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Rheinreise III

Tag 1, 22.4.2023

Endlich ist es soweit. Die dritte und wahrscheinlich letzte Etappe der Rheintour beginnt. Corinna bringt mich nach Köln, dem heutigen Startpunkt, nachdem die letzte Etappe mit dem Schiff dort ja schon vor zweieinhalb Jahren geendet hatte. Um 11:00 Uhr bin ich an der Radstation zur Übernahme des Fahrrads verabredet. Die Radstation hat mir noch einen Tag geschenkt. Schönes gelbes Fahrrad habe ich bekommen. Zum Rhein geschoben und dann den Rucksack aufgeschnallt. Leider habe ich mich nicht an die eigene festgelegte Methode gehalten, was dazu geführt hat, dass nach 5 km bei Ford die Sache einmal abgerutscht ist. Dann aber richtig, und seitdem funktioniert das. Köln ist von der Rheinpromenade für den, das das schon x-mal gesehen hat, nicht überraschend. Das Erlebnis kam dann hinter Köln, bzw. hinter Ford. Plötzlich freie Landschaft mit bäuerlichem Charakter mit allem was dazu gehört, Bauernhöfe, Campingplätze, und viel Grün. Das geht so bis zur Fähre in Hiltorf. Dort übergesetzt nach der rechten Rheinseite, wo es ähnlich weitergeht. Erst die Mondorfer Schleife. Dann kommt Mondorf, das sich jetzt eine neue Promenade zugelegt hat, 500m Großstadtgefühl von einem kleinen Ort, der durch die städtische Bebauung quasi überformt ist. Ich bin nicht überzeugt, doch schönes Denkmal von Leda. Danach kommt noch mehr Überraschung, hinter Mondorf noch mehr Natur. Zwischen Mondorf und Urdenbach historisch anmutende Rheinlandschaft. Die endet dann in Urdenbach, was aber immer noch dörflich erscheint. Danach kommt dann  der Himmelgeister Rheinbogen. Mehr Natur geht fast nicht, wobei wir hier von einer etwas morbiden Kulturlandschaft reden müssen. Über weite Wiesen stehen Auenpappeln, die alle von Misteln befallen sind und eine nach der anderen abstirbt. Dazwischen offensichtlich uralte Kopfweiden, die noch gepflegt werden, das sind wahrscheinlich die ältesten Kopfweiden, die ich gesehen habe. Danach kommt dann schon Benrath, hier erhascht man einen Blick auf das Schloss, weil eine Achse zum Rhein geht, die durch ein Tor abgeschlossen wird. Leider ist die Rheinpromenade in Benrath gesperrt. Die Bedeutung des Radverkehrs für die Stadt Düsseldorf erkennt man daran, dass keine Umleitungsbeschilderung für Radfahrer oder Fußgänger eingerichtet ist. Dank Komoot komme ich vorwärts. Hinter Benrath dann wieder ein Stück Landschaft, das allerdings weniger naturnah erscheint. Schließlich kommt man nach Hamm. Dort ist ja der Gartenbau von besonderer Bedeutung, große Flächen sind zumindest teilversiegelt, damit man dort die Blumentöpfe aufstellen kann. Es sieht schon fast aus wie in Holland, was ich ja erst zum Ende der Tour erwarte. Hamm selbst, wo ich vorher noch nie war, hat eigentlich einen schönen Ortskern, der noch weitgehend dörflich erhalten ist. Hier treffe ich, ähnlich wie in Himmelgeist, eine Hochzeitsgesellschaft an. Das scheint heute ein wichtiger Hochzeitstag zu sein. Schließlich Ankunft im Medienhafen, dort aber Führung auf der Hammer Straße, und dann ab dem Landtag, auf dem Rheinufer. Hier tanzt der Bär, da ja nur für heute und morgen gutes Wetter angekündigt war. Zusätzlich ist noch Kirmes, die direkt am Rheinufer angeordnet ist. Ich habe mir vorgenommen, ein Feierabendbier beim „Büdchen“ zu trinken, wo ich etwa um 16:30 Uhr angekommen bin. Tatsächlich habe ich mich dann mit einer Frau etwas verquatscht, so dass ich um 17:30 Uhr bei Kassandra angekommen bin. Dort gab es – zur Feier des Tages - Spargel und noch etwas Spielen mit Charlotte. Das endete dann mit einer Runde Puzzlen und dem Vorlesen von dem Osterschwein. Danach noch ein Gläschen, später Übernachten auf der Couch.

 

Sonntag, 23.4.23.

Aufstehen vor 8. Frühstück, dann gegen 10:00 Uhr Abfahrt. Hinter Düsseldorf das gleiche Erlebnis wie in Köln. Die Stadt endet quasi mit der Messe und dem Stadion. Dahinter schönste Landschaft bis nach Kaiserswerth. Hier erlebe ich erstmalig die große Weite der Niederrheinlandschaft, wo die Wolken das Gesichtsfeld bestimmen. Heute ist auch optimale Bedingung für diese Beobachtung. Einfach großartig. Kaiserswerth empfängt direkt mit einer kleinen Anhöhe, der die Pfalz vorgelagert ist. Die Pfalz kann ohne Eintritt besichtigt werden. Die Anlage wurde wohl in der Stauferzeit gebaut und bestand im Wesentlichen aus Basalt. Eine Tafel für einen Türsturz weist nach, dass die Steine vom Steinbruch am Drachenfels stammen. Der Rhein ist also hier Transportlinie für die Steine über etwa 150 km gewesen, allerdings war der Drachenfelssteinbruch günstig ebenfalls direkt am Rhein gelegen. Ich habe jetzt mit Ingelheim, Goslar und Aachen schon einige Pfalzen gesehen. Kaiserswerth erscheint mir hier relativ klein, allerdings scheint sie länger genutzt worden zu sein. Danach mit der Fähre übergesetzt. Auf dem linken Rheinufer geht es weiter. Nach einiger Zeit kommt dann der Ürdinger Industriekomplex . Man fährt sehr lange im Hafengelände, neben Bayer gibt es hier vor allem Schüttgüter-verarbeitende Industrie, Kolonnen von polnischen Lkw. Auf die Lebensbedingungen dieser Fahrer wird viel zu wenig geachtet. Im Hafen gibt es eine schöne Drehbrücke aus dem 19. Jh. Und alte Silogebäude. Schließlich Ankunft in Ürdingen selbst, die Rheinfront ist überraschend schön, der Ortskern nett. Schließlich höre ich Musik. Die Überraschung, in einer Kneipe am Rheintor gibt es Life Musik. Ein älteres Ehepaar spielt für das vornehmlich wirklich ältere Publikum Hits aus allen Zeiten, neben Schlager auch Elvis, Louis Armstrong etc. Hier ist optimale Stimmung. Ich beschließe zu bleiben, das hier ist offensichtlich echt. Ich trinke etwas und esse auch. Nebenbei schreibe ich etwas am Reisebericht. Das Paar, das singt, hat „bei Dieter Bohlen einen Stern bekommen“. Ich bleibe länger als ich wollte. Da kommt viel Freude rüber, so etwas habe ich schon lange nicht mehr erlebt. So um 14:00 Uhr fahre ich dann gesättigt und nach 1l Bier ab. In der Zwischenzeit ist das Wetter schlechter geworden. Es ist bewölkt und etwas windiger. Nach Ürdingen mit der langen Hafen-Kaimauer wird es wieder naturnah. Man kommt auf Duisburg zu und rechnet mit einer zunehmend industrialisierten Landschaft. Dem ist linksrheinisch nicht so. Rechtsrheinisch sieht man Kraftwerke und Hüttenwerke, wohl von Hüttenheim (Nomen est Omen). Auf meiner Rheinseite gibt es dagegen südlich von Friemersheim einen kleinen Dorfanger, der von einer Kirche und einer Gaststätte besetzt ist, auch hier sehr dörflich und ursprünglich. Dafür empfängt einen dann Friemersheim/Rheinhausen mit einem endlosen Gewerbegebiet, dem man fast bis zur Brücke der Solidarität nicht mehr entringen kann. Hier war früher das Stahlwerk Rheinhausen, dass gänzlich abgerissen wurde.  Inzwischen ist die Fläche vollständig neu genutzt, sogar neue Straßen und Eisenbahnstrecken wurden gebaut. Das ganze endet dann in einem Meer von Autoabstellplatz für neue Fahrzeuge. Dieses sieht man auch immer von der Bahn aus. Neu für mich ist die Sicht von unten auf die Eisenbahnbrücke. Von der Vorkriegsbrücke stehen noch die Widerlager mit den Türmen, nach dem Krieg hat man diese nicht mehr aufgebaut, sondern daneben eine neue Brücke errichtet. Diese wilhelminische Brückenarchitektur kennt man auch von der Remagener Brücke. Ich denke immer, daraus könnte man noch etwas machen. In Remagen werden die Brückenköpfe ja genutzt. In Duisburg kommt man im Ortsteil Hochfeld an. Auch hier war ich noch nicht, die Gegend ist vollständig in arabisch-türkisch-migrantischer Hand, vor Großauto-fahrenden Schnöseln muss man als Radfahrer gehörig aufpassen, Verkehrsregeln sind hier anders gewichtet. Das gilt übrigens auch für Duisburg Mitte, die Fußgängerzone wird wie selbstständig mit Pkw befahren. Der Kernbereich musste inzwischen mit Pollern und Sperren gesichert werden. Ich komme am Hotel etwa um 16:00 Uhr an. Das Fahrrad kann ich in das Video-gesicherte Treppenhaus abstellen. Das Hotel ist modern und liegt zwischen altem Hafen und Stadtmauer, die hier in kleinen Stückchen erhalten ist.  Auch wenn das Wetter bisher gehalten hat, wird es immer ungemütlicher. Ich mache eine kleine Pause und gehe dann noch mal raus, eigentlich nur, um zu sehen, ob die Brunnen in der Königstraße schon laufen. Hier hat eigentlich die Stadt Duisburg ein schönes Pfund mit dem gewuchert werden kann. Aber leider ist keine Wasserbetrieb, inzwischen regnet es auch. Also drehe ich wieder um. Abends gehe ich noch in die Lounge, um an meinem Reisebericht zu schreiben. Die Lounge weist übrigens auch einige Work-Places und die Bar auf. Konzeptionell erinnert es fast an CitizenM, allerdings erfreulicherweise zu günstigeren Preisen und mit nicht ganz so technisierten Zimmern, dafür sind sie etwas größer. Für morgen ist schlechtes Wetter angesagt, so dass ich beschließe, früh ins Bett zu gehen, um ebenso früh aufzustehen, damit ich von den regenfreien, bzw. regenarmen Morgenstunden möglichst viel mitbekomme.

