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Das Auto Tschitti Tschitti Bäng Bäng

 

 

Das Buch des britischen Autors Ian Fleming „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ in der deutschen Übersetzung von Ursula von Wiese gehört zu den Büchern, die mich in meiner Jugend am meisten beeindruckt haben. Ich muss es kurz nach der deutschen Veröffentlichung und der zusammenfassenden Ausgabe des Bertelsmann-Verlags (Ian Fleming: Tschitti-Tschitti-Bäng-Bäng, Lizenzausgabe Bertelsmann Reinhard Mohn OHG, Gütersloh, o.J.) um 1966 oder 1967 gelesen haben, war da also acht Jahre alt. Nachdem ich es eine Zeitlang aus den Augen verloren hatte, habe ich es mir von den Kindern vor einigen Jahren noch mal schenken lassen, nun nur noch antiquarisch zu bekommen. Wichtig war natürlich, dass die Zeichnungen des ebenfalls britischen Zeichners und Kinderbuchautors John Burningham dabei waren.

 

 

Abbildung 1: Umschlagbild: Tschitti-Tschitti-Bäng-Bäng, Lizenzausgabe Bertelsmann Reinhard Mohn OHG, Gütersloh, Zeichnung: John Burningham.

Ich habe versucht, das von Burningham gezeichnete Auto zu finden. Die Suche gestaltete sich, vor allem wegen der Erläuterung des Autors im Vorwort doch schwieriger als gedacht. Der erste Satz lautet: „Die Geschichte der Familie Pott widme ich in liebevollem Gedenken dem Rennwagen Tschitti-Tschitti-bäng-bäng, der im Jahre 1920 von Graf Zborowski auf seinem Landsitz bei Canterbury konstruiert wurde“ (a.a.O., o.S.). Nun hat Zborowski (der Graf ist wohl nur ein Namenszusatz, kein echter Titel) mehrere Rennwagen konstruiert. Nach der Beschreibung von Fleming, die auf den ersten Satz folgt, kann er aber nur den ersten Wagen gemeint haben. Denn nur dieser hatte einen sechs-Zylinder-Maybach-Flugzeugmotor auf einem Mercedes-Unterbau. Die Wagen hießen Chitty (Bang Bang). Nr. 1 sah jedoch deutlich anders aus (Abbildung 2).

 

Die Zeichnung von Burningham zeigt einen zwar langen Wagen , jedoch mit Kühlergrill-Front mit zwei Lampen, Hupe, sechs seitlichen Kompressor-Rohren, Kotflügeln und Verdeck. Auch andere Details, wie etwa das große Antriebszahnrad, sind nicht von ihm übernommen worden. Was war also dann das Vorbild? Interessantes Detail ist übrigens das Flugzeug als Kühlergrill-Figur, das allerdings nicht auf dem Titelblatt zu sehen ist.

 

 

  Abbildung 2: Count Louis Zborowski mit Chitty Bang Bang 1 auf Brooklands 1921.[1]

 

Die Kühlergrill-Figur hat zunächst nicht weitergeholfen. Es gibt, wenn man nach fliegenden Instanzen sucht, fliegende Enten (Ford 1930) oder die Spirit of Extasy von Rolls Royce, die tatsächlich nicht fliegt, aber so aussieht. Die Figur wurde übrigens bereits ab 1911 eingesetzt. Den Adler gibt es bei Chevrolet und den Adler-Werken. Vorbild könnte auch der Ford Pilot sein. Dieses Auto wurde von Ford UK von 1947 bis 1951 gebaut. Es hatte ein Flugzeug, wenn auch in abstrahierter Form, als Kühlergrill-Figur. Hinsichtlich der anderen Merkmale kommt der Fahrzeugtyp jedoch nicht als Vorbild in Frage. Auch bei den Adlerwerken findet man sonst kein Fahrzeug, was passende Merkmale hat. Die alten Buik-Fahrzeuge hatten ein Emblem, das auch als Flugzeug interpretiert werden könnte. Ein weiteres fliegendes Symbol hatten die Standard-Werke, die später in Triumph aufgegangen sind. Diese hatten ein Emblem, in das Flügel integriert waren. Dies kannte Fleming mit Sicherheit, weil er einmal einen Standard gefahren hatte.

 

Hinsichtlich der Vorbilder von Fleming gibt der Fleming-Biograf Andrew Lycett maßgebliche Hinweise. Zu dem Auto, das Fleming vorgeschwebt haben könnte, schreibt er: „Like most of Ian’s characters, Chitty was essentially a composite of two cars Ian had known – his own breezy Standard which he had driven in Switzerland in the late 1920s (…), and a more traditional vintage sports car of the same name, comprising a dark silver Mercedes chassis, an eight-foot-long bonnet and a six-cylinder Maybach aero engine as used on the Zeppelin airships in the First World War.” (Andrew Lycett: Ian Fleming, 1995, zitiert aus Neuauflage 2008, Phoenix Paperback London, S. 386). Darauf folgt bei Lycett die Geschichte mit Count Zborowski.

