen bei der Arbeit gesehen. Natürlich kann es sich hier noch nicht um das Nibelungengold handeln….

 

Nun geht der Weg weitgehend rheinparallel, das große Geröllbett bleibt bestimmend, die aktuelle Wassermenge füllt dies vielleicht zu einem Drittel aus.

 

Nach einiger Zeit brauche ich eine Pause. Nachdem schon eine Weile lang Wolken aufzogen, kommen die ersten Regentropfen, aber wirklich nur ein paar. Ich packe schon mal den Rucksack regenfest ein. Von meiner Pausenbank sehe ich eine Höckerlinie, wie unser Westwall. Auch die Schweizer haben so etwas, hier kümmert sich ein Verein um den Erhalt. Wirkt anachronistisch, aber es dokumentiert die Rolle, die der Rhein auch bei der Landesverteidigung gespielt hat, und das hier, wo er noch keine nennenswerte Breite aufweist.

 

Danach, allerdings mit starken Schulterschmerzen, weiter vorwärts rheinparallel, überraschenderweise gibt es eine längere Felspartie, die allerdings gut mit dem Felsenbett des Rheins korrespondiert. Das ganze endet an einer Kraftzentrale, die das Wasser eines Zuflusses verwertet. Danach geht’s wieder bergauf, ein Waldweg. Der führt dann zu einem Dorf, Cumpadials. Nachdem schon eine Weile Donnergrollen zu hören ist, und die Schulterschmerzen zunehmen, flüchte ich erst mal in die Dorfkirche zu einer Pause. Ich glaube, ich habe darin sogar kurz geschlafen. Danach Regenjacke über und weiter, in der Erwartung, dass bald das Gewitter einsetzt. Tut es aber nicht. In Sumvitg regnet es ordentlich, ich stelle mich erst mal unter, aber entscheide dann doch, die letzte Etappe zu gehen. Meine geplante Tour verlasse ich, nachdem ich erkenne, dass sie das Ziel, eine weitere Rheinmündung des Rein das Sumvitg in den Rein Anteriur zu sehen, nicht erfüllen kann. Ich mache ein Foto von oben. Es zeigt sich eine riesige Geröllfläche, die offensichtlich teilweise auch kommerziell ausgebeutet wird. Hier mündet der Rein da Sumvitg. Soweit ich sehen kann, hat auch er weniger Wasser als der bisherige Vorderrhein.

 

Leider geht der Weg wieder bergauf, ich nehme die letzten gefühlten Kräfte zusammen. Auf einem Bergsporn allerdings schöne Aussicht auf das vor mir (lauftechnisch betrachtet) liegende Tal. Es regnet jetzt weniger. Einmarsch nach Rabius und ins Hotel, das eher am Ortsausgang liegt. Es ist ein Gebäude aus den 60ern, aber das EG ist top aktuell neugestaltet. Die Zimmer sind noch etwas älterer einfacher Standard, für mich o.k.. Frühstück gibt’s erst ab 8:00 Uhr, ist mir heute egal. Heute scheint Jagdtag zu sein, es knallt draußen. Beschließe, wieder im Hotel zu essen, habe keine Lust zu Spaziergängen, um etwas Essbares zu suchen. Sowieso ist auffällig, dass in den Orten weniger gastronomische Betriebe sind, und diejenigen, die noch das sind, sind entweder geschlossen (Ruhetag) oder hochpreisig. Die traditionelle einfache Gaststätte gibt es nur noch selten. Auch das ein Effekt der Zentralisierung des Tourismus, aber wahrscheinlich auch der Diversifizierung der Freizeitaktivitäten. „Früher“ konnte man hauptsächlich in den Bergen wandern. Für Radfahren war die Radtechnik noch nicht weit genug. Heute kann man Radfahren, Moutainbiking, Wandern, Klettern, Drachenfliegen etc. in den Bergen machen. Die meisten Aktivitäten werden von zentralen Standorten aus unternommen, zu denen man wieder zurückkehrt. Der Langstreckenwanderer und der Langstreckenradfahrer sind nach meiner Beobachtung eher die Ausnahme. Deshalb kommen die Dörfer gastronomisch unter die Räder.

 

Starte mit dem Essen gegen 18:30 Uhr und entscheide mich erst mal für Bier, hier gibt es Calanda aus Chur. Auch in dieser Landgaststätte, man erwartet es nicht, ist die Küche ausgefallen und nicht billig. Ich denke, da ich den ganzen Tag nichts gegessen und auswärts getrunken habe, kann ich mir ein kleines Mahl leisten. Also gibt es Alpenbrennessel-Cremesuppe (die Kellnerin sagt, dass der Chef=Koch diese mit den Kindern selbst gesammelt hat) und ein lokales Gericht, Bizzochelgratin mit Gemüse und Apfelmus (Bizzochels gratinai cun verduras e buglia da meila). Die Bizzochels sind eine größere Art von Spätzle, vielleicht eher Schupfnudeln. Die Variante, ein Gratin mit Gemüse und Apfelmus zu essen, ist interessant. Alles in allem sehr nette Truppe hier, dies ist noch ein echtes Familien-geführtes Unternehmen. Daher gibt es auch eine Top-Kinderausstattung: Ein Spielzimmer und einen Spielgarten, beides nutzen wohl vor allem die Wirtskinder.

 

Rheinreise 7.8.2018

Morgens beim Frühstück festgestellt, dass ich offensichtlich der einzige Nachtgast war. Der Chef persönlich macht den Service. Die Geräusche, die ich über mir im Zimmer gehört habe, stammten dann wohl von der Wirtsfamilie. Wieder Ovomaltine getrunken, kann man zuhause auch wieder einführen, sofern man die schweizer Ovomaltine ohne Zucker bekommt. Bin dann gegen 8:45 Uhr weggekommen. Es gibt noch Nebel- bzw. Wolkenschwaden, heute Nacht hat es geregnet. Also beschließe ich, solange die Witterung noch verhältnismäßig kühl ist, etwas Geschwindigkeit zuzulegen. Als ich den Rhein wiedersehe, ist er nicht wiederzuerkennen. Das Wasser ist milchig weiß. Offensichtlich hat der Zufluss des ‚Rein da Sumvitg bei Rabius diese Färbung mitgebracht. Ich habe auch kleinere Bäche mit dieser Färbung gesehen, also vermute ich einen geologischen Hintergrund, möglicherweise Kalk oder Mergel. Habe nachgelesen, hier etwa fängt der Bereich des Helvetikums an, der vor allem aus Kieselkalk besteht, wie man auch später in der Rheinschlucht sehen kann. Bisher war ich im Gotthardt-Massiv, das vor allem durch Gneise und Granite geprägt ist, also Steinen, die sich nicht so sehr auswaschen lassen.

 

Bei Trun nun das erste große Auftreten der Kunst. Bisher hat die Kunst den Rhein noch nicht in Beschlag genommen. Nun gibt es einen Kunstpfad am Rhein mit 40 Kunstwerken. Ich laufe alles ab und finde, man hätte hier besser steuern können auf den konkreten Ort hin bezogen. Manche Werke sind wirklich beliebig, Die Sache der Kunst wird dadurch nur bedingt gefördert, einige Werke sind aber auch bedenkenswert.

 

Bei Trun sehe ich erstmalig Hochwasserschutzmauern, die jetzt immer häufiger auftauchen. Noch gibt es keine Deiche, die erwarte ich dann aber morgen. Trun ist übrigens für den Benediktinermönch Placidus a Spescha bekannt. Natürlich ist er auch mit dem Kloster Disentis verbunden. Wichtig ist er aber vor allem, weil er das Rätoromanische verschriftlicht hat und damit sozusagen der Luther des Rätoromanischen ist. Noch wichtiger ist er als Erstbesteiger einer ganzen Reihe von Berggipfeln noch im 18. Jh., insbesondere auch den Piz Badus, den Quellberg des Vorderrheins, den er 1785 erstbestiegen hat. Darüber hinaus hat er umfangreiche naturkundliche und kartografische Arbeiten angelegt und ist damit für die Region eine wichtige Identifikationsfigur. Nebenbei hat er schon bemerkt, dass das Zölibat für Priester unsinnig ist und durch die Schrift nicht angeordnet wird. Am Kunstpfad von Trun steht eine “baun de lectura“, eine Lesebank. Es gibt nicht nur die Bank, sondern auch eine Kiste mit Büchern, verschließbar, aber ohne weitere Sicherheiten. Tolle Einrichtung, man kann zum Beispiel etwas über die Region erfahren.

 

Was ich bisher an der Strecke auch noch nicht gesehen habe, sind Burgen oder andere Zeichen weltlicher Machtausübung. Die erste Burgruine sehe ich dann kurz hinter Trun, die Burg Ringgenberg. Sie diente zunächst im 13. Jh. zur Absicherung des Herrschaftsgebiets des Klosters Disentis. Die Burg wurde aber schon im 15. Jh. aufgegeben, noch nicht mal erobert. Allerdings gab es auch zwischen Tavetsch und Sedrun eine Burg, die das Gebiet von Disentis Rheinaufwärts bewacht hatte, die Burg Pontaningen, diese ist mir aber beim Vorbeigehen nicht aufgefallen. Alles in allem gibt es aber sonst keine Zeichen feudaler Herrschaft.

 

Kurz vor Tavanasa dann das erste von mir wahrgenommene Getreidefeld, es handelt sich um ein Maisfeld. Ich sehe keine Trockenschäden. Bei Tavanasa schließlich zeigt sich die Bedeutung der Energiewirtschaft in voller Größe. Zwar ist der Rhein hier nur auf einem kurzen Stück aufgestaut, wird aber von einem Speicherbecken begleitet. Die große Energiezentrale zeigt, dass hier nicht nur das Rheinwasser genutzt wird. Eine große Tafel erläutert das Kraftwerksnetz und die verschiedenen Funktionen der Kraftwerkarten, auf der Karte sieht man viele Druckstollen, Speicherseen etc. Das erklärt auch, dass der Rhein streckenweise wenig Wasser, danach, wenn ein Druckstollen oder ein Speicherseeabfluss zugeführt wird, wieder viel. An jeder Brücke stehen Warnhinweise, dass hier plötzlich mit anderen Wasserständen zu rechnen ist und daher der Aufenthalt im Flussbett riskant ist. Die Schilder gab es auch auf der gestrigen Strecke schon. Das Kraftwerk ist eine schöne technische Anlage, die die einzelnen Umformer hinter den Turbinen zeigt. Der Rhein ist hier weiterhin milchig blau, das Wasser ist optisch undurchdringbar.

 

Kurz hinter dem Kraftwerk gibt es die alte Rheinbrücke von Tavanasa zu bestaunen, die zu den Pioniertaten Maillards um die Jahrhundertwende gehört hatte, Brücken im eigenen Stil in vollständiger Stahlbetonbauweise zu errichten. Die Brücke wurde 1927 durch einen Erdrusch, das Schild weist auf einen großen Felsen hin, den man noch sieht, zerstört. 1929 baute man in Stahlbeton mit Betonelementen neu, diese Brücke habe ich benutzt. Inzwischen gibt es eine moderne Brücke, die den Kraftfahrzeugverkehr bewältigt. Weiter flußabwärts bei Rueun gibt es dann eine traditionelle Holzbrücke, wie sie auch am Oberrhein in Bad Säckingen und anderen Orten anzutreffen ist. Kurz vor Schnaus  dann eine große Kies- und Sandabgrabung, die das vom Rhein aufgeschwemmte Steingut wieder ausgräbt. Allerdings wird parallel auch eine Verfüllung mit Bauschutt betrieben. Das Gute nimmt man der Erde, das kaputte übergibt man ihr wieder, vielleicht in der Hoffnung, dass sie es schon richten wird – in einigen Jahrtausenden.