 

Tag 3, 24.4.2023

Vor dem Wecker um 6:20 Uhr wachgeworden. Hier gibt es übrigens eine Flachbeckendusche, die ausnahmsweise nicht nach draußen suppt. Insgesamt gutes Konzept, auch wenn die Badlüftung entweder nicht funktioniert oder ein Berliner System eingebaut ist. Schönes Frühstück, ich habe schon in teureren Hotels schlechter gefrühstückt. Gegen 8:00 Uhr ausgecheckt und losgefahren.  Das angekündigte schlechte Wetter ist aber schon da, also gleich die Regensachen angezogen. Zunächst ist es nur mittel ungemütlich. Bei leichtem Regen geht es aus Duisburg raus, verschiedene Hafenbrücken, dann kommt schon Rurort, der historische Ort an der Rurmündung. Man hat es immerhin geschafft, den Rheinbereich von Gewerbe frei zu halten, so dass ich bis zur Autobahnbrücke schön durchfahren kann. Der Wind nimmt zu, so dass man sich freut, wenn man in der Rheinschleife Rückenwind hat, sonst kommt er meistens von der Seite, wie angekündigt. Vor der Autobahnbrücke (A42) kommt noch die Haus-Knipp-Eisenbahnbrücke mit mächtiger Stahlkonstruktion, Gesamtlänge knapp 900 m. Damals, 1912, die weitestgespannte Fachwerkbalkenträger-Brücke in Europa und die erste Brücke ohne begleitende Türme. Ab hier dann auf der linken Rheinseite, zum großen Teil auf dem historischen Leinpfad mit allerdings wechselndem Belag, hier hat Radverkehr wohl immer noch  keine große Bedeutung. Aber es geht jetzt wieder durch naturnahe Rheinauen, hin und wieder taucht Großindustrie auf, Thyssen-Krupp ist ja hier Platzhirsch. Bei Binsheim kürze ich etwas ab, weil der Leinpfad hier dann wirklich nicht mehr befahrbar ist. So lerne ich das historische Städtchen Orsoy kennen, dass quasi noch eine vollständige Stadtmauerstruktur hat. Hier mit der Rheinfähre Walsum wieder auf die andere Seite gesetzt, ich war der einzige Fahrgast, ganz anders als gestern, wo auf der Fähre hauptsächlich Radfahrer abgefertigt wurden. Hier gibt es ein riesiges Kraftwerk, zumindest zeigt sich ein großer Kühlturm. Bei Walsum mündet die Emscher in den Rhein. Früher gab es offensichtlich mehrere Emschermündungen, wie der Begriff „Mündung kleine Emscher“ anzeigt. Man muss mal recherchieren, ob das Örtchen Am Stapp früher eine Insel in der Emschermündung war. Nördlich ist derzeit die Großbaustelle des naturnahen Umbaus der Emschermündung. Das Emscher-Programm der IBA-Emscherpark von 1990 geht langsam zu Ende. Die meisten Kläreinleitungen sind in regelgerechte Kanäle mit Kläranlagen umgebaut, so dass jetzt der Fluss langsam sein Flussaussehen wiedererlangen darf. Ich kann mich noch gut an die Exkursion zur IBA erinnern, die ich damals am Institut für Stadtbauwesen organisiert hatte. Das Programm bestand aus einer Fuß-Exkursion, die aber nur von wenigen Studenten wahrgenommen wurde.   Die neue Mündung ist im Prinzip schon fertig mit kleinen Inselchen und mäandrierendem Verlauf. Gerade wird die alte Mündung, die ja in einem Betonkorsett verlief, zurückgebaut. Vielleicht komme ich in wenigen Jahren noch einmal um den Erfolg zu sehen. Die Baustelle führt übrigens zu einer Umleitung für den Radverkehr, die zum einen gut ausgeschildert ist, zum anderen wohl im Komoot schon berücksichtigt ist, ich muss nicht umdisponieren.

Das Wetter wird immer schlechter. Man muss sich sehr auf den Regen und den Wind konzentrieren, auch die Sicht nimmt ab. Bei Vörde muss man um das Kraftwerk herumfahren. Das Steinkohlekraftwerk wurde 2017 stillgelegt und soll ab diesem Jahr abgerissen werden. Für die Landschaft ist das sicher ein Vorteil, nimmt doch die technische Dominanz für einen ganzen Landschaftsraum ab. Schön wäre es, wenn auch der Kühlturm bei Walsum irgendwann wegfallen würde. Möglicherweise lernen ja die nächsten Generationen diese Technisierung der Landschaft nicht mehr in dem Maße kennen, wie wir es noch in den 70er Jahren erlebt haben. Eine Rheinbiegung weiter kommt dann in strömendem Regen wie gerufen ein  Restaurant, das mit Kerzenlicht zur Rast einlädt. Gerne nehme ich die Einladung an. Das Restaurant heißt zur Arche.

Nach längere Pause und einem guten Mittagessen geht’s gegen 13:00 Uhr weiter, das Regenradar zeigt keinen zu erwartenden Regenguss. Also geht’s durch das immer breiter werdende Rheinauengebiet, häufig auf dem Rheindamm weiter. Immer mehr macht aber der Wind zu schaffen, der jetzt aus Westen hauptsächlich bläst, aber die Tour geht immer mehr nach Westen. Dann dreht der Wind auf, später lese ich im Windfinder, dass die Windgeschwindigkeiten bis 35 km/h ansteigen, einmal wäre ich fast vom Rad geblasen worden. Dafür komme ich jetzt ins Land der Störche, überall und das ist nicht übertrieben, trifft man welche an. In meinem Übernachtungsort gibt es sogar eine Storchtour. Der Rhein ist im Übrigen schon seit Beginn der Tour „kragenvoll“. Bei Düsseldorf sind die Kribben schon überschwemmt, zwischendurch dann knapp nicht und bei Wesel greifen schon die Polder, einzelne Bereiche vor dem Deichen sind schon geflutet. Kurz vor Wesel kommt dann die Lippe-Mündung, glaube ich zumindest. Auch diese ist bereits renaturiert. Kurz davor zweigt der Wesel-.Datteln-Kanal vom Rhein ab, hier ist erst mal eine Schleuse und ein Hafen. Entlang der Autostraße geht es dann nach Wesel rein, das einen mit einem Festungsbauwerk des 17.Jh. empfängt. Von der alten Stadt ist, vom Marktplatz mit Dom einmal abgesehen, nicht viel übrig geblieben. Der Dom ist angeblich wegen der Größe die einzige evangelische Kirche im Rheinland, die Dom heißt. Ich komme nicht rein, weil hier museale Öffnungszeiten herrschen und heute Montag ist. Somit mache ich in Wesel außer dem Umweg über die Innenstadt keinen Halt und fahre weiter. Kurz nach Wesel wieder auf den Deich, der zwischen mehreren Altarmen und Baggerseen hindurch geführt wird. Hier besteht ein weiträumiges Natura2000 Vogelschutzgebiet, weil es ein Rastplatz von Zugvögeln ist. Die sind aber schon durch, so dass nur wenige Gänse zu sehen sind. Im Kampf gegen den Wind erreiche ich schließlich Bislich Fähre. Kurz vor der Pension fängt dann noch ein kleiner Schauer an, so dass ich im Regen ankomme. Aber das Kaffee hat auf, so dass ich nach Beziehen des Zimmers noch auf ein Stück Kuchen und einen Milchkaffee hier bleibe. Ansonsten gehe ich heute nicht mehr raus.  Was aber dann doch nicht gestimmt hat. Ich stehe auf dem Deich und sehe ein großartiges Sonnenuntergangspanorama mit dem Xantener Dom, der aus der grünen Landschaft aufragt. Dazu übt eine Truppe Fahnenschwenker. Idyllischer geht es nicht mehr. Ich besuche noch den Pfarrgarten und bewundere ehrenamtliches Engagement. Hier kann man auch den Störchen beim Nisten und Fuchs und Hase beim Gute-Nacht-Sagen zuschauen.

 