 

Mit dem Standard können mehrere Modelle gemeint sein, jedoch waren ab dem Standard 14 die Karosserien modern, es muss also ein Vorgängermodell gewesen sein. Möglicherweise war es ein Standard eleven, von dem es elegante Formen gibt und der ab 1923 produziert wurde. Robert Knight hat ein sehr schönes Exemplar auf flickr veröffentlicht. Hier finden wir auch die charakteristische Hupe seitlich neben dem Fahrer, die Burningham gezeichnet hat.

 

Hinsichtlich der Kompressortechnik hatten verschiedene Konstrukteure außenliegende Rohre angeordnet. Hier musste weiter gesucht werden. Der Kompressor wurde ja von Paul Daimler im 1.Weltkrieg zuerst für Nutzfahrzeuge entwickelt und ab 1919 auch verkauft. Also habe ich nach Mercedes Benz (MB) Fahrzeugen aus der Frühzeit gesucht. Hierzu war ich dann im Auto- und Technikmuseum Sinsheim, das eine große Sammlung solcher Fahrzeuge hat.

 

Im Ergebnis habe ich kein Fahrzeug gefunden, dass sechs Rohre an der Seite hat, hier muss also der Zeichner der Realität etwas nachgeholfen haben, denkbar ist die Vermehrung der häufigen drei Rohre zu sechs. Mit vier Rohren war der „Blitzen-Benz“ in Sinsheim das Fahrzeug mit den meisten Rohren, hier allerdings auf der linken Seite, währen bei den meisten Fahrzeugen diese auf der rechten Seite angeordnet waren. Der Blitzen-Benz war auch eine Grundlage für Zborowskis Chitty IV. Der Original Blitzen-Benz erreichte 1909 auf der neu eröffneten Brooklandsrennstrecke bereits 200 km/h. Gut passt auch z.B. der MB 710 SS von 1929, der im Erscheinungsbild noch etwas schlanker und noch besser dem Bild von Burningham entspricht. Die Leuchten sind etwa in richtiger Höhe. Übrigens, auch wenn es ein MB ist, weist das Lenkrad auf der rechten Seite auf den Gebrauch in Großbritannien hin.

 

 Abbildung 3: MB 710 SS im Technikmuseum Sinsheim, Foto Baum

 

Interessante Hinweise gibt auch das als „Dr. Maybach“ bezeichnete Fahrzeug in Sinsheim. Das deswegen, weil dieses speziell für die Rennen auf der Rennstrecke von Brooklands konzipiert wurde, auf der auch die Wagen von Count Zborowski fuhren. Das Chassis ist von 1907 und der Motor von 1917, ähnlich wie die Konzeption von Zborowskis Chitty I. Hier haben wir auch sechs Rohre, die allerding hoch liegend zusammengefasst sind. Noch eine andere Ähnlichkeit ergibt sich wiederum zu Zborowski. Dieser baute mit Chitty IV ebenfalls ein Fahrzeug mit sechs Rohren, jedoch ohne diese zu verbinden. Dieses fuhr 1926 den damaligen Landgeschwindigkeitsrekord. Wegen der stromlinienförmigen Karosserie kann es aber für Burningham keine Rolle gespielt haben.

 

 Abbildung 4: Dr. Maybach in Sinsheim, Foto: Baum

 

Ein weiterer Hinweis, der auf MB als Vorbild zielt, erscheint wiederum in der schon zitierten Biografie von Ian Fleming. Offensichtlich stand lange nicht fest, wer der Zeichner der Geschichte wird. Fleming hatte ursprünglich den Cartoonisten Trog (Wally Fawkes) vorgesehen, der auch 1962 einen fertigen Entwurf vorlegte, der jedoch aus Rivalitätsgründen zwischen Zeitungen nicht zum Zuge kommen durfte (Lycett, a.a.O., S. 393). Später erwähnt Lycett, dass Fleming den Ingenieur und Zeichner Amherst Villiers mit den Arbeiten betraut hatte, nachdem dieser 1963 Fleming portraitiert hatte (Lycett, a.a.O., S. 404). Villiers hat übrigens 1927 ein Weltrekord-Auto gebaut, also kurz nach der Zeit, in der Count Zborowski (gestorben 1924) unterwegs war. Außerdem ist das Auto in Flemings Novelle Casino Royale ein 4,5l-Bentley mit Villiers-Supercharger. Auch dieses Fahrzeug kann als einer der Ahnen des gezeichneten Fahrzeugs, allerdings ohne Kompressor, in Frage kommen. Villiers hatte auch schon einen Entwurf für das Auto abgeliefert. Und diesen beschreibt Lycett so: „Villiers sketched a low green rakish car, which looked like an SSK Mercedes with a round Delauney Belleville radiator. But too many artists were already involved and Villiers’s drawing was not used” (Lycett, a.a.O., S. 404). Hier kann der Auffassung von Lycett nicht gefolgt werden. Genau so ein Fahrzeug hat Burningham ja dargestellt, vielleicht sogar direkt auf der Vorlage von Villiers. Möglicherweise wurde dies von Fleming, der ja ein Freund von Villiers war (Lycett, a.a.O., S. 403), vorgegeben.