 

Lauftechnisch ist der Weg einfach, ich komme gut vorwärts. Nach ca. vier Stunden muss ich dann doch einmal eine längere Pause machen. Lege mich aufs Gras (mit Handtuchunterlage). Ich glaube, ich bin sogar kurz eingenickt. Der Nachmittag zeigt sich dann sehr schwül, sehr warm, aber noch bewölkt. Also lege ich noch einen Schritt zu, vor allem, weil auch die Schultern wieder Beschwerden zeigen. Kurz vor Ilanz noch hoch in den Felsen ein Burgrest. Er gehört vielleicht zur Burg Jörgenberg, der angeblich imposantesten Burganlage zwischen Rheinquelle und Rheinschlucht. Die eigentliche Burg sehe ich nicht, vielleicht weil ich nicht genau weiß, wohin ich sehen soll, ist aber oberhalb der schon erwähnten Holzbrücke gelegen.

 

Komme dann um ca. 15.00 Uhr in Ilanz an. Ilanz ist die „erste Stadt am Rhein“ und ziemlich selbstbewusst, aus dem Werbetext der Gemeindetafel: “Seien Sie willkommen in unserer Gemeinde, wo Sie in lachende Kindergesichter schauen, aktive Leute bei Arbeit, Sport und Freizeit antreffen und zufriedene Menschen begegnen.“ Man hat mir leider keine Kinder zur Kontrolle vorgeführt, insgesamt konnte ich keinen Unterschied zu anderen Orten feststellen, abgesehen von vielen Touristen, die wohl vor allem zum Rafting kommen.

 

Auf jeden Fall war die Stadt auch zeitlich früh mit der Reformation dran. Schon 1524/1526 wurde mit den Ilanzer Artikelbriefen die Macht des Bischofs eingeschränkt und die Selbstwahl des Pfarrers durchgesetzt, also schon 7 Jahre nach Luthers Thesenanschlag im Jahr der Fertigstellung der Deutschen Bibelübersetzung durch Luther. Luzi Gabriel übersetzte dann um 1650 in Ilanz das neue Testament ins romanische und machte es so der Bevölkerung zugänglich. Es gab/gibt in Teilen eine Stadtmauer und noch ein verbliebenes Tor. Dann erst mal einen Rundgang in der Altstadt gemacht, ist ziemlich klein. Das Obertor, steht noch und sieht so aus, wie man es in süddeutschen, österreichischen und Schweizer Kleinstädten erwartet. Daneben ein Restaurant mit Gartenterrasse. Ich setze mich, aber die Bedienung ist ziemlich langsam. Vielleicht sind die hier so. Die Bedienung ist allerdings sehr sprachgewandt und bedient in italienisch, französisch und deutsch, spricht aber auch portugiesisch. Später entdecke ich, dass es auch einen portugiesischen Verein gibt. Wo her das kommt, bleibt mir unklar, es gibt aber wohl seit den 60er Jahren starken portugiesischen Zuzug in der Schweiz. Also zwei Radler verputzt, aber offensichtlich ist das noch nicht genug Flüssigkeit. Ich habe im Übrigen Probleme mit dem Flüssigkeitshaushalt. Trotz vielen Trinkens scheinen die Nieren zu viele Schadstoffe verarbeiten zu müssen. Die Ursache habe ich noch nicht gefunden. Also nach den Radlern zu den Schwestern aufgestiegen und habe mich wieder mal verschätzt, bei der Hitze (28 Grad) machen die ca. 100 Höhenmeter ganz schön was aus. Also komme ich ziemlich fertig dort an. Schöner Gebäudekomplex in Schweizer Betonbauweise, offensichtlich mehrere Bauabschnitte. Die Schwester am Empfang erläutert, dass sie bis in die 50er Jahre im Tal waren, dann aber so viel Zulauf, auch für die angegliederte Schule, zu verzeichnen war, dass ein Neubau am Hang geplant wurde. Das Grundstück war früher der Klostergarten. Vorher hatte ich noch vermutet, dass durch die Höhe und das ständige Aufsteigen die Sünden der Schwestern bestraft werden sollten. Sie fragt, was ich denn für ein Gottesbild hätte. Ich sage, ich nicht, aber vielleicht andere. Darauf hin meint sie, dass man das doch schon lange hinter sich hätte. Alle angetroffenen Schwestern machen einen sehr weltoffenen Eindruck und gehen auf die Menschen zu. Meine Ankunft trifft mit dem Vorabend der Dominikus-Feierlichkeit (Todestag) zusammen. Sie versichert aber, dass alles wie normal läuft.

 

Später werde ich noch von der Oberin persönlich begrüßt. Beim Abendessen macht dann das Haus der Begegnung seinem Namen alle Ehre. Es gibt Sitzplätze mit Namensschild und man sitzt nicht allein. Allerdings muss man pünktlich sein, ich glaube 18:45 Uhr. Ich sitze mit einem älteren Paar aus dem Aargau zusammen. Wir unterhalten uns über Politik, die Frau wird dann sehr energisch. Wir reden über Subventionen, Preisabsprachen, und viele andere Dinge, von denen sie meint, dass das in der Schweiz nicht gut läuft. Ich werde stark an das Gespräch mit der Frau am Tomasee erinnert. Auch hier spielt das subventionierte Milchgeschäft eine große Rolle. Es gibt wohl eine Firma (Name vergessen), die nur subventionierte Ware international umsetzt, also quasi von Steuermitteln lebt. So was gibt’s bei uns bestimmt im Agrarsektor auch. Dann stellt sich heraus, dass die Frau in Wirklichkeit aus dem Mittelschwarzwald kommt und über eine Zwischenstation am Bodensee dann eine Arbeit in Aargau angenommen hat und dort schließlich einen Schweizer geheiratet hat.

 

Dann muss ich aber noch meine Tagesplanung machen und etwas schreiben und verabschiede mich.

 

Rheinreise 8.8.2018

War relativ früh wach und schlage mich noch mit dem Problem von gestern rum. Um Punkt 7:45 Uhr gibt’s Frühstück. Habe aber relativ wenig gegessen, die Ovomaltine schmeckt nicht, wenn die Milch nicht richtig heiß ist. Trinke statt dessen Tee, das scheint gut zu sein. Heute geht’s ja nicht neben sondern auf’s Wasser.

 

 

Gegen 9:00 Uhr verabschiedet und zum Treffpunkt am Bahnhof gegangen. Nachdem ein großer Schwung Leute mit der Bahn angekommen war, geht es zu Fuß zum Hauptquartier von Swisscraft. Das entpuppt sich als großes Gebäude mit einem riesigen Lager für Boote etc. im UG. Im EG werden zunächst die Neoprene verteilt, ich bekomme richtigerweise einen der Größe 52. Umziehen in der Umkleidekabine. Rucksack und Schuhe beim Fahrer des Busses abgegeben. Dann Helm. Der freundliche Guide weist mich darauf hin, dass meine GoPro auf den Helm aufgesteckt werden kann. Beim Montieren geht dann leider eine Zunge der Halterung kaputt, sie hält aber auch mit nur einer Zunge. Anschließend Schwimmweste und Paddel und fertig sind die Paddler. Nachdem wir uns schon mal in Listen eingetragen hatten, hat das Team die Gäste noch mal neu aufgeteilt. Nach welchen Kriterien, ist unklar. Es werden insgesamt vier Boote eingesetzt. Ich lande im Boot mit einer niederländischen Familie (6 Personen, vier Kinder) und dem indischen Guide. Wegen der Kinder wird beschlossen, englisch zu sprechen, da diese wohl kein Deutsch können. Nach einer kurzen Sicherheitseinweisung geht’s los. Der erste km wird verbraucht, um Kommandos und deren Befolgung zu lernen.

 

Danach ging‘s dann zur Sache. Allerdings war der Wasserstand wetterbedingt niedrig, so dass der Fluss etwas langsamer war und wir mehr paddeln mussten. Ich erzähle, dass ich früher gepaddelt bin, als wir an einer Slalomstrecke vorbeikommen. Es stellt sich heraus, dass der Guide früher „freestyle“-Kajak gefahren ist. Die Disziplin kenne ich nicht, das muss schon nach meiner Zeit gekommen sein.

 

Insgesamt eine schöne Fahrt, wir waren sogar zweimal baden im Rhein, beim zweiten Mal bin ich – unabsichtlich – untergetaucht. Also so eine Art zweite Rheintaufe, nachdem meine erste durch Reinspringen etwa 1972 in Bad Godesberg erfolgte. Dort war damals noch der Rhein ziemlich schadstoffbelastet und hatte einen eigenartigen Geruch, ähnliches rieche ich heute manchmal in der Nähe von Kläranlagen. Diesmal war es sehr erfrischend, ca. 12 Grad, aber mit Neopren geht das. Das Reinklettern in ein Schlauchboot ist aber nur mit Hilfe – oder mit bestem Training möglich.

 

Die Schlucht erweist sich als ein wechselseitiges Auftauchen sehr hoher Kalk- oder Mergelfelsen. Wegen ihrer Weichheit verändert sich ständig das Bild, weil immer wieder etwas abbröckelt. Wir sehen sogar eine kleine Geröll- Staub-Lawine niedergehen. Also sieht die Schlucht alle Jahre anders aus, und auch der Flußverlauf kann sich deswegen ändern.

 

Die Niederländer sind sehr unterhaltsam, die Frau schreit bei jeder größeren Welle, der Mann erklärt seinen Kindern geologische und meteorologische Phänomene, allerdings auf niederländisch. Aber etwas verstehe ich dann doch, verrate es aber nicht. Der Guide erläutert Besonderheiten am Weg und steuert professionell das Boot. Nach etwa zwei Stunden sind wir angekommen und wie beim Sportverein müssen wir das Boot aus dem Wasser tragen und auf den Hänger befördern. Danach das ganze wieder retour, die Neoprene kommen direkt in ein Waschbecken, wo die Guides von Hand die Sachen waschen. Ich bin nicht sicher, wie hygienisch das ist…Danach wie angekündigt und bestellt etwas zu Trinken und sogar Kekse und Cracker an einem kleinen überdachten Stand. Die Crew ist relativ schnell weg, da sie noch eine Tour an dem Tag hat.

 

Danach planmäßig zum Bahnhof gegangen und vorher noch den großartigen Zusammenfluss von Rein Anteriur und Rein Posteriur beobachtet. Es ist schwer auszumachen, welcher bedeutsamer ist, es ist tatsächlich etwa gleich. Das Ganze wirkt wie ein grüner See, offensichtlich gibt es hier ein natürliches oder künstliches Hindernis, das den Wasserfluss behindert. Interessant ist, dass Vorderrhein und Hinterrhein von gegenüberliegender Seite aufeinander zufließen und der Rhein als Ergebnis rechtwinklig, quasi als Resultierende abfließt. Es sieht sehr unnatürlich aus und ich kenne keine andere Situation in der Weise. Eigentlich fließen Zusammenflüsse immer in einem Winkel unter 90 Grad zusammen. Der Punkt wird durch das Schloss Reichenau markiert. Der Ort ist schon besonders, allerdings ist nichts natürliches mehr daran, weil hier bereits die Verkehrsstrecken (Bahn/Autobahn) große Bedeutung aufweisen. Am Bahnhof gleich einen Zug nach Chur, eine S-Bahn bekommen. Dort läuft alles nach Plan. Zuerst die überflüssigen Gepäckstücke bei der Post als Paket nach Hause geschickt, war aber etwas teuer, für den Zoll mussten 5 Blätter unterschrieben werden. Im Zeitalter der Digitalisierung muss das auch anders gehen.