Dienstag, 25.4.2023

Heute steht eine längere Tour bevor. Obwohl der Mitarbeiter gestern als Frühstücksbeginn 8:00 Uhr angekündigt hatte, gehe ich um 7:30 zum Frühstück und siehe da, es ist schon länger in Betrieb, mehrere Gäste sind schon da. Im Hausprospekt steht ja auch 6:OO Uhr. Das Frühstück ist sehr gut, vor allem natürlich die Brötchen und das Schwarzbrot, da wahrscheinlich aus eigenem Hause. Gegen 8:30 Uhr komme ich weg. Die Tour verläuft weitgehend auf Deichen, allerdings wieder bei Gegenwind, etwas schwächer als gestern, dafür regnet es nicht, immer häufiger zeigt sich die Sonne. Wegen der Deichpflege gibt es hier viele Schafherden, auch Heidschnucken. Dann treffe ich das erste wahrgenommene Siel, mit dem ein Polder abgeriegelt werden kann. Obwohl ich ja Ingenieur bin, überrascht immer wieder der große technische Aufwand, der mit diesen Bauwerken getrieben werden muss. Hier hat die Bevölkerung glaube ich kein ausreichendes Bewußtsein für die Anstrengungen, die zum Schutz betrieben werden. Immer wieder verläuft der Weg nun nicht am heutigen Rhein, sondern an Altrheinarmen entlang, die sogar wasserbestanden sind. Ein großer, der Reeser Altrhein, führt schließlich auf die Stadt Rees zu. Diese empfängt mit einem Park und viel Kunst. Im Park entsteht der Eindruck, dass manchmal zu viel Kunst aufgehäuft wird. Aber es überzeugen die Skulpturen von Peter Nettesheim. Auch an diesem Ort frage ich mich, warum historische Festungsbauwerke so inszeniert werden. Schließlich stehen sie für Unterdrückung, Gewalt in verschiedenen Formen und letztlich Ausbeutung, weil zur Finanzierung die Bevölkerung herangezogen wird. Aber wie dem auch sei, Rees zeigt sich hinsichtlich Kunst erfinderisch, die Stadt ist bevölkert von Personen und Personengruppen aus Beton von Christel Lechner, fröhlich angemalt. Es ist also immer jemand auf der Straße, auch wenn keiner da ist. Hinter Rees komme ich noch am Kernkraftwunderland Kalkar vorbei. Das ist wohl das einzige Kernkraftwerk, das heute Freude bereitet. Der Kühlturm ist bunt angemalt und unter den Gebäuden stehen Fahrgeschäfte, die soweit ich sehen kann, in Betrieb sind. Daneben gibt es mehrere Campingplätze. Soweit ich weiß ist es ein holländischer Unternehmer. Es muss dazu gesagt werden, das die Anlage nie als Kraftwerk in Betrieb gegangen ist. Trotzdem, die Fehlinvestition zahlen die Stromkunden. Danach bereite ich mich auf eine Fährfahrt vor. Daraus wird aber nichts, die Fähre von Grieth fährt eben nicht Montags und Dienstags, was ich versäumt hatte, zu eruieren. Das kostet über 10 km Umweg, weil ich nun auf der rechten Rheinseite bis Emmerich fahren muss. Da der Rhein hier immer breiter wird, sind natürlich auch Brücken seltener. In Richtung Emmerich geht es mehr neben Landstraßen entlang, der Rhein liegt in der Ferne sichtbar. Kurz vor Emmerich in Praest noch eine lustige Entdeckung. Da hatte man nach dem Rückzug der Sparkasse aus der Fläche ein schönes architektonisches Gehäuse für einen Automaten gebaut, dieses in eine Fläche à la „Gärten des Grauens“ gesetzt. Schön mit Parkplätzen versehen. Nun ist auch der Automat nicht mehr in Betrieb, wahrscheinlich zu oft aufgesprengt worden. Wieder für die Katz, zahlt wahrscheinlich der Steuerzahler. In Emmerich dann eine Pause am Rheinpark mit Blick auf Hafen und Rhein. Ich komme mit einem anderen Radfahrer ins Gespräch. Er ist hier aufgewachsen und hatte einen Wäschereibetrieb, der vornehmlich für die Schifffahrt arbeitet, das Einzugsgebiet geht von der Nordsee bis Köln. Sein Sohn macht das jetzt in der 3. Generation weiter. Er fährt viel Rad will dieses Jahr nach Sylt mit Radanhänger fahren. Auch mit Normalrad, er nennt es „TS“-Rad, „Tritt Selbst“. Sehr nett. Schließlich geht es weiter, bei Emmerich muss ich über die Brücke, was hier wegen der Höhe für die Schifffahrt schon ein ziemlich aufwändiges Unterfangen ist. Hinter der Brücke wieder auf den Deich, der sich bei wachsendem Gegenwind als schwierig erweist. Später dann wähle ich, soweit zu wählen ist, lieber die Trasse neben dem Deich in der Erwartung, dass es etwas weniger windig ist. Bei Griethausen schließlich entdecke ist die angeblich älteste Rheinstahlbrücke, die für eine neue Bahnstrecke von Kleve nach Berlin 1865 gebaut worden ist. Hier hat man noch schmiedeeiserne Teile verwendet. Bedingt durch das Stahlherstellungsverfahren rostet sie angeblich nicht, der letzte Schutzanstrich ist von 1929. Sie überquert aber heute nur noch einen Altrheinarm, die Querung des Hauptrheins, der ja damals wohl schon bestanden hatte, ist nicht erhalten. Vorher gab es hier, ähnlich wie in Bonn, ein Trajekt, das heißt eine Zugfähre. Die Brücke lässt sich mit schöner Tiefenwirkung quasi als Beweis für die Fluchtperspektive fotografieren. Weiter geht’s dem Deich entlang Richtung Millingen. Und plötzlich bin ich in den Niederlanden, man sieht es mehr am Straßenbelag, bzw. der Einfärbung der radorientierten Straßenraumgestaltung, das Grenzschild ist schon ziemlich geschrumpft. Nach Milingen kommt dann ein weitere Highlight, nämlich die erste Rheinspaltung. Hier spaltet sich der Rhein in den Waal nach links und den Niederrhein nach rechts. Der Nederrhein heißt hier erst mal Pannerdenschkanaal, wohl nach dem Namen des Forts Pannerden, das genau in der Gabelung steht. Vom Nederrhein zweigt später noch die Ijssel bei Arnheim ab. Die Ingenieure haben die Anlage bei Pannerden so ausgelegt, dass das Wasserverhältnis etwa 2:1 ist. Beide Routen sind aber schiffbar. Das ganze ist sehr technisch, die Ufer werden durch Steinschüttungen gesichert, ein Kontrollturm überwacht den Betrieb. Auch die Umgebung ist zum Teil industriell genutzt, hier ist der Rhein definitiv nicht romantisch. Das wird es danach, weil ich dann durch eine Reihe von Naturschutzgebieten fahre, die durch Kiesabbau und Altrheinarme entstanden sind. Hier gibt es frei laufende naturnahe Kuhherden, Bisons sind es wohl nicht. Die sperren einmal auch den Weg ab, ich warte, bis sie den Weg freigeben. Schließlich geht es auf oder neben dem Deich weiter auf Nijmegen zu. Kurz vorher gibt es noch ein Entwässerungsbauwerk, das in großen Lettern auf eine Deutsch-niederländische Zusammenarbeit bei der Flächenentwässerung 1933 hinweist. Hier werden Wasser, die bei der Entwässerung eines großen Einzugsbereichs, der bis nach Geldern reicht, in den Rhein kontrolliert eingeleitet, oder eben auch nicht. In Nijmegen komme ich kurz nach 17:00 Uhr an, Fahrrad in den Fahrradraum gestellt und erst mal einen Erschöpfungsschlaf gemacht, danach Stadtbesuch. Mein Zimmer hat Blick auf das Nijmegener Oktogon. Es ist die von der Nijmegener Kaiserpfalz gebliebene Schlosskapelle, die etwa 1030 nach Vorbild des Aachener Doms errichtet wurde. Die Kaiserpfalz wurde von Karl dem Großen eingerichtet und mehrere 100 Jahre durch die deutschen Kaiser genutzt. Erst die Französischen Eroberer machten dem Ensemble ein Ende. Heute steht nur noch das Oktogon und der Chor der ebenfalls zur Pfalz gehörenden Martinskapelle.

 