 

Der SSK war ja das letzte Fahrzeug, das Ferdinand Porsche für Mercedes gebaut hatte und tatsächlich findet man hier auch die langgezogenen Kotflügel, drei Kompressorrohre und auch den Befestigungsgurt zwischen den Rohren. Wegen der Ungenauigkeit der Kinderbuchzeichnung würde ich mich aber nicht festlegen ob die Basis ein MB S, SS oder SSK ist, siehe Abbildung 3.

 Abbildung 5: Beispiel für Mercedes SSK, Quelle: https://demobkb.blogspot.com/2014/09/mercedes-benz-ssk-classic-car-review.html, Foto unbekannt

 

Die Bemerkung von Lycett hinsichtlich des Kühlergrills kann man im Internet sofort nachvollziehen, haben doch fast alle älteren Fahrzeuge dieser Marke einen runden Kühlergrill. Allerdings gibt es auch andere Fahrzeuge, die rundliche Grills aufweisen, wie z.B. de Spyker aus den Niederlanden. Es bleibt also offen, woher genau die Inspiration von Villiers kam.

 

Eine weitere Spur, die Ian Fleming noch legt, ist die Bezeichnung des Autos als „Paragon-Panther“ (a.a.O., S. 19). Tatsächlich gab es eine Firma Panther Car Company Inc., die etwa 1909 in Boston, Massachusetts gegründet wurde. Die Firma hat nur ein Fahrzeug unter dem Markennamen Panther gebaut, das 1909 auf der Boston Automobile Show präsentiert wurde. Ebenfalls 1909 endete die Firma wieder. Insofern stimmt Flemings Satz:“Die Fabrik hat nur ein einziges Exemplar dieses Typs hergestellt, und dann machte sie Bankrott“ (a.a.O., S. 19,20). Dies passt allerdings, was vielleicht auch naheliegend ist, auf eine andere Firma, die Panther Automobile Company, die von 1962 bis 1963 in Bedford Hills ansässig war und auch nur ein einziges Auto veröffentlichte. Es war allerdings schon ein moderneres Fahrzeug. Denkbar ist doch, dass die Geschichte vom Ende der Firma zur Zeit der Erstellung bzw. Druckvorbereitung der Tschitti-Erzählung in der Presse war. Der Name Paragon-Panther wurde – nur am Rande – später Bezeichnung für eine Serie von Bussen. Außerdem wurden unter dem Namen Panther eine Reihe von Oldtimer-Repliken hergestellt.

 

Wie Burningham zu dem Auftrag gekommen ist, habe ich nicht herausbekommen. Nachdem ja schon mindestens zwei Zeichner von Fleming selbst beauftragt wurden, könnte es sein, das Burningham, der ja erst 1963 sein erstes und auch erfolgreiches Kinderbuch herausgebracht hatte, hier ein unverbrauchter Aufsteiger war, der mit der Vergangenheit der Geschichte nichts zu tun hatte. Denkbar auch, dass der Auftrag gar nicht mehr von Fleming erteilt wurde, da er ja schon 1964 krank wurde und starb, in dem gleichen Jahr kam das Buch heraus.

 

Fazit: Nach den Fahrzeugen, die ich nun insgesamt gesehen habe, bin ich der Auffassung, dass Burningham auf der Basis der Zeichnung von Villiers gearbeitet hat. Grundlage ist mit Sicherheit ein MB. Ob es ein SS oder SSK war, würde ich nicht mit Sicherheit sagen. Villiers kannte sich als Autoingenieur, der schon zu Zeiten von Count Zborowski Autos konstruiert hatte, bestens mit der Fahrzeuggeschichte aus. Der Grundlage von MB hat er einige Details aus anderen Fahrzeugen hinzugefügt, um ein insgesamt schlüssiges Bild zu erzeugen. Ein Zborowski-Fahrzeug war jedoch sicher nicht der Ausgangspunkt. Fleming wird von Lycett mit der Anforderung zitiert: „really snazzy looking to excite the imagination of children about 7-10“ (Lycett, a.a.O., S. 404). Also „wirklich schick, um die Fantasie von Kindern zwischen 7 und 10 Jahren anzuregen“. Das ist zumindest bei mir gelungen.

 

Herzogenrath, im Dezember 2022

 

Thomas Baum

 



[1] Gemeinfreie Lizenz Wikipedia Commons: Photographer not known - picture scanned by me Ian Dunster 11:57, 1 October 2006 (UTC) from issue number 3 Volume 10, of Mayfair Magazine - 1975 - and uncredited.

 

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