 

Danach am SBB-Schalter das Fahrrad, bzw. die notwendigen Papiere und den Helm entgegengenommen. Von Vorkasse war mir nichts bekannt, aber ist in Ordnung. Das Fahrrad steht in der Velostation, wie es sich gehört. Es ist ein alufarbenes Tourenrad, das sich als extrem zuverlässig erweist, ich musste die ganze Zeit kein einziges Mal irgendetwas am Fahrrad richten, nicht mal aufpumpen. 27 Gang war auch interessant, ich lerne, dass man die durchaus sinnvoll einsetzen kann. Ob ein großer Gewinn gegenüber 21 oder 18 Gang dabei ist, kann offen bleiben. Also losgeschnurrt und Navi angeworfen.

 

Nach einiger Zeit bin ich wieder am Rhein, der sich jetzt aber total verändert hat. Das Bett ist reguliert, der untere Uferbereich Steinschüttung, wie auch weiter unten. Danach kommt ein Deich, später, im Bereich von Vaduz gibt es sogar einen Binnendeich dahinter. Für Fahrradfahrer ist der Deich praktisch, weil man auf der Krone schön geradeaus fahren kann. Leider habe ich richtig Gegenwind, teilweise sogar mit sehr starken Böen. Dadurch bin ich langsamer. Die Wolken ziehen sich zusammen, ich vermute baldigen Regenschauer und ziehe die Regenjacke an. Außer ein paar Tropfen merke ich aber nichts, es scheint aber vor mir geregnet zu haben, weil ich nasse Straßen befahre. Neben dem technischen Flussbett kommen jetzt noch weitere Errungenschaften der Zivilisation dazu. Zuerst sehe ich eine typische schweizer Felsfestung, dann begleitet ab diesem Punkt den Rhein eine Kette von Bunkern, so alle Km einer.

 

In Landquart kommt noch die tolle Errungenschaft der Outletzentren auf der Grünen Wiese hinzu, ähnlich Reumond und wie sie alle heißen.

 

Der Rheinradweg geht schön geradeaus, dann zeigt sich als erstes Signet von Lichtenstein die Burg Gutenberg rechts, ich muss aber noch daran vorbei nach Schaan-Vaduz. Nach einiger Zeit dann die Schloss Vaduz. Also bin ich bald da. Diesmal kein Berg am Ende der Tagesetappe. Das kommt morgen in Konstanz wieder.

 

Die Jh. ist wie erwartet, alles hat seinen Platz. Der Herbergsvater ist etwas hektisch, hat aber praktischerweise gerade gekocht. Also bestelle ich noch ein Essen und esse ganz gut Geschnetzeltes mit Spätzle und Salat. Es gibt auch Nachtisch, den ich aber nicht mehr schaffe. Jeder Gast hat einen Schrank, meine Zimmergenossen lerne ich eigentlich nicht kennen, als ich ankomme, war keiner im Zimmer. Allerdings sind alle Betten irgendwie belegt, der Herbergsvater muss klären, welches eigentlich leer ist. Die Jh. ist ausgebucht. Dies erklärt sich vor allem durch die belegten Familienzimmer. Dort hauptsächlich Familien mit Migrationshintergrund und mehreren Kindern. Die machen auch spätabends leider noch etwas Lärm. Meine Zimmergenossen sind, wie sich herausstellt alle jugendliche Sportler über 18, entweder Basketballer oder Radfahrer. Ich sehe noch eine koreanische Familie, die ihre mitgebrachten Lebensmittel isst und zwei Tischtennis-Mädchen. Viele sind allerdings mit dem Auto da, die Parkplätze reichen nicht. Das mit dem Wäsche-Waschen funktioniert so la-la, habe alles in der Trommel bei 60 Grad gewaschen, leider hat das blaue Wanderhandtuch etwas abgefärbt (meine Frau sagt: wie doof muss man sein…). Der Trockner hat zwar gearbeitet, aber richtig trocken wurde es nicht. So habe ich alles noch mal auf die Leine gehängt, leider waren einige Stücke auch morgens noch feucht, so dass ich diese feucht einpacken musste. Bin dann gegen 22:30 Uhr etwas später ins Bett, wegen der Trockenmaschine.

 

Rheinreise 9.8.2018

Morgens um 6:00 Uhr klingelt bei meinem ersten Zimmernachbarn das Weck-Handy. Ich hatte meins auf 7:00 gestellt, weil der Wirt das Frühstück um 7:30 Uhr in Aussicht gestellt hatte. War dann aber wach und Frühstück, dank meines frühen Nachbarn, schon um 7:00 Uhr bekommen. Wieder leckere Ovaomaltine zu mir genommen. Frühstück war gut. So bin ich dann schon um 8:10 Uhr weggekommen.

 

Heute ist der Tag der Grenzen. Man lernt ja schon in der Schule einiges über den Rhein und seine Grenzfunktion. „Der Rhein – Deutschlands Strom nicht Deutschlands Grenze“ etc. etc. . Das gilt mit Sicherheit für das heilige römische Reich deutscher Nation. Mit der Aufteilung des Reichs und dem Beginn der modernen Staatenbildung sind Flüsse natürliche geografische Zäsuren, die zur Grenze erklärt werden. Gestern habe ich diese Grenzlinie von der Schweiz nach Lichtenstein überquert. Es war aber nicht mehr als ein Signet in der Brücke, da Lichtenstein quasi vertraglich alle Systemelemente der Schweiz übernommen hat. Heute wieder zurück in die Schweiz, ich wechsle noch mal die Rheinseite. Das Rheinbild ändert sich jetzt prinzipiell nicht mehr, Fluss, links und rechts Uferbefestigung und Deiche. Weiter unten Richtung Rheinmündung in den Bodensee gibt es noch einmal Deichvorland, allerdings vor allem auf der österreichischen Seite. Die erreiche ich dann bei der nächsten Rheinquerung auf die rechte Seite, hier ist die Grenzmarkierung schon etwas deutlicher, sogar eine Betonbarriere ist vorhanden, aber nicht in den Weg gestellt. Schließlich kommt man jetzt in die EU. Nächste Querung wenige km weiter wieder in die Schweiz, hier im Zuge einer überregionalen Straße, es gibt das ganze Programm von Zollstationen. Allerdings keine sichtbaren Zöllner. Die gibt es dann bei einer Fuß- und Radweggrenze, ich glaube, es sind die Schweizer, die hier patrollieren, aber keinen anhalten. Dann bin ich länger in Österreich.

 

Hier entwickelt sich eine schöne Natur- und Erholungslandschaft, die sich um den alten Rhein herum entwickelt hat. Auch eine tolle Pflanzen- und Tierwelt auf dem Wasser mit flächenhaften Seerosen. Offensichtlich wechseln sich stehende oder fast stehende Gewässer mit fließenden Gewässern ab. Hier gibt es auch viele Campingplätze und Schwimmbäder, bei einem sogar ein Radlercafe- habe dort ein Radler getrunken, habe aber die Menge zu groß gewählt.

 

Dann komme ich zur letzten Rheinbrücke vor der Rheinmündung in den Bodensee. Weiter geht’s, da ja noch diese Mündung erreicht werden soll. Der Weg wird schlechter, aber eine Menge Autos folgen ihm. Der Grund ist einfach: Das erste Mal sehe ich den Bodensee weit vor der Rheinmündung, weil der Rhein sich mit seinem Delta und den begleitenden Dämmen weit hineingeschoben hat. Am Anfang des Bodensees liegt eine große Marina mit vielen Booten. Begleitet von einem Restaurant und einem FKK-Strand. Das ganze scheint eine große Attraktion auszuüben. Weiter geht’s auf Schotterpiste zu einem grandiosen Aussichtspunkt, der dankenswerterweise über das Komoot-System in meinem Navi war, obwohl es letztlich nur ein Schotterhaufen ist, der bei irgendwelchen Arbeiten entstanden ist. Ausgeschildert ist er nicht. Hier sieht man die ganze Bodensee-Landschaft einschließlich der Rheinmündung. Dabei tolle Sonne, ein Traumbild von Landschaft. Neben der eigentlichen Rheinmündung hat sich eine Lagunenlandschaft herausgebildet (bzw. ist herausgebildet worden), die Heimat von ganz vielen Vögeln geworden ist, es ist richtig vogellaut.

 

Ich bleibe aber nicht lange sitzen, weil ich meinen Zeitplan noch nicht ganz richtig abschätzen kann, schließlich geht um 14:30 Uhr das Schiff in Bregenz ab. Also zurück zur Rheinbrücke und die Landstraße nach Bregenz genommen. Das Navi schickt mich an der Landstraße entlang und nicht den Radweg, der etwas länger ist. So komme ich schon um 13:30 Uhr am Bregenzer Hafen an, bei einer brütenden Hitze. Jetzt noch fahren zu müssen wäre grässlich. So kaufe ich das Ticket und ein Eis und setze mich im Schatten auf eine Ufermauer, neu gestaltet, alles wunderbar. Schöne Atmosphäre, die Innenstadt fand ich nicht so bemerkenswert, bin mit dem Fahrrad durchgefahren.

 

Dann aufs Schiff, nicht das schicke hochmoderne, das ist nur für Touristenschnickschnack, Krimidinner, Champagner-Tour etc. da, es wird gefühlt immer schlimmer. Mein Schiff ist die „Stuttgart“ der gute alte Typ, sicher bin ich als Junge damit schon gefahren. Innen wurde renoviert, alles schön. Ein Blick auf die ausgehängte Schiffsinformation zeigt, dass die Stuttgart schon 1960 in Dienst gestellt wurde. Also gehöre ich heute bestimmt zu den Gästen, die das Schiff am längsten kennen, sozusagen „mein“ Schiff. Mit Oma haben wir ja häufig Schiffstouren gemacht, allerdings nur kurze Strecken, zur Mainau, nach Überlingen und nach Meersburg. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir bis nach Friedrichshafen gefahren sind. Ich stelle mein Fahrrad im Heck ab und setze mich rein.

 

Das Schiff klappert die Städte und Orte am deutschen Ufer ab, erster Halt ist Lindau, dann kommt Wasserburg etc., ich habe es nicht behalten. Viele Orte habe ich aber aus früherer Zeit nicht im Kopf, war ich schon mal in Hagnau? Liegt zwischen Immenstaad und Meersburg. Schon hinter Lindau sieht man die gelben Blinklichter. Es ist also Sturmwarnung und tatsächlich zieht es sich zu, das Wasser wird immer rauher. Wind kommt auf. Über dem See sehe ich wohl Regen, aber wir bekommen keinen ab. Bei der Fahrt nicke ich ein paarmal ein, es fehlte doch etwas Schlaf. Die rauhe See motiviert Drachensurfer, Surfer etc. zu besonderer Anstrengung, einer ist gekentert und wurde vom Zoll abgeholt. Jetzt, gegen 17:15 Uhr, ist der See fast leer von Sportbooten in Seemitte, am Rand gibt es noch hauptsächlich Surfer. Da könnte ich jetzt auch gut mitmachen, etwas Übung noch vorausgesetzt.