Mittwoch, 26.4.2023

Heute geht es entspannt los, da nur wenige Kilometer zu bewältigen sind. Frühstück um 8:00 Uhr in historischer gewerblicher Fläche mit schönen gußeisernen Säulen. Ich nutze die Zeit und schreibe etwas. Schließlich geht es um 10:00 Uhr los. Erst mal noch zur Pfalz, die nebenbei auf einer Anhöhe wie die historische Stadt insgesamt liegt, dies war wahrscheinlich auch der Grund für die Ortswahl. Mein Hotel liegt aber am Wasser. Ich kann mich gut an historische Ansichten von Nijmegen erinnern, die diesen Höhenunterschied thematisieren. Also gleich zu Anfang den ersten von heute zwei Bergen. Höhe: Etwa 35m. Die ehemalige Fläche der Pfalz ist heute Park, nachdem die Burg als Steinbruch verkauft wurde, hat sich wohl niemand mehr getraut, hier zu siedeln. Die Nikolauskapelle ist nach Aachener Vorbild gebaut, also ein Oktogon, aber kleiner. Das erinnert an andere Oktogone nach Aachener Vorbild, die ich schon gesehen habe. Hier komme ich aber nicht rein und fahre weiter, Onkel Wiki kann mir da bestimmt helfen. Nach Querung der Maas durch ein neu gestaltetes Hochwasserschutzpolder hindurch und schließlich quasi ohne Unterbrechung, durch vorstädtische Bereiche, ich kann nicht unterscheiden, ob es nijhmegische oder arnhemsche Vorstädte sind. Schließlich am historischen Ort Huissen angekommen. An der Arnhemser Port lehrt eine Inschrift an der Ausgrabungsstelle, dass bedingt durch deutsche Bombardements vom alten Ort nicht viel übrig ist. Der Rhein ist hier allerdings nicht zu sehen, zu breit ist das Vorland. Schade, denn hier wäre die Entfernung zum Ijsselabzweig am kürzesten. Diesen fotografiere ich dann, nachdem ich schon fast in Arnhem bin. Das Foto zeigt den Ort, aber nicht die eigentliche Abzweigstrecke. Arnhem ist wohl nicht wegen des Ijsselabzweigs entstanden. Gemäß Onkel Wiki lag Arnheim erst ab ca. 1500 am Rhein, weil dieser damals wieder einmal sein Bett geändert hatte. Grund der Gründung war wohl die Kreuzung zweier Handelsstraßen. Ich fahre übrigens über die John-Frost-Brücke, „die“ Brücke von Arnheim, um die sich so viele Kriegsgeschichten ranken, allerdings die wiederaufgebaute Fassung. Die Einwohner mussten übrigens nach der deutschen Abwehr der alliierten Angriffe vollständig die Stadt verlassen. So sieht sie auch heute aus, wenige historische Bauten, vor allem Kirchen, und eine im Stil der niederländischen Moderne wiederaufgebaute oder besser neu bebaute Stadt. Ich parke mein Fahrrad hinter der wallonischen Kirche und gehe in die Innenstadt zu Fuß. Die St. Eusebius Kathedrale ist so etwas wie eine Stadthalle mit integriertem Museum und Tourist-Information. Schöne Leuchter. Hier ist das Grabmal von Herzog Karl von Geldern sehr prunkvoll im Chor aufgebaut. Eine erklärende Tafel legt dar, dass er wegen seiner besonderen Grausamkeit landesweit geschmäht wurde. Das Grabmal zeigt demnach, dass er es offensichtlich verstand, den richtigen Leuten etwas von seinen Raubeinkünften zukommen zu lassen. Diese wiederum haben mit privaten, aber sicher auch öffentlichen Mitteln durchgesetzt, dass dieses Denkmal erbaut wurde. So funktioniert das auch heute mit diktatorischen Denkmälern, man denke z.B. ehemals an Stalin oder möglicherweise in Zukunft Putin. Stadthaus, Justizpalast, Rheinpromenade und Rheintor, Innenstadtstraßen. Man bereitet sich auf das Königfest vor, das heute Abend und morgen begangen wird. Bei der niederländischen Monarchie ändert sich mit dem Staatsoberhaupt auch der Nationalfeiertag, der war früher, als ich noch in den Niederlanden wohnte, immer am 30. Mai. Durch die geschickte Geburtspolitik der Königin müssen wir uns nur drei Tage umgewöhnen. In den Altstadtstraßen fällt mir noch ein Schaufenster auf, aus dem ein Pferdeschädel herausschaut. Bei näherem Hinsehen sitzt auf einem vollständigen Pferdegerippe auch noch ein menschliches Skelett, alles in Originalgröße. Daneben ein Blumenstrauß. Johann Heinrich Füssli hätte sicher seine Freude gehabt. Es ist übrigens ein Juweliergeschäft. Wieder auf dem Rad steuere ich das niederländische Freilichtmuseum an. Jetzt kommt der zweite Berg, diesmal gut 80 m hoch. Nach etwas Berg- und Talfahrt komme ich an. Eintritt ist stolze 21 €. Irgendwie sind Schulferien, wahrscheinlich wegen dem Königstag. Ich stürze mich in die Hausbesichtigungen. Anders als in Kommern, das seinen Schwerpunkt vor allem in historischer ländlicher Siedlungsweise hat, gibt es hier mehr übergreifende und auch spezielle Themen. So erfährt man etwas über Ferienhäuser und die Wohnwagenkultur. In einem Ferienhaus von 1936 wird die Geschichte der Familie und die des Hauses, das dann im 2. Weltkrieg eine Zeitlang als Unterkunft für jüdische Flüchtlinge diente, erzählt. Auch die Transformation überkommener landwirtschaftliche Gebäude in moderne Wohngebäude kommt häufig zur Sprache, eins ist original samt Inventar aus den siebziger Jahren hier wieder aufgebaut worden. Das Gebiet wird von historischen Straßenbahnen einschließlich Depot und uniformierten Beschäftigten im 5-7,5min-Takt befahren. Das wünscht man sich in einigen deutschen Städten. Die Logistikindustrie ist mit einem historischen Warenumschlagplatz vertreten. Es gibt eine Werft, Wäscherei, Krautkocherei, eine Molkerei und schließlich noch eine Brauerei, die auch braut, nur nicht heute. Später bekomme ich dann im Restaurant doch noch das hier gebraute Pils. Daneben gibt es die auch bei uns häufig anzutreffenden Gewerke Seilerei, Schmiede, Korbflechterei, Schmuckflechterei, etc. Natürlich auch viele Mühlen. Ich bekomme in der Ölmühle den Prozess erklärt. Interessant ist, dass viele Anlagen noch bis zur Mitte des 20. Jh. gelaufen sind, obwohl sie schon damals deutlich veraltet waren. In den südlichen und östlichen Gegenden der Niederlande war der Reichtum auf dem Lande nicht so verbreitet. Schön sind auch einige Fertighäuser, insbesondere ein norwegisches erzählt die Geschichte, dass Norwegen nach der verheerenden Sturmflut 1953 über 300 Fertighäuser für die Obdachlosen in den Niederlanden geliefert hat, der König ist gleich mitgefahren. Wenn ich das richtig gelesen habe, waren die in kürzester Zeit vor Ort. Ich glaube, heute wären in dieser Zeit noch nicht mal die Papiere ausgefüllt. Das macht doch sehr nachdenklich. Das Häuschen sieht übrigens von außen sehr schick aus. Vielleicht nimmt man noch mal die alten Modelle hervor, um Wohnraum zu schaffen. Mit wenigen Abstrichen könnte das auch heute noch funktionieren. Die Geschichte erzählt übrigens auch, dass die neuen Bewohner die eingebaute Dusche so gut wie nicht benutzt haben, um Wasser zu sparen. Ich lese später, dass diese Sturmflut der erste Einsatz des gerade gegründeten THW war. Dieser wurde trotz der noch nahen Kriegserfahrung positiv in den Niederlanden aufgenommen. In einem etwas städtischeren Ambiente erfährt man, dass schon in den 60er Jahren in den Niederlanden die Mode der Chinarestaurants begann, es ist eins in Originalausstattung ausgestellt, ebenfalls das Haus der ersten italienischen Eisdiele in den Niederlanden. Überhaupt machen, bei allem Übermaß älterer Gebäude, doch die 50er und 60er Jahre viel von der Ausstellung aus, teilweise eben nur im Inneren. Gegen Ende des Rundgangs besuche ich noch ein Rotes-Kreuz-Zentrum aus den 60er Jahren. Auch hier merkt man, wie alt man ist, hat man diese Zeit doch als Kind erlebt, die meisten Besucher jedoch nicht. In den dortigen Baderäumen konnten Menschen ohne eigenes Bad wenigstens einmal wöchentlich baden. Hierdurch wurde die Hygiene noch mal deutlich verbessert. So etwas kenne ich auch noch in Bad Godesberg aus dem Kurfürstenbad, wo es solche Badezellen gab. Den Schluss bildet ein Landgut, dass eine aus deutscher Sicht interessante Parallele hat. Wir sind ja nach dem Krieg mit dem Thema der Vertreibung groß geworden, wohl auch, weil dies politisch immer wieder gezogen wurde, vielleicht auch, weil hier ziemlich viel Geld zu holen war. Die Niederlande hatten tatsächlich nach dem Krieg das Problem, dass die ehemalige Kolonie Ostindien, jetzt Indonesien, die Indonesischen Holländer vertrieb, die „Indos“. Dies konnten in den Niederlanden allein aus klimatischen Gründen nicht richtig heimisch werden und haben sich dann „indonesisch“ eingerichtet und Geschichten von früher erzählt. Zurück dann mit der Straßenbahn zum Eingang, zum Einsatz kommen solche aus den 60ern, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, sogar mit Schaffner, der aber hier nichts zu schaffnern hat, immerhin wird zur Abfahrt gepfiffen. Im Restaurant noch ein ham-cheese panini zum Abendessen und das schon erwähnte Bier. Zur Unterkunft sind es nur noch ein paar Meter, ich wähne hauptsächlich bergab, so dass ich den Rucksack aufsetze. Ich wiege übrigens mit Rucksack etwa 93 kg, das habe ich auf der Gepäckwaage im historischen Warenumschlagzentrum gemessen. So ist zu schließen, dass ich bei einem geschätzten Eigengewicht von ca. 80 kg noch 13 kg an Kleidung und Rucksack trage. Das ist etwa auch das Maß von letztem Mal. Die Unterkunft ist ein Privathaus, die Wirtin vermietet zwei Zimmer im Dachgeschoss, bzw. das Dachgeschoss besteht aus zwei Zimmern, Bad und Toilette. Jetzt sitze ich am Fenster, trinke Nescafé Dolce Gusto und schreibe den Tagesbericht. Diese Art von Privatunterkünften gibt es häufig in den Niederlanden und es ist immer wieder bemerkenswert, wie wenig Platz den Toiletten bei den doch großen Niederländern eingeräumt wird, zumindest, wenn es nicht die Haupttoiletten sind.

 

Donnerstag, 27.4.2023, 6. Tag

Heute ist Königstag, ich richte mich also auf Feierlichkeiten in jedem Ort ein. Tatsächlich stimmt das auch, nur in den ganz kleinen Vorstädten oder Dörfern habe ich nichts gesehen, was aber nichts heißt. Also los geht’s heute ohne Frühstück um ca. 8:00 Uhr, ich beschließe, nur mit einem Kaffee, Wasser und einem Proteinriegel bis zum nächsten Fest zu kommen. Die Landschaft nördlich von Arnheim ist sehr ruhig, der Rhein ist fast bündig mit der Landschaft, er erscheint eher wie ein See. Das ist teilweise auch kein Zufall, weil er gelegentlich durch große Stauwehre gestaut wird, Schleusen sind eingebaut. Die Torkonstruktionen der Wehre sind wieder beeindruckend, das macht richtig Spaß, sie anzusehen. Man könnte sagen, es gibt einen poetischen Einschlag der Konstruktion. Hinter Arnheim begleitet ein kleiner Höhenzug eine Zeitlang den Fluss, was einen Deich überflüssig macht. Sobald dieser nicht mehr da ist, wechselt der Weg wieder auf den Deich, wo er über lange Strecken bleibt. Einige Deichstrecken und eine Schleuse später kommt schließlich das Städtchen Rheenen, das mit einem imposanten Kirchturm weit sichtbar ist. Entgegen der Komoot-Route fahre ich in den Ort hinein und hier ist prompt die erwartete Party schon im vollen Gang. Auch wenn ich es schon gelesen habe, glaube ich es kaum. Die Niederländer sind wohl die einzige Staatsbevölkerung, die einen Nationalfeiertag mit Märkten feiert. Schwerpunkt sind die Schnuffelmärkte, wie unsere Flohmärkte. In Rheenen gibt es hauptsächlich Spielzeug, was auf das Wohlstandsproblem hinweist, dass man immer mehr Sachen hat, die man nicht braucht, die aber auch keiner mehr haben will, weil es vielen anderen ebenso geht. Mein Eindruck ist, dass sich am Königstag die Bevölkerung in zwei Teile teilt: Ein Teil verkauft oder organisiert oder macht Musik etc., der andere Teil kauft, ißt und trinkt. In Rheenen sind beide Teile wohl gleich groß. Ich kaufe zwei Sausijzenbrodjes, das ist so etwas wie Hackröllchen im Blätterteig, die ich schon im Freilichtmuseum probiert hatte. Das scheint hier eine typische Street-Food-Spezialität zu sein, auf jeden Fall besser als Hot-Dog und immer spicy. Dann noch ein Bierchen und eine Portion Poffertjes. Weiter geht’s, der nächste größere Ort ist Amerungen nebst Kasteel mit einem sehr gepflegtem Park. Auch hier ist was los, ich fahre aber weiter. Die große Nummer zieht aber der nächste Ort auf der Strecke ab, Wijk bij Dufsteede, der aus mehreren Gründen interessant ist. Hier kreuzt der Amsterdam-Rhein-Kanal den Lek und hier zweigt der Krumme Rhein vom Niederrhein ab. Die Hauptwassermenge fließt quasi „geradeaus“ und heißt nunmehr „Lek“. Der krumme Rhein hat vielleicht ein Fünftel des Wassers und ist nicht schiffbar, fließt aber nach Utrecht. Das ist auch der Grund, warum ich nach Utrecht fahre, weil am Krummen Rhein, so klein er ist, die bedeutenden Städte Utrecht und Leiden liegen, allerdings wechselt der Name dann in den Städten ständig. Schließlich mündet dieser Rheinstrang in Katwijk in die Nordsee. BLEULER hat immerhin zwei Rheinmündungen dokumentiert, und neben Rotterdam und Hook van Holland auch Utrecht, Leiden und Katwijk abgebildet. Vielleicht war damals das Wasserverhältnis noch anders, aber auch damals schon war in Katwijk eine Schleuse der Mündung vorgeschaltet. In Wijk fahre ich wieder durch die Innenstadt. Die empfängt einen, nachdem der Rheinabzweig gebührend bewundert wurde, mit einem historischen Stadttor, auf dem eine Mühle steht. Diese hier dreht sich tatsächlich! Außerdem findet ein Feiertagslauf statt, ob es ein Marathon ist, stelle ich nicht fest. In der Stadt ist es schon ziemlich voll, schönes historisches Ambiente. In der Kirche ist Büchermarkt. Ich beschränke mich auf ein alkoholfreies Radler und beobachte das Treiben. Dann geht’s weiter, nun am Krummen Rhein entlang. Komischerweise gibt es hier keine Deiche, das Gewässer ist wohl unbedeutend genug. Dafür fahre ich quasi durchgehend auf eigenen Radwegen neben der Straße, die mit abnehmender Entfernung von der Stadt Utrecht stärker befahren wird. Auf der Strecke taucht noch eine Überraschung auf, im Örtchen Bunnik steht die St. Barbarakirche von 1938, also ein Jahr vor Kriegsbeginn, eingeweiht 1940. Neben der interessanten Architektur hängt in der dortigen Marienkapelle ein Altar eines alten Meisters, der Ursprung war nicht herauszubekommen. Dort zwei MMs fotografiert. Nach Bunnik zweigt dann der Rhein und damit auch mein Weg von der Hauptstraße ab. Ich komme über das Landgoed Rejnauwen in den Utrechter Dunstkreis. Die Landschaft ist hier übrigens wie perforiert durch Festungsbauwerke, mit denen die Niederlande im 19. Jh. einen Festungswall vor Utrecht „gegen Angriffe aus dem Osten“ wie die Tafel sich ausdrückt, errichteten. Die Konzeption ähnelte derjenigen, die schon im 18. Jh. gegen die Franzosen erfolgreich war, Festungswerke in Abwechslung mit überschwemmten Landschaftsteilen. Interessant, das man schon kurz nach dem Wiener Vertrag solche Sorgen hatte, die ganze Aktion muss viel Geld verschlungen haben. Das größte Festungsbauwerk der Niederlande steht hier und wurde erst kurz nach der Gründung des Deutschen Reichs fertig. Die Anlage musste keine Bewährungsprobe bestehen, da sie beim 2. Weltkrieg technisch schon veraltet war und die ganze Investition daher für die Katz. Heute ist die Festung ein Naturschutzgebiet, das nicht betreten werden darf. Danach geht es gemütlich am Rhein entlang Richtung Utrecht. Der spaltet sich vor der Stadt in die vielen Kanäle und Festungsgräben auf. Was ich von der Stadt sehe, ist erfreulich, klassischer Städtebau mit englischem Habitus, fast durchgehend. Und dann ist quasi urplötzlich Schluss mit lustig. Die Menschenmassen schwillen an und wir haben mit dem Rad quasi zähfließenden Verkehr. Schließlich in der Innenstadt angekommen Straßensperren, die den Autoverkehr großräumig aussperren. Dafür noch mehr Radfahrer. Irgendwann gebe ich auf und gehe zu Fuß weiter, weil die Fußgänger jeden fließenden Radverkehr erschweren, wenn nicht unmöglich machen. Ich kämpfe mich bis zum Bunk Hotel durch, das direkt am Rheinufer liegt. Bis dahin habe ich wahrscheinlich mehr Fahrräder hier gesehen, als insgesamt bisher in meinem Leben. Das schließt auch den Mangel an Fahrradabstellplätzen ein, so dass ich meine Rad vor der Unterkunft am Zaun ankette. Die Unterkunft ist genau das, was erwartet wurde. Eine umgebaute Kirche mit gekonnten Einbauten, die Lounge ist im Hauptschiff, es gibt keine Querschiffe, dafür eine Galerie, eine ist noch sichtbar, die andere dient schon der „Zimmer“-Erschließung. Am Self-Check-In wird mir geholfen und sogar die Kabine gezeigt. Die besteht wirklich nur aus dem Bett, ein „Storage“ ist darunter, mit der „Zimmer“-.Karte abschließbar. Es ist an alles gedacht, ich kann sogar die Beleuchtung wie im CitizenM einstellen. Das Konzept ist ähnlich, allerdings extremer und ohne eigene Sanitäranlagen, die man sich teilt, übrigens unisex. Sehr freundliches Personal und weil heute Königstag ist, bekomme ich noch ein Bier an der Bar spendiert. Danach stürze ich mich ins Getümmel, ich will wenigstens etwas von der Stadt sehen. Das ist allerdings sehr schwierig, weil man nicht wirklich vorwärts kommt. Jeder Platz ist quasi von einem Eventzelt belegt, jede Kneipe macht ein Straßenevent und dazwischen sind noch die Stände von Essen, Trinken und den Flohmarkthändlern. Die Party ist eindeutig auf junges Publikum ausgelegt. Es gibt mindestens 10 Eventplätze, die alle in der Hand von DJs sind. Überall muss man an Security vorbei, bei einem Bereich wird man sogar leibesvisitiert. Einige Sets schaue ich mir an, bin aber nach insgesamt 2 Stunden durch und flüchte in die Unterkunft. In der Hall ist viel los, hauptsächlich wird gespielt verschiedene Brettspiele, ich identifiziere Mah Jongg, aber auch anderes. Ich hole mein Keybord und schreibe meinen Reisebericht. Nachdem ich auf der Straße noch eine Portion Fritten ergattert hatte – das erste Mal habe ich in den Niederlanden mit richtigem Geld bezahlt! – esse ich hier noch ein paar Bitterballen und konzentriere mich auf Bier. Zunächst gibt es ein Neipa Hazy Jane von Brewdog, die ich mit Stefan schon in Rotterdam kennen gelernt hatte. Zum Abschluss gönne ich mir noch ein Playground IPA von Vandestreek, das ohne Alkohol auskommt. Die alkoholfreien IPAs habe ich ja in Finnland schätzen gelernt, wo ich in einer Gaststätte in Helsinki zwischen fünf Sorten „vom Fass“ wählen konnte. Soweit ist es hier noch nicht, aber es gibt immerhin drei Sorten zur Auswahl. Ich verstehe nur wieder nicht, warum ich auch hier Weihenstephaner trinken könnte.

 

Freitag, 28.4.2023, 7. Tag

In dem Bunk habe ich überraschenderweise gut geschlafen, auch die Geräusche der Nachbarn waren mit Hotels vergleichbar. Alle halten sich an die ausgegebene Devise: „Make Love, not Noise“. Nicht alle halten sich an die Schuhordnung, es gibt am Eingang zum Schlafbereich mit ca. 30 Bunks ein Schuhregal, damit kein Straßendreck reinkommt. Aber schon bei meiner Ankunft hat das nicht funktioniert, weil mein Begleiter nicht darauf hingewiesen hatte.Pünktlich zum Frühstück um 7:30 Uhr sitze ich unten. Frühstück ist hier nach Menue, nicht als Buffet, eine im Grunde gute Idee. Allerdings darf man nur ein Gericht, ein Warm- und ein Kaltgetränk wählen. Die Qualität war hervorragend, ich hatte ein Müsli mit griechischem Joghurt und frischen Früchten. Allerdings reicht die Menge des Essens nur für Kopfarbeiter, nicht für Tagesradfahrer. Also denke ich, später noch einen Proteinriegel und das wird schon klappen. Der Wetterbericht ist schlecht, ich muss wieder mit Gegenwind rechnen. Da das Regenradar keinen Regen signalisiert, breche ich auf. Ab sofort bis zum Ende der heutigen Tour kann ich darüber sinnieren, ab wann Luftfeuchtigkeit Regen ist. Hier muss ich an die Aussage eines bekannten gallischen Kriegers denken, der sagte: "im Süden da regnet es. Hier frischt es nur etwas auf“. Auf jeden Fall ist es naß, aber auf dem Boden und dem Wasser ist kein Tropfen zu sehen, also verzichte ich auch auf die Radregenhose. Zunächst fahre ich an diversen Kanälen, die Utrecht mit dem Lek verbinden in Richtung Lek. Der eine Kanal heißt Vaarscher Rhein, der andere Amsterdam-Rhein-Kanal, die sich dann auch noch kreuzen, aber auf gleicher Ebene, die Wasserfläche sieht eher wie ein See aus. Warum der Vaartsche Rhein Rhein heißt, weiß ich nicht, aber es gibt auf jeden Fall eine Verbindung zum krummen Rhein in Utrecht. Der Vaartsche Rhein mündet dann bei Nijuwegen wieder in den Lek, wie auch der Amsterdam-Rhein-Kanal, dem ich folge. Großartig die Prinzessin Beatrix-Schleuse, die 1938 gebaut wurde. Eine Doppelschleuse, die mit Hubtoren arbeitet. Das eingetragene Denkmal ist restauriert und voll funktionsfähig. In architektonischen Sinn geil ist der Personaltrakt oben auf dem Konstruktionstor. Ich beobachte einen Schleusvorgang. Zwei Flussfrachter passen hier rein, die Schleusung geht ziemlich schnell. Danach bei Nieselregen weiter um Mündungspunkt des Kanals in den Lek, man sieht nicht mehr viel in die Ferne, dafür viel Wasser. Bei der Fahrt sehe ich die Hinweisschilder zum Örtchen Ijsselstein. Ja, die Ijssel fließt doch von Arnheim in Richtung Norden, was macht der Name hier? Die Entwirrung zeigt, dass es auch noch eine „holländische Ijssel“ gibt, die hier etwa gebildet wird und dann Lek-parallel fließt, bis sie bei Krimpen an der Ijssel dann in den Lek mündet. Aha. Also fahre ich weiter und stelle fest, dass auch hier jedes Örtchen quasi als Festungsstadt gegründet worden ist, mit der sogenannten Alten holländischen Wasserlinie, mit der das Kernland der Niederlande im 17. Jh. verteidigt wurde. Offensichtlich gab es auch einen Grund, da König Ludwig der 14. von Frankreich schließlich 1792 einen Besetzungsversuch wagte. Man ist an heutige Zeiten erinnert, nur dass der Bösewicht nun im Osten sitzt, damals im Westen. Die Verteidigungsstrategie war übrigens sehr ausgeklügelt. Neben den Festungsstädten und Fortanlagen wurde im Verteidigungsfall das Vorland gezielt unter Wasser gesetzt. Und zwar etwa 40 cm hoch. Das ist wohl zu viel, um von Pferden durchwatet zu werden und zu wenig, um mit Boten überzusetzen. Nach den vielfältigen Erklärungen auf den vielen Tafeln zu dem Thema hat es auch wohl funktioniert. Gestern bin ich ja vor Utrecht auf die zweite holländische Wasserlinie getroffen, die im 19., Jh. wohl vor allem germanischen Aggressoren galt. Welch‘ Energie und Kosten dieses Land schon aufgewendet hat, um die kleine Fläche als freies Land zu erhalten! Die schönen alten Städte, die heute bewundert werden, müssten eigentlich unter ganz anderem Gesichtspunkt bewertet und geschätzt werden. Heute feiert man jede alte Mauer als Sensation, eigentlich schwachsinnig. Ab dem Erreichen des Lek führt der Weg hauptsächlich auf dem Deich, der hier einfach Lekdijk-Oost, passend wahrscheinlich zur anderen Seite Lekdijk-West heißt. Nach Jaarsfeld geht es per Radfahrer- und Personenfähre nach Ameide auf der anderen Seite. Die Fähre fährt nur nach Bedarf, ich fahre drauf, bin der einzige Gast und nach dem Bezahlen von 1,50 € geht es sofort los. Auch hier wird Nachwuchspersonal gesucht, der Schiffer dürfte etwa in meinem Alter sein. Von Ameide aus geht es nach Nieuwpoort, auch eine Festungsstadt aus der holländischen Wasserlinie. Sie sind alle nach dem gleichen Muster gebaut, in der Mitte eine rasterförmige Siedlung, dann eine sternförmige Wallanlage mit breitem Wassergraben und Ein- und Ausfahrtsanlagen mit besonderen Befestigungsstrukturen. Eigentlich recht einfach, aber eben alt. Ich fahre durch und gelange wieder mittels Fähre auf die andere Seite, der Stadt Schoonhoven. Der Fährpreis ist für mich und Fahrrad 1,0 €, aber hier ist der Autoverkehr bestimmend, die Fähre kann nicht alle wartenden Fahrzeuge aufnehmen, so viel Verkehr ist hier. Schoonhoven ist die niederländische Silberstadt. Nur weil der Herzog von Blois hier für seinen Prunk viel Geschmeide gebraucht hatte, sind spätestens seit dem 16. Jh. mindestens 2, teilweise 10 und mehr Silber- und Goldschmiede hier gleichzeitig tätig. Auch heute läuft man an der Hauptstraße an vielen Juweliergeschäften entlang. Natürlich gehört auch Schoonhoven zu der niederländischen Wasserlinie mit Binnenhafen. Ich bin weniger am Silber als an etwas Essbaren interessiert und mache Pause in der basta Coffe & Lunch-Bar, bei der ich dann zuerst einen Kaffee, dann ein Tunfischsalat-Sandwich und dann ein lokal gebrautes IPA zu mir nehme. Allerdings nimmt das Wetter in dieser Zeit weiter seinen Lauf, die Tröpfchenhäufigkeit nimmt zu, die Sicht wird schlechter und der Wind, natürlich als Gegenwind oder günstigenfalls als Seitenwind, frischt auf, heute, gemäß Windfinder bis auf 22 km/h. Irgendwann geht es aber dann los, man sieht fast nichts und Regen spürt man auch nicht. Nur irgendwann ist festzustellen, dass die Hose durchnässt ist, also muss es doch irgendwie Regen sein. Jetzt lohnt sich aber auch die Regenhose nicht mehr. Also durch, es sind noch ca. 10 km, die aber wirklich nicht lustig sind. Zum Lek ist zu bemerken, dass er etwa ab Schoonhoven wieder optisch zu der Schifffahrtsstraße wird, die auch schon in Düsseldorf der Eindruck ist. Links und rechts sind Deiche, die ohne Übergang in Steinbefestigungen und Kribben übergehen. Nachdem zwischendurch der Eindruck entstanden war, das der Fluss schmaler geworden ist, wird er wieder breiter, ich kann auch nur wenig Strömung ausmachen. Die Siedlungen verstecken sich, mit wenigen Ausnahmen, hinter dem Deich. Es ist immer wieder überraschend, wieviel Aufwand einige Hausbesitzer hier für ihren Garten treiben. Da gibt es neo-barocke Gärten mit extrem hohem Pflegeaufwand. Leider konnte ich auch eine direkte Nachbarschaft mit einem Garten des Grauens feststellen. Aber auch das ist Freiheit. Schließlich gegen 15:00 Uhr Ankunft in Lekkerkerk, direkt zum Hotel gefahren. Das Hotel ist etwas in die Jahre gekommen, aber freundliches Personal und sauber und warm. Ich plane einen Erschöpfungsschlaf, aber so schlimm war es wohl nicht, also ab ca. 16:30 Uhr an den vorhandenen Schreibtisch, einen Tee gemacht und am Reisebericht gearbeitet. Zur Feier des Tages habe ich mir einen Tisch im Restaurant bestellt, ohne vorher geprüft zu haben, ob das hier etwas taugt. Im Restaurant sind wenige Tische besetzt, eine große holländische Gruppe ist zum Glück in einem eigenen Raum untergebracht. Erst mal ein zünftiges belgisches Bier und dann ein Rindercarpaccio bestellt, aber nur, um zu schmecken, ob der angekündigte Old Amsterdam hier zur Geltung kommt, was auch der Fall ist, obwohl bei der hiesigen Zubereitung wohl nicht von Carpaccio gesprochen werden kann, weil die Sauce nur obendrauf geträufelt ist. Trotzdem lecker.