 

Das Schiff ist im Ganzen nicht sehr voll, das Oberdeck ist etwas besser besucht. Die vollste Teilstrecke ist von Bregenz nach Lindau.

 

Das Thema Kirchen kam ja schon einmal auf. Jeder Ort hat mindestens eine Kirche mit dem typischen Bodensee-Turm. Der ist ja wohl abgeleitet von dem berühmten Reichenauer Kloster, das seinen Ursprung im 8. Jh. hat, also etwa gleichalt mit Disentis. Man müsste eigentlich mal eine Bodensee-Kirchentour machen, um die Beziehungen der religiösen Standorte am Bodensee untereinander zu erleben. Keine Ahnung, ob es hier wissenschaftliche Untersuchungen gibt, man kann aber davon ausgehen, da die Reichenau soweit ich weiß, bestens untersucht ist.

 

Gerade sehe ich ein in den Hafen fahren. Klein, ein Mann Besatzung. Ich weiß nicht, wie das heute noch wirtschaftlich geht. Wahrscheinlich Hobby- oder Teilzeitfischer. Draußen immer noch Sturmwarnung. Starker Wind, aber kein Regen, keine geschlossene Wolkendecke, aber wohl mehrere Wolkenhorizonte. Es kann also noch etwas kommen. Hoffentlich erwischt es mich nicht auf der Fahrt vom Hafen zur Jugendherberge. Das sind nämlich noch ein paar Meter.

 

Jetzt geht es doch um die eigene Geschichte. Meersburg – ein klingender Name aus meiner Kindheit. Wie oft war ich dort, meine Oma war zeitweise Gemeindesekretärin einer dortigen Kirchengemeinde, interessanterweise hatte diese Stellung meine Mutter kurzzeitig auf dem Heiderhof auch inne. Ob es hier ein genetisches Phänomen gibt? Die Stellung meiner Oma lag allerdings an familiären Beziehungen, dort war ein Konradi Pfarrer. Auf jeden Fall führte das zu häufigen Besuchen im dortigen Pfarramt, ich habe es sehr idyllisch im Kopf, eher ländlich gelegen, mit großem Garten, viele Kinder und Kutschenfahrten eingeschlossen.

 

Natürlich hat Meersburg auch für die deutsche Literatur eine Bedeutung, hier hat Freifrau von Droste-Hülshoff eine einige Zeit bis zu ihrem Tod gelebt. Das wurde auch damals erzählt, aber ohne die dazu gehörende Gedichtsrezitation. Also bin ich kein Droste-Hülshoff-Adept geworden, in der Schule gab es nur den Knaben im Moor, schaurige Geschichte. Allerdings hat sie mehrmals Reisen an den Rhein gemacht und hat Bonn oft besucht, dort auch Verwandte und Freunde gehabt. Ein Rheingedicht von ihr ist mir aber nicht bekannt, aber immerhin eins zum Bodensee.

 

 

Da haben wir sie ja schon, die Rheinromantik schimmert in einigen Zeilen durch. Jetzt beim Anlegen in Meersburg sehe ich schon die Mainau, das Lieblingsziel von meiner Oma. Ich kann mich nicht tatsächlich erinnern, aber es gibt schöne Fotos im blauen Kinderanzug. Aber vielleicht habe ich von dort meine Liebe zu Pflanzen und Parks gelernt, es wäre weder eine Überraschung noch bedauerlich. Heute führt das dazu, dass ich in jeden erreichbaren Park von Bedeutung gehe, einschließlich der Gartenschauen. Zum Glück teile ich das mit Corinna. Das Wetter wird immer düsterer, Regen ist aber noch nicht in Sicht. In Meersburg wird es wieder voll. Die Leute stürmen richtig das Schiff. Jetzt wird das Licht angemacht. Verschiedene größere Gruppen, die übliche Urlaubsgesellschaft. Alter: gemischt. Nachdem bis eben mein Fahrrad noch eines der letzten wenigen war, hat es jetzt wieder Gesellschaft, vor allem e-Bikes. Es regnet noch immer nicht, aber der Wind nimmt weiter zu. Von Ferne sieht es so aus, dass über Konstanz eine Regenwolke hängt. Das wäre ja sehr passend. Die Leute am Heck werden beim rückwärts ausfahren gerade von großen Gichtspritzern erwischt, was zu großer Erheiterung bei anderen führt. Das Schiff dreht und alles ist wieder gut.

 

Die Burg Meersburg ist mal wieder eingerüstet. Diesmal ist es die untere Mauer samt dortigem Palastgebäude, seeseitig. Ich bin nicht sicher, ob ich diese schon mal ohne Gerüst gesehen habe. Die Wellen wären mit dem Segelboot jetzt schon eine Frage des Könnens….Das österreichische Ufer ist wegen Diesigkeit oder Regen nicht mehr zu sehen, die Alpenkämme kann man aber noch erahnen. Nicht vergleichbar mit der Sicht heute mittag. Das ganze Wetter hat sich in wenigen Stunden gedreht.

 

Zwischen Meersburg und Konstanz-Staad starker Fährverkehr. Man sieht pro Richtung zwei Fähren. Neben dem alten, hoch gebauten Typ, an den ich mich auch noch erinnere, gibt es auch neuere, etwas flachere Schiffe. Ich fahre jetzt doch bis Konstanz, muss dann mit dem Rad wieder ein Stück zurück fahren. Bin nach der langen Pause aber hoffentlich fit genug dafür. Die Hafeneinfahrt will ich mir nicht entgehen lassen. Gerade ist der Otto-Moerike-Turm der Jh. in Staad schon zu sehen. Leider ist hier wieder ein Anstieg zu bewältigen, vielleicht im Regen. Wenn ich ein Zimmer oben bekomme, kann ich vielleicht auf die Mainau schauen. Jetzt kommen wir am Schwimmbad Staad vorbei, wo wir als Jungs auch oft waren, ich erinnere mich noch, dass mein Vater extra ein Schlauchboot gekauft hat für diese Zeit, das dann allerdings lange ungenutzt im Keller lag. Ist wohl irgendwann auf dem Sperrmüll gelandet. Und schließlich Konstanz. Ich liebe die Figur der Imperia, die sie am Hafeneingang installiert haben. Quasi mit dem Bau der Imperia ist auch die Umwandlung des Hafens in einen touristisch geprägten Bereich vollzogen worden, das miefige der Kleinstadt ist hier etwas überwunden worden, man kann das auch am Seenachtsfest ablesen, das einen recht modernen Anstrich erhalten hat.

 

Ich werde wohl nicht mehr auf dieser Reise den Wohnplatz meiner Oma besuchen, fahre später am Abend immerhin mit dem Bus an der Muntpratstraße vorbei. Es reicht aber der Anblick der Stadt, des Hafens und des Konzilgebäudes. Dieses ist ja durch die unrühmliche Verbrennung des „Ketzers“ Johannes Hus 1415 bekannt geworden. Zur Erinnerung: Er kritisierte den weltlichen Besitz der Kirche, die Habsucht des Klerus und dessen Lasterleben. Er kämpfte leidenschaftlich für eine Reform der Kirche, trat für die Gewissensfreiheit ein und sah in der Bibel die einzige Autorität in Glaubensfragen. Damit widersprach er der der Doktrin der Amtskirche, nach der in Glaubensfragen der Papst die letzte Instanz sei. Er wollte im Gottesdienst die Landessprache verwenden. Alles kann man auch heute noch unterschreiben. Die Verbrennung von Hus zeigt zumindest, dass die katholische Kirche eigentlich schon immer mit freigeistlichen Menschen zu kämpfen hatte und in der Regel den Weg der Unterdrückung wählt. Hätte sie diese doch mehr machen lassen. Zum Glück sind manche ja dann doch mit dem Leben davon gekommen, wie Meister Eckehard, der dann bei der Passage von Straßburg noch zu würdigen wäre. Johannes Hus hat es persönlich nicht geschafft, so dass die Geschichte sich bis zur Reformation noch zuspitzen musste. Schönes Gebäude trotzdem….

 

Mit der Imperia, die sich satirisch mit dem Konzil befasst, hat es Konstanz 1993 geschafft, sich vom damaligen Konzil zu distanzieren und den Makel der Stadt abzustreifen. Zur Imperia so viel: Gezeigt wird eine üppige Kurtisane mit erotischer Ausstrahlung. Auf ihren Händen trägt sie zwei zwergenhafte nackte Männlein. Diese stellen einen König mit Krone und Reichsapfel und einen Papst mit Tiara dar. Der Künstler Peter Lenk sieht die Figuren als Gaukler, die sich die Insignien der Macht widerrechtlich aufgesetzt haben, die aber durchaus auch auf die damaligen real existierenden Machtvertreter hinweisen. Die Figurenkonstellation erinnert an die Mätressenherrschaft der römischen Amtskirche. Auch das Patriarchat in Politik und Kirche wird aufs Korn genommen. Das Vorbild ist eine Erzählung von Honoré de Balzac „La belle Impéria“ von 1832–1837, die zur Zeit des Konstanzer Konzils spielt. Balzac nimmt vor allem die Doppelmoral der Geistlichen der Katholischen Kirche aufs Korn. Die Helden seiner Erzählung sind die sinnenfreudige Imperia und ein „armes Pfäfflein“, ein junger, naiver Geistlicher, der sich in sie verliebt.

 

Das Schiff kommt um 18:15 Uhr an, ich stelle fest, dass sich Konstanz auf das Seenachtsfest vorbereitet. Früher war das nur an einem Tag, jetzt fängt man schon am Donnerstag an, so dass ich noch in den Genuss eines Festabends komme. Jetzt noch den Berg rauf zur Jh. Gigantisches Ensemble um den Otto-Moerike Turm. Dieser wurde Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts gebaut, um die neuen Stadtteile von Konstanz mit Wasser zu versorgen. Oben ist daher der Wasserbehälter. Der damalige Bürgermeister Moerike hatte dann die Idee (zumindest wird die Legende so verbreitet, wer die Idee wirklich hatte, ist offen), die ungenutzten unteren ca. 20-25 m zur Jugendherberge auszubauen, die dann 1931 eingeweiht wurde. Die heutige besteht im Wesentlichen in modernen Anbauten, gut gemacht. Ich bekomme tatsächlich ein Bett im 8. Stock des Turms, also ganz oben, natürlich ohne Fahrstuhl. Das Zimmer ist nur durch Ausschalten der Brandmeldeanlage zu erreichen, die sich nach Schließen der Tür wieder einschaltet, also sehr sichere Situation, sehr schöner Blick aus dem Fenster auf den Bodensee, der immer noch stürmisch ist und stürmisch bleibt. Abends dann noch in die Stadt zum Stadtgartenfest gefahren, da in der Kurtaxe die Busfahrt drin ist. Dort Käsespätzle gegessen, und eine Orangenlimonade. Irgendwie kann ich kein Bier sehen, ich hatte in den letzten Tagen so einen bitteren Geschmack und den Eindruck, dass eine gewisse Übersäuerung vorliegt, also in der nächsten Zeit nur säurearme Gerichte. Klappt gut, am nächsten Morgen geht es deutlich besser. Gegen 23:00 Uhr bin ich im Bett. Die Jungen im Zimmer (bei vier Personen zwei Jugendliche über 18, zwei ältere Männer)  haben das Fenster aufgelassen, ich denke, mal sehen. Irgendwann nachts muss ich es zumachen, weil der Sturm so um den Turm tobt, dass man nicht schlafen kann. Es fängt aber wohl erst morgens an zu regnen.