Ich bin übrigens gerade im Krimpener Waard, ein Gebiet, das vom Lek bis nach Gouda reicht, das hier nur wenige Kilometer landeinwärts liegt. Die Gegend soll vor allem durch die Käseherstellung bekannt sein, tatsächlich sehe ich auch einige Schilder, die auf Molkereien und Käsebauernhöfe hinweisen. Leider hat das keine Auswirkung auf das Käseangebot im Hotel. Außerdem sehe ich keine einzige Kuh auf irgendeiner Weide, obwohl hier Grünland ohne Ende vorhanden ist. Die Kühe stehen wohl vor allem im Stall und werden mit Silage gefüttert, leider. Dem Käse kann man dann auch nicht sehr trauen.

Noch etwas lerne ich hier. Im Hotel sehe ich im Fernsehen einen Beitrag, dass in den Niederlanden gerade heftig um Stickstoffeintrag durch die Landwirtschaft gekämpft wird. Viele Bauern haben in der Gegend Fahnen rausgehängt: „No Farmers, no Food“. Aber das ist natürlich Agitation. Wer sagt, dass der Erfolg der Landwirtschaft von einer Überdüngung des Bodens abhängt? Entscheidend ist ja, den Boden so zu düngen, dass er eben nicht überflüssigen Stickstoff ins Wasser abgibt, was in den Niederlanden natürlich überall passieren kann, weil Wasser ist immer da und zwar direkt unter der Oberfläche. Hier muss wohl noch kommunikativ gearbeitet werden. Das Problem gibt es ja auch in Deutschland, bisher haben die vornehmlich CSU-geführten Landwirtschaftministerien immer verhindert, die Landwirtschaft auch in die Verantwortung zu nehmen.

 

Samstag, 29.4.2023 , 8. Tag

Heute beginnt das große Rhein-Finale. Der Lek vereint sich bei Krimpen mit dem Noord-Kanal zur Nieuwen Maas, um als solche nach Rotterdam zu fließen. Der Noord-Kanal zweigt vom Beneden Merwede ab, ein Arm des Waal, der die Insel Dordrecht umfließt. Warum das Ergebnis dann Nieuwe Maas heißt, ist mir noch nicht klar. Die Maas vereint sich übrigens südlich von Dordrecht mit dem Waal. Das Ergebnis heißt dann Hollands Diep und ist schon als Teil des Meeres zu verstehen. Offensichtlich ist bei der ganzen Mäandriererei in der Geschichte etwas der Überblick verloren gegangen, aber die Maas hat mit den Begriffen auch historisch wohl nichts zu tun. Die heutige Situation ist dann Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. Um die Verwirrung noch zu erhöhen, erklärt Onkel Wiki, dass sich bei Dordrecht der Waal-Arm Beneden Merwede in den Noordkanal und die Oude Maas teilt. Wenn also jetzt die Oude Maas ein Rheinarm ist, ist es auch die Nieuwe Maas. Alles klar? Hierzu kann noch erwähnt werden, dass sich Maas und Waal schon vorher sehr nahe gekommen sind und bei Sint Andres eine Kanalverbindung existiert. Zwischen Ammerzoden und Woudrichen gibt es eine Verbindung, die „afgedamte Maas“ heißt, was auf einen historischen Maasverlauf in Richtung Waal hindeutet,der 1904 abgebunden worden ist. Schließlich heißt der Waal seit der Einmündung der Afgedamte Maas dann Boven Merwede. Dort wo die Insel Dordrecht anfängt, fließt dann ein nördlicher Arm als Beneden Merwede nördlich an Dordrecht, und der andere Arm, Nieuwe Merwede südlich an Dordrecht vorbei.

Start mit Frühstück um 7:30 Uhr, ich bin fast pünktlich aber schon viel Betrieb. Hier sind wohl zwei Gruppen da. Eine ältere und eine Gruppe belgischer Trike-Fahrer. Frühstück ist o.k., leider wieder Plastik-Rührei. Ich komme gegen 9:15 los. Um 10:00 Uhr bin ich an der Wasserbushaltestelle in Krimpen a.d.Ijssel, aber zu spät. Ich setze mich ans Ufer, hier von der Nieuwen Maas. Um 10.52 Uhr kommt dann der Wasserbus nach Dordrecht, der ziemlich flott unterwegs ist. Für 7.20 € komme ich dorthin. Auf der Fahrt bewundere ich die Vereinigung von Lek und der Noord-Fahrt zur Nieuwen Maas und komme dort, wo der Nieuwe Merwede sich in den Noord-Kanal und die Oulde Maas aufteilt. Das ganze sind riesige Wasserflächen, der Begriff –„See“ erscheint hier wirklich angemessen. Dordrecht erweist sich als größere ältere Stadt mit Grachtenringen und einer fast durchgehenden historischen Bebauung. Und dazu noch die Oude Maas-Promenade. Ich mache einen Stadtrundgang und komme an der Giraffe von Henk Visch vorbei zur Kathedrale. In der Kirche lerne ich, dass hier quasi die niederländische calvinistische Verfassung in einer Synode 1618 bis 1619 erarbeitet wurde. Die damals abweichlerische Meinung der Remonstranten würde ich heute befürworten, die Hartliner konnten das im 17. Jh. wohl nicht durchgehen lassen. Im Kern ging es um die Frage, ob der Mensch hinsichtlich seiner Verdammnis eine eigene Entscheidungsfähigkeit hat. Die siegreiche Partei war und ist wahrscheinlich noch der Auffassung, dass Gott auch diese Frage bereits vorab entschieden hat. Gnade kann sowieso nur der gottesfürchtig lebende Mensch ergattern. Interessant ist eine Abbildung der Synode, wonach auch Abgeordnete der Pfalz, aus Hessen, der Schweiz etc. anwesend waren. Die französischen Abgesandten fehlten, weil ihr König die Ausreise verweigert hatte. Nach der Synode wurde in Dordrecht auch die erste niederländische Bibelübersetzung, die „Statenbibel“ erarbeitet. Die Synode dauerte ein halbes Jahr und muss wohl schon touristische Effekte gehabt haben.