 

Rheinreise 10.8.2018

Beim Frühstück mit dem älteren Mitbewohner unterhalten, er wandert solo und geht heute in Richtung Süden in die Schweiz. Auch nicht sehr gesprächig, sehr sympathisch. Just in dem Moment, wo ich losfahre (ich hatte schon zum Frühstück alles gepackt, damit ich nicht noch mal 8 Stockwerke machen muss), fängt es an zu regnen. Also volle Regenmontur an und weiter. Erstmalig bin ich wirklich nass, witzigerweise scheint es nicht die Schuhe erwischt zu haben. In Konstanz erst mal die Fahrkarten gekauft. Die nur mittel freundliche Dame an der Kasse sagt, dass das Schiff heute wegen des Wasserstands nur bis Stein am Rhein fährt. Da ist nichts zu machen und bedeutet, dass ich 19 km mehr Fahrradstrecke habe. Ich beschließe, heute nicht meine Naviroute zu verwenden, sondern den offiziellen Rheintalradweg zu fahren in der Hoffnung, dass ich ein paar Kilometer sparen kann.

 

Ich nutze die Zeit, um an einem Automaten im Hafen eine personalisierte Karte mit Foto zu machen und zu verschicken, real an meine Mutter, digital an meine Frau. Danach mache ich noch einen Abstecher zum Kaiserbrunnen. Bei dem ist mir schon am Tag davor aufgefallen, dass die Figuren von Gernot Rumpf ( in diesem Fall zusammen mit seiner Frau Barbara) sein müssen. Immer wenn ich einen Brunnen von ihm sehe, werde ich fröhlich. Ihm habe ich viel zu verdanken, vor allem den Blick auf die Dinge. Ich war leider ein nicht so guter Schüler, aber ich glaube, ich habe etwas von einer bestimmten Art, Wirklichkeit wahrzunehmen, ihm zu verdanken. Fotografiere die Objekte des Brunnens. Der Kaiserbrunnen ist eigentlich aus dem 19. Jh. Seit den 90er Jahren des 20. Jh. zieren unter Hinweis auf das bekannte Konstanzer Konzil ein dreiköpfiger Pfau mit drei Papstkronen, "Seehasen" und weitere karikaturistische Figuren den Brunnen. Der dreiköpfige Pfau symbolisiert die Spaltung der abendländischen Kirche, als drei Päpste gleichzeitig Anspruch auf den Heiligen Stuhl erhoben, was auch zum Konstanzer Konzil geführt hatte. Natürlich gibt es auch hier Fabelwesen, in KL waren das „Elwedritsche“

 

Dann aufs Schiff, es ist, wie erwartet, ein schweizer Schiff, daher auch die höheren Preise. Sehr gepflegte Einrichtung, mit drei Frauen in der Bedienung, ich weiß nicht, auf wen die warten, die vertreiben sich zwischendurch die Zeit mit Servietten falten. Im Salon sitzen neben mir (Steckdose gefunden!) nur noch zwei Gruppen. Verdienen tun die in der Gastronomie heute auf jeden Fall nicht viel. Auch das Schiff pendelt heute über die Grenze, die ja im Rhein verläuft, abwechselnd wird ein deutscher und ein schweizer Anlegeort angefahren (nicht genau abwechselnd). Der Rhein ist jetzt schon grün, aber wieder klarer.

 

Jetzt fängt der Untersee an, nächster Halt ist Gottlieben. Die Landschaft wird stark von Schilfbestand geprägt. Viele Schwimmvögel, Taucher, Schwäne, Enten, nahezu ein Paradies. Gottlieben- auch ein schöner Klang für mich, da wohnte Tante Gertrud, und ich erinnere mich an die Gottlieber Hyppen und das Schloss von Lisa della Casa, steht direkt am Rhein. Sie hat hier über 60 Jahre gewohnt. So verbindet sich hier auch am kleinsten Ort die Kultur mit dem großen europäischen Strom. Das Haus von Tante Gertrud (die in Wirklichkeit keine Tante, sondern eine entfernte Verwandte aus dem Konradi-Stamm war, vielleicht eine Cousine von meiner Oma) kann ich vom Schiff aus sehen. Jetzt öffnet sich der Untersee, weiterhin sieht man vor allem Schilf. Eine große Marina in Gottlieben.

 

Vom Kloster Reichenau sieht man nicht viel, aber Vögel-Vögel-Vögel. Die bekannte Pappelallee gibt es immer noch. Habe die Kirche Unterzell fotografiert. Der Schiffshalt Ermatingen ist mir nicht bekannt, obwohl er direkt neben Gottlieben liegt, so stark war man früher auf einzelne Orte fokussiert. Die Reichenau kenne ich deswegen so gut, weil meine Oma dort einen Bauern kannte, den Herrn Bannholzer. Das scheint eine Beziehung aus der Kriegs- oder Nachkriegszeit gewesen zu sein, auf jeden Fall hat er zeit seines von mir wahrgenommenen Lebens, er war schon ziemlich alt, meiner Oma immer Gemüse umsonst oder sehr billig gegeben. Die Reichenau ist ja ein bekannter Obst- und Gemüseanbaubereich. Was die Gegenleistung war, weiß ich nicht. Dafür fuhr sie gefühlt einmal in der Woche mit dem Käfer auf die Reichenau, und wenn wir da waren, sind wir mit. Auch für uns Jungs gab es immer etwas Obst o.ä.. Meine Oma hatte es nicht so mit Kultur, die Bedeutung der Reichenau habe ich erst später von meinem Vater erfahren, und schließlich im Studium, wo ich mit vertieft mit der romanischen Baugeschichte beschäftigt hatte. 

 

Ab hier gibt es kein Schilf mehr. Links tront Schloss Arenenberg, wo irgendeine Verwandte von Napoleon gewohnt hat...Hab noch mal nachgeschaut: Es war zeitweise Wohnsitz der vormaligen holländischen Königin Hortense de Beauharnais und des späteren französischen Kaisers Napoléon III. Interessant, dass der Ort ursprünglich „Narrenberg“ hieß, was aber in einigen Ohren wohl nicht vornehm genug gewesen sein mag…

 

Komme an einer Kinderregatta vorbei, Optis und ein Laser. Das Wetter wird besser, also kann ich mit einer leichten Bewölkung und nicht mehr so heißen Temperaturen für meine Tour rechnen. Diese wird ja jetzt, da das Schiff nur bis Stein am Rhein geht, dann 72 km lang und wäre dann die längste Etappe. Ob ich das schaffe, ist noch unklar, ich werde etwas abkürzen und den offiziell ausgeschilderten Rheintalweg nehmen.

 

Gegenüber liegt die Höri, eine Landzunge im See. Dann kommt Gaienhofen und Wangen. Auf der Höri war zur Zeit des Nationalsozialismus eine Künstlerkolonie von expressionistischen Künstlern, die als entartet eingestuft waren und offiziell nicht mehr arbeiten konnten. Hier waren zum Beispiel Erich Heckel und Otto Dix. Aus Erbmasse habe ich eine Drucksammlung des Künstlers Hugo Boeschenstein, die leider nicht mehr vollständig ist, mit dem Titel „Wangen“. Ich tippe, dass mein Vater diese bei seinem Aufenthalt in Wangen bei dem auch ich glaube Stella dabei war, gekauft hat und dann zwei Blätter zum Aufhängen entnommen hat. Diese Blätter fehlen jetzt. Das Wetter wird immer besser, ich hoffe, dass noch ein paar Wolken übrig bleiben.

 

Steckborn- kleines Schlösschen am Wasser, sieht nach nettem Ortsbild aus. Der Name sagt mir etwas, also war ich in der Kindheit wohl schon mal hier. Große Marina. Der Untersee verengt sich jetzt wieder, es geht bald wieder in den Flußabschnitt über. Die Landschaft ist jetzt sehr sanft, leichte Hügel, die den Blick in die Ferne verstellen, wo dann die Alpen sichtbar wären...Sehr ruhige und unaufgeregte Landschaft. Wäre auch ein schönes Segelrevier, allerdings sind gerade, abgesehen von der eben registrierten Kinderregatta hier wenig Boote auf dem Wasser, obwohl am Ufer viele Boote liegen. Auch hier noch einiges an Obstbau, allerdings dominieren Wälder und Wiesen, wenig Ackerbau. Es sieht so aus, dass einige Felder sehr geordnet strukturiert sind, Es gibt wohl etwas Weinbau hier. Es könnte aber auch Obstbau sein. Später gibt es wirklich Weinbau, ich fahre vor und nach Schaffhausen durch einige Weindörfer, es gibt Weingüter mit Weinverkauf, aber nirgendwo ist etwas los, so dass ich nicht in Versuchung komme.

 

Jetzt sind wir in Wangen…Die vielen Segel- und Motorboote. Man müsste mal ausrechnen, welcher Wert auf den Weltgewässern nur so rumsteht und auf gelegentliche Benutzung wartet. Geld, das nur für den luxuriösen Zeitvertreib gebunden ist. Wenn man die Preise kennt (ich war dieses Jahr auf der Boot in Düsseldorf), wird einem schwindlig. Andererseits wird durch das Freizeitinteresse besitzender Kreise auch die Wirtschaft gefördert und Arbeitsplätze geschaffen, bzw. gesichert. Bootsbau ist noch eine arbeitsintensive Herstellungstechnik. Trotzdem… Wenn man dann noch den hier weitgehend leer stehenden Wohnraum in den Booten betrachtet, stehen hier Überkapazitäten den knappen Verhältnissen in den Ballungsräumen massiv gegenüber usw. usf. .

 

Hinter Öhningen fängt der Rhein wieder an, und man merkt sofort den Niedrigwasserstand. Das Schiff fährt regelrecht Slalom zwischen den Fahrrinnenmarken. Jetzt wieder Schilf und viele Vögel, vor allem Schwäne, noch nie so viele Schwäne auf einer Stelle gesehen. In der Ferne eine Kolonie Gänse? Überraschenderweise gibt es nicht so viele Möven, wie ich es vom Bodensee in Erinnerung habe. Vielleicht gibt es weniger Fisch.  

 

Ab dem Bodensee ist der Rhein wieder klar, der ja kalkbefrachtet in den Bodensee eingeflossen ist. Offensichtlich haben die Schwebstoffe ausreichend Zeit gehabt, sich abzusetzen. Der Fluss hat jetzt eine blau- grüne Farbe. Dadurch sieht er tiefer aus, als er vielleicht ist. Bei Geilingen und Dissenhofen ist wieder eine schöne Holzbrücke zu bestaunen, generell im Süden freut einen, dass die Stadtoberen dafür sorgen, dass Brücken mit Blumen geschmückt sind. Später zeigt Schaffhausen auch bei modernen Brücken ein tolles Beispiel. Trotz Trockenheit sind die Blumen in gutem Zustand, also gute Pflege.

 

Auch der heutige Tag steht unter dem Thema Grenze. Nach Geilingen und Dissenhofen kommt Büsingen. Die Gemeinde ist deutsch, liegt aber vollständig in der Schweiz. Um also nach Büsingen zu kommen muss man immer in die Schweiz einreisen und dann wieder nach Deutschland einreisen. Ich weiß nicht, was sich die Grenzzieher irgendwann hier gedacht haben, man muss sich ja auch vorstellen, dass bis vor nicht allzu langer Zeit die Grenzen personell besetzt waren, also ein sündhaft teurer Spaß.