Dordrecht war auch sonst wichtiger Schauplatz auch von politischen Entscheidungen. Die Bedeutung der Stadt lag wohl an der strategischen Position einer Insel mit breiten vorgelagerten Wasserflächen, was quasi eine Uneinnehmbarkeit mit sich bringt. Nach dem Stadtrundgang fahre ich um 14:00 Uhr mit dem Wasserbus nach Rotterdam, Erasmusbruck. Da ich Rotterdam schon etwas kenne, fahre ich gleich weiter. Allerdings folgt noch ein Highlight. Komoot leitet mich durch den Maastunnel. Mir war nicht klar, dass der alte Tunnel von 1937 -1943 jetzt für Fußgänger und Radfahrer reserviert ist. Die alten Rolltreppen laufen noch, die auch von Radfahrern neben dem Aufzug benutzt werden dürfen. Ich also runter, durch und wieder rauf. Tolles Erlebnis, gibt es noch in Hamburg und Antwerpen, dort allerdings tiefer. Dann geht es endlos durch Hafengelände, das mit zunehmender Entfernung vom Zentrum immer großzügiger hinsichtlich der Straßen- und Wegeinfrastuktur wird, wahrscheinlich, weil alles aufgespültes Land ist. Hier werden gerade auch illegale Rennen gefahren, weil samstags auf Hafenstraßen offensichtlich nichts los ist. Irgendwann zweigt der Weg ab ins Hinterland, es wird vorstädtisch und mit einem Schlag wieder ländlich, als gäbe es den Großstadtkoloss nicht. Dann noch einmal ein Highlight, eine riesige Hebebrücke, welche die Autobahn und den Radweg über die Oude Maas führt. Ich sehe in der Ferne eine weitere Hebebrücke und habe bei Dordrecht auch eine gesehen. Hier ist der Aufwand erwähnenswert, den der Staat Niederlande treibt, um Seeschiffe in seine Hinterliegerhäfen zu schaffen. Das zeigt auch die Bedeutung des Handels. Nach weiterer Fahrt durch schönes Grünland bin ich plötzlich da, Komoot hatte den Eingang 200 m weiter markiert. Ich komme durch das Tor und stelle fest: Keiner da. In meiner Hütte steckt der Schlüssel, also kann ich rein. Die Restauration ist auch nicht besetzt, also kann ich das geplante Weintesten und Abendessen vergessen. Also fahre ich noch mal los ins Nachbardorf, da gibt es bei einer Ferienhaussiedlung ein Pannekoekenbakker-Lokal. Dort gespeist, wieder zurück und noch etwas am Reisebericht geschrieben. Hier ist es sehr ländlich und ich habe von meiner Weinberghütte, übrigens „Traminer“ mit Namen, Blick auf die Weinstöcke. Alles ist hier etwas sehr rustikal, aber es ist schon ein richtiger Weinberg. Abends kommt noch etwas Leben auf, weil die Hütten links neben mir von jungen Leuten besetzt sind, die zusammen grillen. Ich beschließe aber den Tag dann gegen 21:00 Uhr.

 

Sonntag, 30.4.2023, 9. Tag.

Ganz gegen die Erwartung habe ich gut geschlafen, musste allerdings zwei mal „raus“ heute tatsächlich im Wortsinn. Das zweite mal hat mir einen tollen Morgenhimmel, vor Sonnenaufgang, beschert. Der Wecker stand auf 7:30 Uhr, ich wurde tatsächlich durch den Wecker geweckt, also über 10 Stunden geschlafen. Das hatte ich schon lange nicht mehr, Einschlafen und Aufwachen nur mit Naturgeräuschen. Dazu gehören auch die Schweine, die neben der Küchenhütte die heruntergefallenen Lebensmittel, vor allem Nudeln der jungen Leute aufgefuttert haben. Die Dusche im Waschwagen ist sogar warm, ansonsten beeilt man sich aber wegen der Kälte. Ich habe in der Hütte keine Heizung gesehen, es war aber knapp warm genug. Dafür scheint jetzt am Morgen die Sonne direkt rein und wärmt das Ganze sofort auf. Ich gehe dann gegen 8:45 Uhr mal zum Frühstücksort um die Frage des Frühstücks zu klären. Habe ich nun bestellt oder nicht? Ich hatte nicht, es lässt sich aber machen, nur ohne Ei. Das Frühstück findet auf einer überdachten Terrasse statt, ein Heizstrahler ist freundlicherweise in Betrieb. Das Ganze ist „sehr“ rustikal, z.B. liegt eine Katze auf dem Tisch, der Wirt ist aber freundlich. Es stellt sich heraus, dass er eigentlich Physiotherapeut ist und demente Menschen hier auf dem Hof mit Malen und anderen Aktivitäten betreut, der Frühstücksservice ist für ihn nur nebenbei. Somit bekomme ich die Winzer auch heute nicht zu Gesicht. Ich frage nach einem Weintasting. Er sagt, er trinkt keinen Wein und kann dazu nichts sagen. Allerdings stellt er mir drei Flaschen zum Probieren hin. Es sind alles Rote. Ich starte mit der rechten Flasche und erwische zum Start den Quasi-Port, sie nennen es „Nedport“. Der haut fast um, zum Glück habe ich nur wenig eingegossen. Also den kann man gut trinken. Die beiden Cuvees fallen dagegen natürlich ab, es sind übrigens nur Landweine. Der eine Heißt Cuvee Rondo Foch 2013 und der andere Cuvee Cabernet. Den Cuvee Rondo Foch kann man gut als Tischwein verwenden. Für eine Weinprobe würde ich dann doch den Port auswählen. So komme ich dann doch noch, nur zur ungewöhnlichen Tageszeit, zu meinem Weintasting, weshalb ich ja hierher gekommen bin. Dann gegen 9:30 Uhr abgefahren. Es geht zuerst durch grünes Hinterland. Im Örtchen Zwartewaal überkommt mich das Gefühl, dass es in den Niederlanden so etwas wie ein Grundrecht auf Bootsbesitz geben muss. Am hiesigen Binnenhafen reiht sich ein Boot an das andere, allerdings weitgehend Motorboote. Dann kommt der erste Fluss, der hier „Briellse Meer" heißt, er könnte auch mal„"zwarte Waal“ geheißen haben, wie der eben durchquerte Ortsname anzeigt. Dieses Stück Gewässer zweigt durch einen Kanal von der Oude Maas ab und ist ziemlich naturnah, es gibt nur wenig, und vor allem Freizeitschiffsverkehr. Wie der Name sagt, weitet sich hier das Gewässer auch seeartig auf, bevor es bei der namensgebenden Stadt Brielle über einen weiteren Kanal mit dem Gewässersystem des Europoort verbunden wird. Kurz nach der Querung dieses Gewässers dann die richtige Brücke über einen kanalartig ausgebauten Schifffahrtsweg, den Hartelkanal, der ebenfalls von der Oude Maas abzweigt und zum Europoort führt. Wieder eine schöne Hebebrücke. Auf der anderen Seite erwartet einen dann schon das Hafengebiet, hier mit Petrochemie, wohl eine Shell-Raffinerie. Man erkennt auf der anderen Brückenseite sofort, wo die aufgeschwemmten Länder sind. Plötzlich ist viel Platz für Verkehrswege, neben Straßen ohne Ende auch Platz für gute Radwegeführung. Ich frage mich hier wieder, warum hier keine Bäume gepflanzt werden. Platz wäre genug und sie würden ja zur Bodenbefestigung beitragen. Aber das werden die Baumeister schon abgewogen haben. Dann im Hafengebiet das nächste Highlight des Tages, neben einem Hafenarm durchfahre ich eine Phalanx von merkwürdig geformten riesigen Betongebilden, teils als Säulen, teils als gebogene Schalen, teils als Platten ausgebildet. Das Ding heißt Windscherm Calandkanaal. Die Internetseite der Stadt Rotterdam führt das Opus unter der Rubrik „Sculptures“ auf und erläutert: „Um Schiffe auf ihrem Weg zur Maasvlakte vor Windböen zu schützen, wurde vom Stadtarchitekten Maarten Struijs und dem Bildhauer und Landschaftsarchitekten Frans de Wit eine fast 2 Kilometer lange „Windschutzscheibe“ entworfen. Die Windschutzscheibe wurde zwischen 1983 und 1985 gebaut, als sie die größte der Welt war“. Dafür würden in anderen Umständen Künstler viel Geld bekommen. Wunderschön, Baukunst im eigentlichen Sinne. Das Hafenbecken, das hier gequert wird, ist die Verlängerung des Calandkanals und heißt Brittanniehaven. Dann geht es nach Rozenburg. Das ist ein komischer Ort, an drei Seiten von Industrie umlagert, eine Seite ist der Fluss, der nun „Nieuwe Waterweg“ heißt. Wie dem auch sei, ich erwische gerade noch die Fahrrad- und Fußgängerfähre, die nur zweimal in der Stunde fährt. Auf der anderen Seite wartet der Ort Maassluis auf mich. Auch er hat einen Hafen, der senkrecht vom Fluss abzweigt. Der Ort hat eine besondere Bewandtnis. Es gibt einen Roman von Maarten t’Hart: Der Nachtstimmer, im Original natürlich auf niederländisch. Dort wird die Geschichte eines Orgelstimmers erzählt, der in einem gottverlassenen Ort, der komisch riecht, eine berühmte Orgel von Rudolf Garrels stimmen soll. Ich hatte identifiziert, dass alle Straßennamen, Gebäudebezeichnungen und auch die Kirche nebst Orgel identisch mit Maassluis sind. Also wollte ich die Orgel sehen. Das war nicht erfolgreich, weil gerade Messe war, dafür habe ich aber die Orgel gehört. Es muss tatsächlich ein schönes Instrument sein. Der Ort erweist sich genau so, wie t’Hart ihn beschrieben hat, mit Ausnahme eines Punkts. Er startet die Geschichte mit eine Beschreibung die drauf schließen lässt, dass der Ort nicht so attraktiv ist. Dem ist nicht so. Es ist ein schöner, von Historie belebter Ort (Gründung mit der ersten niederländischen Wasserlinie) mit allem was eine historische Stadt in den Niederlanden ausmacht. Die Aussage t'Harts kann verschieden interpretiert werden. Zum einen, da er dort aufgewachsen ist, hatte er als Jugendlicher andere Wahrnehmungen. Zum anderen könnte es auch dialektisch sein, um zunächst das Versteckspiel, da er den Ort nicht benennt, spannender zu machen. Oder er will sich einfach über den Publikumsgeschmack lustig machen. Alles ist wohl bei t’Hart denkbar. Ich fotografiere auch das Schifferheim, der Ort, in dem der Protagonist übernachtet. Nach kurzer Pause bei der Kirche geht’s weiter. Nach kurzem Kurven durch den Ort kommt nun die lange Promenade am Wasser. Mit Blick auf das Flussende und keinem Gegenwind fährt es sich leicht, so dass ich im Nu in Hook van Holland bin. Ich stelle fest, dass inzwischen die S-Bahn bis zum Strand fährt. Ich auch, hier tanzt der Bär, leider auch mit negativen Begleiterscheinungen mit Spielhallen etc., man denkt an Brighton. Am Strand dann zu Fuß zur Mole und dort bis zum Ende langsam mit dem Rad. Hier ist der formale Endpunkt der Reise, weil die Rheinkilometrierung nach einer aktuellen Länge von 1.232,7 km hier endet. Glück, bei tollem Wetter und akzeptablen Temperaturen, diesen Ort (noch mal) zu erleben. Das letzte mal mit Corinna war hier fieses Wetter. Nach kurzer Andacht dann weiter, das Hotel liegt nicht direkt am Strand, sondern etwa 3 km dahinter, von Hook van Holland allerdings aus noch etwas weiter. Der Radweg führt größtenteils durch die Dünen, was sehr naturnah ist, allerdings ist der Radverkehr sehr stark. So gegen 14:00 Uhr, wie geplant, bin ich am Hotel in Poeldijk. Das Hotel ist denkmalgeschützt, es steht als solches sogar im touristischen Führer. Äußeres, Treppenhaus und wohl auch das EG sind wie zum Ende des 19., Jh.. Das Zimmer im 2. OG/Dachgeschoss ist zum Glück modern, auch die Badinfrastruktur ist aktuell. Schönes Konzept. Nach Dusche und kurzer Recreation beschließe ich, noch mal an den Strand zu fahren, der hier nur etwa 3 km entfernt ist. Dort, nach kurzem Strandlauf, Rückzug in eine der beiden örtlichen Bars, die Bondi heißt. Bis zum Dinner gegen 17:30 Uhr beschließe ich, am Reisebericht zu arbeiten. Mit Hilfe von zwei Bier gelingt das auch in gewissem Maße, immer mit Blick auf die Nordsee und Sonnenschein von hinten. So gegen 17:30 Uhr wechsle ich dann von draußen nach drinnen, weil die Finger an der Tastatur dann doch kalt werden. Zum Dinner gibt es Burger und einen gemischten Salat und noch ein Bierchen. Nach einem Kaffee geht’s dann zurück zum Hotel.