 

Hier ist der Rhein schon aufgestaut durch den Sperrriegel, der den Rheinfall verursacht, er ist also mehr ein langer See. Hier gibt es wirklich ruhige Orte, der Verkehr wird über weiter entfernt liegende Strecken geleitet. Das fällt mir dann kurz vor Schaffhausen auf, bei der Ortslage im Stemmer (deutsch, rechtsrheinisch) und gegenüber Langwiesen (schweizerisch, linksrheinisch). Die Zufahrt auf Schaffhausen (rechtsrheinisch, schweizerisch, die Grenze wird nur durch das Ortsschild markiert) ist sehr malerisch. Im Rhein liegen Boote, die an die Stechboote in Oxford erinnern, ich sehe immerhin eins in Betrieb, es liegen aber bestimmt 50 dort. Sehr malerisches Ufer mit naturnaher Promenade, man sieht die Silhouette und natürlich den Munot.

 

Der Rheinfall ist ja nicht wirklich in Schaffhausen, sondern nahe des Örtchens Neuhausen. Was Schaffhausen für mich immer ausgemacht hat, war der Munot. Das ist die einzige Burg, die Ende des 16. Jh. nach einer Zeichnung von Albrecht Dürer gebaut wurde. Er hatte sich, ganz der Renaissance-Mensch, in vielen Künsten geübt. Ich habe nicht mehr im Kopf, ob die Burg erobert wurde, auf jeden Fall steht sie noch/wieder vollständig. Noch Besuch im Münster, das vollständig nach dem Hirsauer Bauplan erstellt wurde, das Langhaus ist in der ursprünglichen Fassung noch erhalten und strahlt wirklich die Ruhe und geistige Durchdringung aus, die man erwartet. Der Ort ist vielleicht meiner Aufzählung wichtiger Kirchen am Rhein hinzuzufügen.

 

Schließlich der Rheinfall, nachdem wegen Bergsturz ein Umweg gefahren werden musste durch Neuhausen, muss man nicht gewesen sein. Als erstes fällt mir auf, dass direkt beim Rheinfall die Firma SIG Kombiblock ein großes Werk hat. Mit der Firma habe ich ja auch in Linnich zu tun. Also mit dem Rad runter. Der Rheinfall sieht immer noch aus, wie bekannt. Das Touristengeschehen hat sich aber geändert. Zum einen gibt es bestimmt mehr, heute ist Freitag mittag und es ist rappelvoll. Auf den Aussichtsterrassen direkt am Rheinfall drängeln sich die Leute, die Rundfahrtboote karren immer mehr Menschen auf die Aussichtsterrassen, an der Kasse für die Rundfahrten steht man Schlange. Geändert hat sich auch die Zusammensetzung der Touristen. Es ist wirklich international, man hört alles Mögliche. Optisch fallen die arabisch-geprägten Menschen auf, man kann ja nicht erkennen, ob das integrierte, Touristen oder Flüchtlinge sind. Es dominieren noch nicht mal die Chinesen oder Japaner, obwohl die natürlich auch da sind. Das touristische Geschehen konzentriert sich gänzlich auf den Ort und die Ufer, von denen aus man den Rheinfall sehen kann. Da dieser auch eine Flusskurve markiert, sind die nutzbaren Abschnitte vielleicht 500 m lang. Wenn man oben ins Tal steigt, kann man das noch nicht sehen. Es gibt natürlich die üblichen Einrichtungen und weiter oberhalb einen riesigen Parkplatz, an dem ich dann vorbei radle. Im nächsten Ort, Nohl, durch den ich fahre, sieht man die Auswirkungen des Konzentrationsprozesses. Einige Gaststätten gab es hier früher, Rheinaue etc. genannt. Alles zu. Auch keine andere Fremdenbeherbergung scheint hier mehr zu existieren. Die Leute kommen offensichtlich mit Auto oder Fahrrad, machen eine Schiffstour 30 min, essen einen Snack, machen ihre Fotos und fahren wieder. Eine breitere Ausstrahlung in die Region scheint der Rheinfall touristisch nicht zu haben.

 

Ich fahre weiter, der Weg führt aber nicht, wie der Name Rheintalweg suggeriert, entlang des Rheins, sondern über das Hinterland. Dies hat wohl topografische Gründe, weil hier der Rhein wieder in einer Schlucht verläuft und einen großen Bogen macht, den ich jetzt abkürze. Jetzt komme ich wieder in Grenzgebiet, es folgen einige Grenzübertritte in beiden Richtungen. Dies ist  eine familiär bedeutsame Region. Während der Bodensee durch die Familie meiner Mutter geprägt ist, ist die Grenzregion zwischen Schaffhausen und Waldshut durch die Familie meines Vaters geprägt. Das Thema Grenze ist ja schon länger für die Tour von Bedeutung. Da passt es gut, dass beide Großväter von mir Grenzer waren. Mein Opa mütterlicherseits versah seinen Grenzdienst in Konstanz, ich kenne noch die Wohnung direkt am Zoll Kreuzlingen. Wir spielten, wenn wir da waren, auf beiden Seiten der Grenze, da die Zöllner uns kannten. Auf der Schweizer Seite wohnte Tante Helene, wohl eine Freundin meiner Oma. Da lernten wir die guten Schweizer Süßigkeiten kennen, sogenannte Bouchés (eine Art Caramelriegel mit Schokoüberzug in Alufolie) und Schokolade (am besten die weiße mit Crisp) die wir später dann im Migros bei Tante Helene um die Ecke kauften. Gesundheitlich war die Wohnung aus heutiger Sicht kritisch, da die Autos noch Blei im Benzin hatten und die Fenster direkt auf die auch damals schon existierenden Autoschlangen zeigten.

 

Mein anderer Opa wurde dann erst kurz vor und nach dem Krieg zum Grenzer. Er war ja ursprünglich bei der Marine und ist 1938 aus dem Dienst regelgerecht ausgeschieden. Danach wollte er mit dem ganzen nichts zu tun haben und organisierte sich einen Grenzer-Posten in entgegengesetzter Richtung von Wilhelmshaven, seinem ursprünglichen Dienstort und Geburtsort meines Vaters, also an der Schweizer Grenze. Dorthin zog dann auch die ganze Familie in das Örtchen Grießen in der Nähe von Waldshut. Sein Grenzdienst bestand in der Grenzbegehung in Rheinnähe, also genau hier. Lange währte das aber nicht, da er mit Kriegsausbruch wieder eingezogen wurde, so dass er sowohl im Krieg, als auch danach als Minenräumer arbeitete. Ein Wunder, dass er da heil herausgekommen ist. Die Familie blieb in Süddeutschland. Nach seiner Rückkehr machte mein Vater noch Abitur in Waldshut, also wohl 1948 oder 1949. Danach zog dann die Familie nach Freiburg, wo Opa dann bei der Oberfinanzdirektion seine letzten Dienstjahre bestritt und mein Vater die Finanzausbildung begann. Von der Grießener Zeit weiß ich von meinem Vater, dass er noch minimal in Kriegshandlungen einbezogen wurde, er hat wohl mal Granaten auf dem Fahrrad transportiert. Die amerikanische Besatzung (bin an einem amerikanischen Saloon vorbeigefahren, die Erinnerung lebt also noch) hat mein Vater als im Wesentlichen kultiviert beschrieben, er hat Kenntnis nur von einer Vergewaltigung durch Besatzungspersonal mitgeteilt. Ganz anders als in Freudenstadt, wo durch französische Besatzungstruppen eine regelrechte Massenvergewaltigung vorgenommen wurde, es kursiert die Zahl von mindestens 200 Frauen.

 

Ich fahre also durch Opas Revier. Es ist eine einfache, durch Landwirtschaft geprägte Hügellandschaft, der Rhein hat sich eingegraben und ist nicht zu sehen. Einige Weinberge werden durchquert, jedoch sind sie nicht dominierend.

 

Es zieht sich, das Sitzen wird beschwerlicher. Dann, bei Kaiserstuhl (Rhein) wieder am Rhein. Leider schaffe ich es nicht mehr, zur Brücke zu fahren, liegt mir zu tief. Ab da immer näher am Rhein, der noch etwas breiter geworden ist und immer noch die blaugrüne Farbe hat. Dann schließlich in Kadelburg angekommen, liegt direkt am Rhein, wo ich noch mal eine kurze Pause mache. Er ist vielleicht 100 m breit, ansonsten alle Charakteristika, wie weiter unten auch. Immer noch schöne Farbe. Die Pension finde ich nach einigem suchen, wie erwartet ein Haus aus den 50ern, nettes älteres Paar. Auch hier habe ich wohl das letzte verfügbare Zimmer erwischt, andere Radfahrer werden gerade abgewiesen. Nach der Dusche falle ich erst mal in einen 2-Stunden-Schlaf. Schließlich essen gegangen, ein Bistro, Sportsbar, Biergarten: Rheinkeller. Esse Schnitzel und Salat und wieder ein Bier. Alles gut.

 

Rheinreise 11.8.2018

Frühstück wie im Wohnzimmer bei Familie Krauss, ich bin allerdings um 7:45 Uhr der erste. Schöne Möblierung mit alten Möbeln, ich habe übrigens in einem Biedermeier-Bett-gelegen, oder einem 20. Jh-Nachbau. Familie Krauss gibt noch Hinweise über die Streckenführung, so käme man an der letzten Stromschnelle vorbei. Mache ich auch, der Weg führt durch den Wald an einem kleinen Steilhang vorbei.

 

In Waldshut dann zunächst den Rumpf-Brunnen besucht. Den sah ich zwar schon im letzten Jahr bei der Familiengeschichtstour mit Corinna, musste ihn aber, wegen des Kaiserbrunnens in Konstanz, dann noch mal sehen. Auch diesmal stellt sich die stille Freude ein. Ich muss dringend mal ein Buch über die Brunnen von Gernot Rumpf besorgen, das gibt es bestimmt. Dann ein Eis und zu der schon bekannten Aussichtsstelle gefahren. Hier eröffnet sich ein einmaliges Panorama: Waldshut liegt an einer Rheinkurve. Gegenüber hat in der Schweiz der dortige Energiekonzern ein Kernkraftwerk gebaut. Wunderbar die geometrische Aneinanderreihung von Hyperboloid (Kühlturm), Torus mit Halbkugel (Reaktorhülle) und Kegelstumpf (Schornstein). Und das gegenüber der historischen Stadt. Stärker können sich unterschiedliche Bauaufgaben und -auffassungen nicht gegenübertreten…Die Litanei über Sinn und Unsinn der Kernkraft kürze ich ab. Nur so viel: Ich erinnere mich, dass ich im Alter von 16 oder 17 in einer Jugendkirchenzeitung, bei der ich im Redaktionsrat war, einen befürwortenden Artikel über die Kernkraft geschrieben habe… Offensichtlich habe ich damals nicht breit genug recherchiert (wahrscheinlich) oder kritische Informationen waren nicht so gut erreichbar (auch wahrscheinlich). Soweit ich weiß, habe ich viel Regierungsinformationen verwendet….Ich ging damals davon aus, dass die Regierung immer das richtige sagt und im Sinne der Bürger handelt. So kann man sich irren. Dann fällt mir zur Endlagerungsproblematik noch ein, dass man sich in Deutschland schon seit 50 Jahren hierüber streitet, ohne zu einem greifbaren Ergebnis gekommen zu sein. Andere Länder diskutieren gar nicht, wie etwa Belgien oder Russland, und das Ergebnis ist das gleiche. Wozu der ganze Lärm? In einem Bdw-Artikel wurde dargestellt, dass einige Akteure einfach abwarten, bis rentable Technologien zur Bearbeitung vorliegen. Das kann noch einige Zeit dauern, nur was sind 50 Jahre bei 0,5-2 Mio. Jahren Abklingzeit? Vielleicht muss man hier mehr Geduld haben. Allerdings ist m.E. zwingend, dass kein Gramm neuer Müll mehr erzeugt wird. Leider war da Atom-Angela davor, sonst wären wir da schon raus. Sie hat sich final in dem Interview bei der ARD nach Fukoshima entlarvt, als sie sagte, „wir haben neue Erkenntnisse“, die die Bewertung der Atomenergie ändern würde. Nichts stimmt. Als Naturwissenschaftlerin weiß sie genau, dass auch kleine Risiken in die Realität treten können. Alles Lüge. In der Diskussion mit dem Paar in Ilanz bemerkte der Mann, dass die Schweiz früher Strom exportiert hat, jetzt aber Strom importiert. Er führt das auch auf die weitere Expansion des Skigeschäfts mit stromfressenden Seilbahnen, Skiliften und vor allem energiefressenden Schneekanonen zurück. Nach meinen Eindrücken am Gütsch kann dem zugestimmt werden, auch wenn das nicht der einzige Faktor sein kann. Soweit ich weiß, hat die Schweiz in der letzten Zeit keinen Atomreaktor stillgelegt.