 

Montag, 1. Mai, 10. Tag

Pünktlich um 7:00 Uhr beginnt dann der Tag mit dem Frühstück. Der Wetterbericht macht weniger Freude, es wird wieder Regen gemeldet, aber erst gegen Mittag. Also gegen 8:15 Uhr los. Erst zu den Dünen, dann meistens ein Radweg hinter oder hauptsächlich eigentlich in den Dünen. Die Dünenlandschaft begeistert. Zum einen sind die ziemlich hoch, es ist wie eine Ansammlung riesiger Sandhaufen, die unterschiedlich bepflanzt sind, es wechselt sich nackter Sand, mit Gräsern und Seggen bewachsener Sand oder in wenigen Bereichen auch mit Gehölzen bewachsener Sand ab. Der Bereich mit den Gehölzen ist vor allem zwischen Scheveningen und Katwijk. Alles steht unter Naturschutz, aber der Radweg geht durch. Die Landschaft ist sehr naturnah, wohl die naturnächste auf der ganzen Tour am Niederrhein. Einschließlich der Vogelgeräusche, einige kenne ich nur aus dem Zoo oder dem Tierpark. Hin und wieder stören Überreste des Atlantikwalls, die immer erläutert werden, übrigens in sehr sachlicher Weise und ohne Angriffe auf die heutigen Deutschen. Die Bunkeranlagen sind, soweit sie noch stehen, in den Naturschutz integriert, hauptsächlich als Fledermaushabitat. Dann kommt Scheveningen als langer Arm, bzw. Hafen von Den Haag. Hier wird gebaut wie verrückt, ein ganzer Stadtteil mit großen Mehrfamiliuenhäusern entsteht, bzw.. wird erweitert. Der alte Kern besteht aus dem Hafen und der daran anschließenden Kaufmanns- und Fischersiedlung, ich fahre am Hafen entlang. Auch hier trifft die Bemerkung zum Grundrecht auf Schiffsbesitz zu, allerdings hier hauptsächlich mit Segelbooten, nahezu alles Dickschiffe. Hinter Scheveningen wieder die Dünenlandschaft, die nur durch einen Wasserturm und dem Standort einer königlichen Villa, die aber dummerweise in den 80er Jahren abgebrannt ist, bisher hat man einen Wiederaufbau, möglicherweise aus Naturschutzgründen, nicht mehr angepackt. Nördlich davon kommt dann der Bereich, der auch von Bäumen bestanden ist, Ich tippe auf Weiden und Weiß- oder Rotdorn, vielleicht ist auch die eine oder andere Eiche dabei. Dann kommt schon Katwijk, das sich, abgesehen von Leuchtturm und Kirche, als am Meer aufgereihte Feriengastsiedlung erweist, wohl schon seit dem 19. Jh. Man hat geschickt unter die Dünen eine Tiefgarage gebaut und die Auffahrtshäuschen angepasst designt. Geht doch, zeigt aber auch, dass heute mit Sicherheit kein Hochbetriebstag ist. Die Rheinmündung liegt schon nördlich der eigentlichen Siedlung. Hier warten mehrere Überraschungen. 1. Der Rhein fließt hier nicht wirklich. Der Mündung ist eine Schleuse und eine Pumpstation vorgelagert, es läuft also nur in bestimmten Situationen Wasser durch. Heute zumindest nicht sichtbar. 2. Die Mündung ist schön naturnah, der Gewässerlauf mündet in den Sandstrand und dann ins Mehr, so wie wahrscheinlich schon immer. BLEULER stellt die Situation ähnlich dar, zum Ersatz für den wenig imposanten Rhein zeichnet er ein aufschäumend dynamisches Gewässer, was aber schon die Nordsee ist. 3. weist eine Tafel darauf hin, dass der römische Limes hier seinen Abschlusspunkt hatte. Der Endpunkt wurde durch ein Kastell gebildet, das heute Brittenburg genannt wird. Diese Burg wurde aber bis heute nicht gefunden, obwohl alte Quellen eine Karte darstellen. Es ist wohl unsicher, wo damals genau die Küstenlinie und die Rheinmündung lag, und damit ist auch die Lage des Kastells nicht bekannt. Entweder liegt es schon in der heutigen See oder unter den Dünen. Irgendwann wird man es mit modernen Mitteln entdecken. Hinter Katwijk versuche ich, Richtung Leiden am „Rhein“ entlang zu fahren. Der ist aber so gemein, im Umfeld von Leiden, wohl wegen der historischen Befestigungsanlagen, sich zu splitten und andere Namen anzunehmen. Die meisten sind hier nicht schiffbar. Direkt hinter Katwijk aan Zee kommt der Ort Katwijk aan Rhijn und dann Rijnsburg, hier sieht der Rhein schon größer und auch mit kleineren Schiffen schiffbar aus. Danach splittet er sich in „ Oude Rijn“ und „Overrijn“. Die schiffbare Hauptlinie heißt allerdings „Oude Rhin“. Übrigens ist das Tourstück von Katwijk bis Leiden das einzige, das Rhein-aufwärts führt. Wobei hier in den „tiefen“ Niederlanden das nicht wirklich zu Buche schlägt. Der Oude Rhijn teilt sich, bzw. bildet sich südöstlich von Leiden aus der Korte Vliet und dem „Galgenwater“. Und jetzt kommt der versprochene Regen. Ich beschließe, da ich etwas von wenig Regen gelesen habe, keine Regenhose anzuziehen und fahre am Galgenwater entlang Richtung Leiden. Bei Regen mache ich unter dem Stadttor der historischen Stadt Pause, es hört aber nicht auf. Kurz danach der Zusammenfluss von der „Alten Veste“ mit dem „Stille Rhein“ zum Galgenwater. Also die Alte Veste gehörte eindeutig zur Befestigungsanlage, während der Stille Rhijn durch die Altstadt hindurch fließt. In der Mitte der historischen Altstadt (Barockbefestigung) bildet sich der Stille Rhein aus dem Nieuwen Rijn und dem Oude Rijn. Man müsste mal erforschen, wie viele Stückchen Oude Rijn und Nieuwe Rijn es insgesamt gibt. Diese beiden Rheinarme trennen sich übrigens südöstlich von Leiden von „Oude Rijn“. Das habe ich aber nicht mehr angesehen. Ich steuere den Bahnhof an, den ich gegen 12:30 Uhr erreiche, übrigens im Regen. Zunächst läuft alles glatt, Ticket am Ticketschalter kein Problem, der Verkäufer rät, über Utrecht zu fahren, wo man einen ICE nehmen könnte. Gute Idee. Also im IC nach Utrecht. In der Zwischenzeit lese ich bei bahn.de, dass im niederländischen ICE kein Fahrrad erlaubt ist. Ich frage bei der Halleninformation noch mal nach. Ja, man bräuchte nur eine Fietsreservierung, die man am Ticketschalter erhielte. Hätte mir der andere ja auch sagen können. Ich stelle mich am Ticketschalter in eine Schlange. Eine beamtische Mitarbeiterin erklärt mir, dass für mich nur der International-Schalter zuständig wäre. Also dort angestellt, dummerweise vor mir zwei Kunden mit großen Problemen, also etwa 40 min gewartet. Als ich dann dran bin, erläutert mir eine freundliche Mitarbeiterin, dass die Leute im Hallenschalter keine Ahnung hätten und dass im ICE keine Fahrräder mitgenommen werden, also hatte die Internetseite recht. Ich werde auf eine etwas langwierige Umsteigeverbindung mit RE/IC verwiesen, Umsteigen in Arnhem, Duisburg. Also, nach weiterer Wartezeit Zug nach Arnhem unproblematisch, dann nach Duisburg stellt sich heraus, dass wohl ganz viele Leute dahin wollen. Der Zug ist rammeldickevoll und wird im Zuge der Fahrt auch noch voller. Mein Fahrrad steht in der dritten Reihe, aber ich bekomme noch einen Platz. In Duisburg entscheide ich, bis Düsseldorf im Zug zu bleiben, weil mir die Umsteigezeit von 5 min mit dem Rad zu kurz erschien. Entgegen der Erwartung läuft in Düsseldorf alles glatt, ich bekomme noch den Zug nach Köln, so dass ich tatsächlich planmäßig (!) in Köln ankomme. Die Fahrradrückgabe lief, abgesehen davon, dass ich vergessen hatte, wo ich die Vertragskopie deponiert hatte, problemlos. Wieder hatte ich ein gutes Rad, keine Platten, Reparaturen etc. erforderlich gewesen. Dann wie gewohnt, RE nach Aachen und RB nach Kohlscheid, wo ich dann um 20:15 Uhr angekommen bin.

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