 

Das Kraftwerk wird natürlich von einer großen Rheinaufstauung begleitet, die wiederum als Wasserkraftwerk genutzt wird. Hier gibt es wohl zwei Wasserkraftwerke und einen Speichersee, der bei meinem Besuch allerdings leer war. Die ganze Wasserhaltung ist durch Beton eingefasst.

 

Danach ist der Rhein auf langen Strecken wieder naturbelassen, wenn man die Regulierung und Uferbefestigung vergisst. Deiche sind nicht sichtbar vorhanden, ich denke, die Staustufen regulieren Hochwasser ausreichend. Zwischendurch am Schwimmbad der Gemeinde Murg noch mal Wassertreten und ein Eis zu mir genommen. Jetzt wird die Landschaft sehr ruhig, außer dass auf Schweizer Seite die Bahnstrecke liegt, sie liegt allerdings auch auf deutscher Seite. Es fahren aber nicht viele Züge. Sehr idyllischer Ort bei der Einmündung der Wehra mit Vögeln und einer kleinen Lagune. Eigentlich bräuchte ich eine Pause, beschließe aber, bis Bad Säckingen auszuhalten. Ich habe ein idyllisches Gaststättchen im Kopf. Das gibt es aber nicht. In Bad Säckingen viel Betrieb, wohl viele Touristen, die hauptsächlich die Holzbrücke besichtigen. Im Friedolins-Münster sind nur drei Leute. Auch dieser Platz ist eine frühe Landnahme der Klöster, der Gründer Friedolin hat wohl in karolingischer Zeit auf „der Insel Säckingen“ ein Kloster gegründet. Aus dessen Blüte geht dann die Stadt und das Münster hervor. Kurz neben diesem „Hot Spot“ ebbt das touristische Interesse schon wieder ab, man kann ihn als Straßenkreuzung bezeichnen, deren Arme keine 500 m lang sind. Danach wieder ruhig. Der Rhein ändert seine Farbe noch mehr in Richtung grün. Vielleicht liegt das an Mikroalgen, die inzwischen mehr Nährstoffe bekommen. Eine gewisse Durchsichtigkeit in Ufernähe ist aber noch da.

 

Nach zunächst wieder naturnaher Landschaft nähert sich der nächste große Aufstau. Auf einer Hinweistafel lese ich dann, dass hier ein großer Industriekomplex zu bestaunen ist. Zunächst kommt aber Schloss Beuggen, eine ehemalige Deutschordenskommende, direkt am Wasser gelegen. Das alte Schlossgebäude geht mit der Mauer direkt in den Rhein. Angebaut ist ein offensichtlich barocker Komplex mit Kirche. Sehr weitläufig und soll einen „biblischen Garten“ haben, der aber weder ausgeschildert noch zugänglich ist. Das ganze Ensemble ist „privat“, aber der Weg führt hindurch. Im Barockgebäude und wohl auch im Schloss-Altbau ist ein Hotel, man hat zwar ein paar Tische herausgestellt, insgesamt wirkt alles doch abweisend. Beim rausfahren lese ich, dass hier auch eine evangelische Akademie angesiedelt sein soll. Offenheit wird hier auf jeden Fall nicht gepflegt.

 

Ich rolle auf das Flusskraftwerk Rheinfelden zu. Es wurde bereits in den letzten Jahren des 19. Jh. gebaut. Durch Stromverträge mit verschiedenen Großunternehmen, darunter auch die Bitterfeld AG, wurde die Finanzierung gesichert. Bei Fertigstellung war es das größte Flußkraftwerk Europas und das zweitgrößte der Welt (nur die Niagara-Anlage war größer). Der Damm war und ist ca. 350 m lang. So breit ist der Fluss an dieser Stelle. Ich habe gelernt, dass damals noch das Ganze in Handarbeit erstellt wurde. Teilweise arbeiteten 1.000 Arbeiter aus aller Herren Welt dort, also auch hier das Gastarbeiter-Thema. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die Stadt Badisch Rheinfelden vollständig durch die Stromwerke, die übrigens ein Schweizer Konsortium weitgehend auf deutschem Gelände gebaut hat, betrieben und finanziert wurde. Von den Bebauungsplänen bis zu Schul-Rathaus- und Feuerwehrbau wurde das ganze durch die Werke finanziert. Zunächst waren die Grundstücke auf der Gemarkung zweier Gemeinden, bis das durch Bezirksregierungsbeschluss zu einer Stadtgemeinde zusammengelegt wurde. Also auch hier vollständiges privates Engagement. Ob das private Engagement grundsätzlich gut oder schlecht ist, hängt doch letztlich von den Randbedingungen ab.

 

Schlecht ist, wie heute in der Zeitung stand, dass der Staat in Person eines christsozialen Verkehrsministers nichts dabei findet, dass TollCollect den Staat um einige Milliarden betrügt. Oder anders gesagt, in privaten Schiedsgerichtsverfahren der Staat den Betrügern das Geld zubilligt. Was in einem 1.700 Seiten starken Geheimvertrag, der keiner öffentlichen Kontrolle unterliegt, steht, kann nur vermutet werden. Wenn die CSU alles von ihr gedeckte erschlichene Staatsgeld in die Betreuung von Asylsuchenden stecken würde, wäre vieles besser. Was an dem Vorgehen „christ“- ist, erschließt sich mir ½-bibelfesten Christen nicht.

 

Alle anderen bisher am Rhein liegenden Städte sind wohl eher Handelsgründungen, oder wenigstens Markplätze. Hinzu kommen die durch Kirchenaktivitäten geförderten Marktplätze. Badisch-Rheinfelden ist hier als eindeutige Industriegründung die einzige Ausnahme bis Basel. Das Kraftwerksgebäude steht nicht mehr, dafür hat man eine riesige Fischtreppe naturnah angelegt, so dass der Höhenunterschied durch Lachse etc. überwunden werden kann. Die Geschichte des Ortes erläutert ein kleiner Pavillon, in dem ich mir einige Filme anschaue und die große ausgestellte Turbine betrachte.

 

Kurz danach, es geht an Industrieanlagen vorbei, nach Rheinfelden, hier sieht wieder alles so aus, wie aus den bisherigen Städten am Oberrhein gewöhnt, schmucke historische Altstadt mit imposanter Brücke, diesmal aus Stein. In Rheinfelden dann die befürchtete Nachricht: Der Ort wird durch das Schiff aus Basel wegen Niedrigwasser nicht angefahren, obwohl es nicht danach aussieht. Vielleicht gibt es weiter unten noch eine flache Stelle. Das heißt also 20 km mehr Fahrrad fahren. Darauf hin mache ich erst mal Pause in einem netten Restaurant, man sitzt auf der Holzterrasse genau über dem Rhein. Ich esse Salat und trinke zwei alkoholfreie Bier. Hier ist zu bemerken, dass die bekannte Schweizer Brauerei Feldschlösschen in Rheinfelden ihren Sitz hat und ebenfalls Strom von dem großen Flusskraftwerk bezogen hat, bzw. noch bezieht. Feldschlösschen war übrigens eine Firma, die früh mit Elektro-Lkw experimentiert hat. Schließlich, es ist schon 16:15 Uhr, muss ich dann doch los, weil es auch immer heißer wird. Und der Basler Asphalt lässt schlimmes erahnen. Kurz vor Eintauchen in die Stadtwüste noch mal kräftig eincremen…Fahre im wesentlichen an der B3, die an den ganzen großen Chemiefirmen und anderen Firmen einschließlich einer Schokoladefabrik vorbei. Welcher Zusammenhang die Schokolade mit der Chemie hat weiß ich nicht und will es auch nicht wissen.

 

Einige Abschnitte sind jetzt leider Radstreifenlos, aber es ist ganz o.k.. Die Beschilderung in Basel ist gut, ich werde direkt zum Bahnhof geleitet. Dort allerdings Chaos, erst nach einiger Zeit gelingt es, die Abgabestelle für das Fahrrad ausfindig zu machen. Hier läuft alles gut, Fahrrad und Helm los. Im Mc. Clean umziehen. Auf dem Weg zur Jh. dann das Malheur passiert, dass ich in einem Zug saß, der an meiner Haltestelle nicht angehalten hat. Also in Lörrach Hbf. ausgestiegen. Katastrophale Information am Bahnhof, nichts über den städtischen Busverkehr, nur der Hinweis: Busbahnhof. Letztlich hat aber alles geklappt und ich bin dann mit dem Bus rausgefahren. Bett in 3er Zimmer bekommen, Zimmernachbarn noch nicht kennengelernt, wahrscheinlich Teilnehmer einer größeren Gruppe, die gerade Fuß-Volleyball spielt. Jetzt noch ein Bierchen und gleich noch duschen. Habe mir ein ordentliches Duschtuch geben lassen. Am Abend noch den Sternschnuppenschwarm, die Perseiden mittels Internet gesucht und gefunden, eine Sternschnuppe hat für mich aufgeleuchtet. Auch am nächsten Tag noch einmal erfolgreich auf Sternschnuppenjagd gegangen.

 

Rheinreise 12.8.2018

Frühstück o.k., war bisher das einfachste, aber ausreichend. Beschließe, heute wieder rheinaufwärts zu reisen und die verlorene Schifffahrt von gestern nachzuholen. Bin mit der Bahn früh in Basel, so dass ich um 9:55 Uhr vor dem Münster stehe, nachdem ich den Rhein auf der Hauptbrücke überquert habe. Auch Basel liegt an einem Rheinbogen, hier auch „Rheinknie“ genannt. Da die Stadt hoch liegt, ist der Fluss sehr von oben zu sehen. Die Stadt Basel führt ihren Wohlstand zum großen Teil auf den Rhein zurück, seit ca. 1800 wird auch Kohle vom Ruhrgebiet hierhin transportiert, um den Energie- und Rohstoffbedarf zu decken. Seitdem transportieren die großen Firmen wesentliche Gütermengen auf dem Rhein. Angeblich transportiert die Schweiz heute noch 15% des Exportgutes über den Rhein weg. Dennoch ist die Farbe des Rheins in Basel immer noch das dunkle Grün, obwohl die Industrie Rheinaufwärts liegt. Ich entschließe mich kurzfristig, den Gottesdienst im Münster zu besuchen. Zum einen aus Neugier, wie die hiesigen Calvinisten den Gottesdienst machen, zum anderen, weil dies auch ein würdiger Abschluss der Reise ist und schließlich bin ich auf die Musik gespannt. Es gibt ein richtiges Programm mit Ankündigung der Orgelmusik. Lithurgisch ist fast kein Unterschied zu uns. Einzig die Predigt folgt einem anderen System, hier wird Sonntag für Sonntag aus dem gleichen Text heraus gepredigt, jeder Prediger rückt ein Stückchen im Text weiter. So kann man sich monatelang z.B. mit dem Korintherbrief befassen, wo wir heute bei 8… sind. Die Predigt war im Übrigen sehr diesseitig, es wird sozialpsychologische Forschungsliteratur zitiert und aktuelle „Beratungsbücher“ zur Glücksfindung analysiert. Nebenbei wird die Politik direkt, auch Herr Trump, zur Argumentation herangezogen. Das endet in direkten Handlungsempfehlungen, Stichwort „Agape“. Ich finde, ich stehe mit meinen Auffassungen ganz gut da. Mit Abendmahl, übrigens sehr effizient organisiert, dauert das ganze 1,5 Stunden. Bin mit meiner kurzen Hose einer der wenigen als Touristen identifizierbaren, aber so wie ich das sehe, sind mehrere ältere Paare Touristen. Nach dem Gottesdienst die Bushaltestelle nach Augst gesucht und leider 5 min zu spät gewesen, so dass ich 20 min warten muss. Dies ist bei der Hitze nicht ganz lustig, vor allem weil alle Imbisse, Kioske etc. natürlich am Sonntag geschlossen haben. In Augst schließlich erst mal Augusta Raurica, zumindest in Teilen, angeschaut. Interessant ist, dass die Römer hier kurz nach Christi Geburt einen Rheinübergang zunächst mit einem Kastell sicherten, anschließend gab es eine planmäßige Erweiterung zur Stadt mit allen bekannten römischen Stadtelementen. Die Stelle der Rheinbrücke ist heute noch zu identifizieren. Der Rhein selbst ist hier wieder aufgestaut und ein schönes Erholungsrevier für Bootfahren, Schwimmen etc.. Die Römer hatten übrigens den ganzen Rheinabschnitt zwischen Basel und Konstanz durch Grenzeinrichtungen und Grenztürme systematisch gesichert. Auch Konstanz und Bregenz gehörten dazu.

 

Interessant auch, dass direkt an der Kastelmauer am Rhein sich spätestens ab 400 eine frühchristliche Kirche etabliert hat, sogar mit Bischofssitz, wobei dies in der frühchristlichen Kirche nicht so hoch aufgehängt war. Die Fundamente sind noch zu besichtigen. Das zeigt, dass das Christentum schon, zumindest punktuell, vor den irischen Wandermönchen und deren Nachfolgern, vor Ort war. In Bonn gab es eine ähnliche Kirche, so dass davon ausgegangen werden kann, dass in allen römischen Anlagen, die um 400 noch bestanden, solche frühchristlichen Gemeinden gebildet waren. Also zeigt sich auch hier, dass Grenze auch sehr stark auch mit deren Überwindung zu tun hat. Wie können denn die Römer schon die Grenze befestigen, aber andererseits Brücken darüber bauen? Die Motivation ist klar. Das Feindeshinterland steht in Handelskontakten, hier bekommt man das ein oder andere, das man nicht herstellen kann oder will einschließlich Frauen und Sklaven. Die muss man dann nicht aufwändig aus dem Süden heranschaffen. So entstand auch damals auch einer Durchmischung eine neue Gruppe von Menschen, die alamannisches und römisches Blut kombinierten. Was läuft heute anderes ab? Es ist auch hier im Süden immer häufiger, dass asiatisch oder afrikanisch aussehende Menschen einem im breitesten badisch, oder sogar im breitesten schwitzerdütsch ansprechen, bzw. mit einem sprechen. Das gabs schon immer und wird es immer geben, allen Seehofers zum Trotz. Auch ich bin ja Nachkomme der Liasion zwischen einer römisch-alamannischen Nachfahrin und einem thüringisch-ostfrisischem Vorfahr. Nach Seehofer und der AFD hätten die Römer Mischehen unterbinden müssen….

 

Dem heutigen Rhein ist das egal, er fließt schon relativ träge grün dahin. Ich esse noch ein Eis in der einzigen geöffneten Gaststätte von Kaiseraugst, um etwas flüssiges zu mir zu nehmen. Dann besteige ich das Schiff. Nagelneues Boot, heißt Rhystärn, also Rheinstern. Die Schweizer versuchen immer mehr in der Schreibweise vom Deutschen wegzukommen. Seit wann das mit dem y ist, weiß ich nicht. Angeblich haben die Muntartdichter das schon im 19. Jh. so gemacht. In Basel ist übrigens Johann Peter Hebel geboren, der als Vater des modernen Alemannischen gilt, da er es verschriftlicht hat und umfangreich publiziert. In Lörrach steht ein großes Denkmal auf dem nach ihm benannten Platz. Die Rhystärn muss teuer gewesen sein, die Gastronomiepreise an Bord sind noch mal höher, als der Schweizer Preise inzwischen gewohnte Fahrgast erwartet. Dafür gibt’s dann noch nicht mal Qualität, im Softdrinkbereich wird man mit Coca-Cola-Produkten abgespeist. Also kein Getränk an Bord, wie das bei den bisherigen beiden Fahrten war.

 

Kurz hinter Augst kommt die erste von zwei Schleusen, wieder liegt das große Wehr im Rhein zur Energiegewinnung Wyhlen-Augst, das Anfang des 20. Jh., also etwa 10 Jahre nach dem Kraftwerk Rheinfelden, errichtet wurde. Da aber offensichtlich genau bis Augst auch Schiffsverkehr, und nicht nur Ausflugsverkehr besteht, ist hier die erste Schleuse im Rhein errichtet. Also schleusen wir uns runter und weiter geht’s. Links und rechts des Ufers kommen immer mehr Industrieanlagen sowie Hafenmauern, an denen auch Schiffe liegen. Eine besonders industriell anmutende Stelle hat auch einen Anleger, der unerklärlicherweise „Waldhaus“ heißt. Gegenüber liegt auf deutscher Seite Grenzach-Wyhlen, hier hat man immerhin noch etwas Grün zwischen Industrie und Rhein plaziert. Nebenbei war Grenzach-Whylen schon in der Halstattzeit besiedelt, danach keltisch, dann römisch, dann alamannisch etc.-Außerdem endete hier der Westwall aus 1.000-jähriger Zeit. Ein bedeutsamer Ort, dem man es nicht vom Rhein aus ansieht. Ähnliche Geschichten wiesen natürlich auch viele andere Orte am Hochrhein auf, ohne dass ich dies immer erwähne.

 

Der aufgestaute Rhein dient, neben der Schifffahrt, dem Tourismus, hier gibt es Motorboote mit und ohne Wasserski, viele Leute im Wasser, die sich teilweise einfach treiben lassen. In dieser Hinsicht ist ein besonderer Tag, wie ich erst in Basel erkennen kann. Eine Biegung später kommt dann das zweite Wehr. Hier bei Birsfelden (habe es zuerst mit „ie“ geschrieben, welch ein LAPSUS), das Kraftwerk ist erst aus der Nachkriegszeit, die zweite Schleusenanlage. In der Nähe ist ein Naturbad am Ufer bei der Einmündung eines Baches. Bestimmt 1.000 Leute! Nach dem Schleusen geht es schnell auf Basel zu, man sieht schon das Münster. Zuerst aber türmt sich rechts neben dem Tinguely-Museum ein Hochhaus auf, das auch von Ferne das erste Signet von Basel ist, man sieht es auch von den umliegenden Höhen als erstes. Ich weiß nicht, warum diesem infantilen Repräsentationsgehabe immer wieder stattgegeben wird. Aber letztlich ist Infantilismus nicht strafbar. Das gleiche empfinde ich immer beim Bonner Posthochhaus, das deshalb so hoch werden musste, damit man von oben über den Kottenforst rüber schauen kann und andererseits das Gebäude auch von der A 61 schon sichtbar ist. Auch hier ist der Infantilismus einem Großkonzern zu eigen, in diesem Fall der Firma La Roche, die das höchste Hochhaus der Schweiz bauen wollte und will, es kommt wohl noch ein zweites daneben, über 200 m hoch. Damit ist die Silhouette von Basel dann vollständig von La Roche vereinnahmt. Da die Schweiz ja architekturtechnisch auch ein bisschen inzestös ist (habe ich selbst am Verfahren Bahnhof St. Moriz erlebt), musste es natürlich ein berühmtes Schweizer Büro sein, in diesem Fall Herzog-de Meuron.

 

Dadurch geht optisch natürlich das Tinguely-Museum unter, das doch die Kunst eines so interessanten und bewundernswerten Künstlers beherbergt. Dessen Architekten, soweit ich weiß, Mario Botta, kann man für seine Demut und Zurückhaltung nur nachhaltig belobigen.  Aber wenn man die Nase hochreckt, bleibt halt das bodenständige auf der Strecke….Perfiderweise wurde das Tinguely-Museum von der Hofmann-La-Roche AG gestiftet. Wenn da mal kein Grund für irgendwelche Kuhhändel wegen des Turms, der ja direkt benachbart errichtet wurde, liegt. Auf jeden Fall hat der Turm das Münster als Stadtsignet abgelöst.

 

Das Anlegen am Anleger Tinguely-Museum war abenteuerlich. Eine riesige Menge Schwimmer, alle mit Schwimmhilfe, blockieren das rechte Ufer. Das große Boot muss sich mit Einweiser am Bug sich langsam herantasten. Der Einweiser dirigiert die Schwimmer entweder auf die Backbord- oder Steuerbordseite. Ich schätze die Personenzahl der Schwimmer auf mehrere Tausend. Später lese ich, dass zum Rheinschwimmen am heutigen Tage aufgerufen wurde. Alles ist organisiert, Rettungsdienste sind vor Ort. Offensichtlich gehen die Menschen rheinaufwärts ins Wasser und lassen sich mehr oder weniger flussabwärts treiben. Ein Ende kann nicht erkannt werden. Witziges Vergnügen, bei diesem Wetter durchaus angemessen.

 

Nach dem Tinguely-Museum noch ein kurzes Stück, dann sind wir am Basler Hauptanleger Schiffslände. Großartiges Panorama für das Ende meiner ersten Rheinreise. In Basel Mitte ist der Rhein weiterhin träg-grün, auch die Schweiz ist bei der Abwasserbehandlung erheblich voran gekommen. Aus meiner Jugendzeit habe ich noch andere Nachrichten vor Augen, Sandoz 1986. Am heutigen Novartis Standort in Schweizerhalle bin ich mit dem Fahrrad vorbeigefahren.

 

Ich belohne mich noch mit einem Besuch beim Fasnachtsbrunnen, der von Tinguely stammt. Er wurde übrigens, was ich bisher nicht wusste, vom Lebensmittelhändler Migros zu seinem 50. Geburtstag gestiftet. Auch die Brunnen und Spiele von Tinguely führen immer zu einem Lächeln. Ich weiß nicht, ob Tinguely sich einmal dem Phänomen Rhein zugewandt hat, bei seiner Wasseraffinität würde es mich nicht wundern.