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Finnland-Reise

 

 

9.Juli 2022

Endlich ist es soweit. Alles gepackt, der Rucksack wiegt 13,3 kg. Für das Handgepäck und damit für die Touren vor Ort wähle ich den Segelbeutel. Der Aufreger des Tages ist, wie früh muss man eigentlich am Flughafen sein, man hört ja schreckliches über die Abfertigungszustände dort. Düsseldorf war ja schon immer bekannt für die schlechte Gepäckabfertigung, und jetzt auch noch das fehlende Personal bei der Sicherheit. Wir entscheiden uns nach umfassender Diskussion in der Familie für drei Stunden vor Abflug. Also angekommen, und in zweiter Position am Schalter in die Schlange gestellt. Kurze Zeit später schon Gepäck abgegeben und Bordkarte in der Hand. Jetzt wird klar, warum die Familie, alles Frauen, auf drei Stunden reflektiert haben. Das brachte einen längeren Besuch bei der freundlichen Cafékette aus Amerika ein. Schließlich, eineinhalb Stunden vor Abflug, gehen wir zur Sicherheitskontrolle und wider Erwarten war die Schlange nicht länger als sonst auch, kein Chaos, eher war sogar die Abfertigung schneller als sonst. Das führte natürlich zu weiterer längerer Wartezeit am Gate. Ein paar gut gelaunte Mallorca- und Gran-Canaria-Urlauber haben die Stimmung gehalten. Der Flughafen zeigt sich von seiner schlechten Seite, alles sehr verdreckt, einschließlich Sanitär. Das Flugzeug hob dagegen nahezu pünktlich ab, alles gut. Alle Plätze waren besetzt. Bei den Durchsagen merke ich, dass trotz nun schon einem Jahr Lernens von finnischen Vokabeln etc. hier keine Chance besteht, mehr zu verstehen als einzelne Wörter. Vor allem die finnische Spezialität, viele Aussagen in einem Wort, das quasi ein Band-Wort ist, zusammenzufassen, überfordert.

 

Landung in Helsinki 10 min früher, hier klappt alles gut. Toller Tiefbahnhof, man fährt auf einer endlosen Rolltreppe in den Hades, der sich in schöner Sichtbeton-Kleidung präsentiert. Ticket mit Kreditkarte, hier geht die EC-Karte nicht am Automaten. Im Zug unterhalten ein paar gut gelaunte Partygänger, es ist ja schon 23:00 Uhr. Die Schlüsselübergabe für die Wohnung verläuft holprig. Der Kiosk, wo der Schlüssel hinterlegt ist, macht um 23:00 Uhr zu, wir waren 23:05 Uhr da. Wir haben uns schon gewundert, dass der Vermieter hier so locker war und sicher war, dass die uns noch aufmachen. Also die robuste Frau macht durch die Tür deutlich, dass man wohl bis 6:00 Uhr warten müsste um den Schlüssel zu bekommen. Das war übrigens das einzige mal, wo wir einen nicht so freundlichen Eindruck vom Personal hatten. Abgang von ihr einschließlich Türknallen…Minuten später kam sie dann mit dem Schlüsselkasten. Letztendlich doch nett, die Finn*innen! Die nächste Herausforderung kam dann an der Wohnung, wir merken beim dahin gehen, dass heute Partynacht in Helsinki ist. Am Haus wartet schon jemand, der uns auf finnisch anspricht. Wir denken, es ist der Vermieter, der uns die Wohnung zeigen will, ist aber nicht so, der Mann kann tatsächlich kein Englisch. Eine Mieterin hilft uns und erklärt, dass das Haus mehrere Eingänge hat, wir waren am falschen. Untere Haustür geht auf, Schlüssel will aber nicht abgezogen werden, nach etwas Hantier und Recherche klären wir, welche Wohnung es ist. Der Vermieter hat alles richtig angegeben, nur vergessen, dass die Informationen nur dem helfen, der die Codes auch richtig interpretieren kann. Schließlich löst Stella dann auch das Vorgehen beim Aufschließen und wir sind drin. Lustiger Wohnungszuschnitt, mit Beleuchtungsmitteln kann der Vermieter nicht umgehen, man müsste mal erläutern, wie das System Glühbirne so funktioniert, auch andere technische Aspekte sind unvollkommen, so ist nur eine halbe Gardine da, Verdunkeln ist nicht möglich und das, obwohl das gegenüberliegende Fenster nur drei Meter entfernt ist. Wir entscheiden uns, noch einen Drink zu nehmen und stürzen uns ins Nachtleben. In einem modernen „Food-Court“ finden wir ein lauschiges Plätzchen, ein Bierchen (finnisches IPA, sehr lecker) und ein Weinchen. Danach erkunden wir noch etwas die Stadt, so sehen wir die Esplanadi, die Markthalle, das klassizistische Gebiet am Dom und die Uspenski-Kathedrale zuerst bei Nacht. Bettzeit ist dann 2:00 Uhr.

 

Zu unserem Wohnhaus ist noch zu bemerken, dass die Adresse Kalevankatu 45 eine Bedeutung im Lebenslauf von Jean Sibelius hat. 1892 zog das Paar Jean und Aino Sibelius in dieses Haus und hat hier, wenn ich richtig gelesen habe, bis 1904, dem Jahr des Umzugs nach Ainola, gewohnt. Also habe ich fünf Nächte in dem Haus gewohnt, in dem die Familie Sibelius gewohnt hat. Hier sind demnach schon drei Kinder geboren worden und wichtige Werke, wie die Lämmikäinen-Suite entstanden. Welch‘ glücklicher Zufall! Dem Zustand der Wohnung und des Treppenhauses nach zu urteilen, ist alles noch im Originalzustand, vom Einbau eines Bades und der Küche einmal abgesehen.

 

 

Sonntag, 10.7.2022

 

Der erste Tag in Finnland. Heute wollen wir das „übliche“ Sightseeing-Programm machen. Zum Frühstück gab es noch das Brot von gestern und Kaffee, den die Vornutzer dagelassen hatten. Ich habe im Überschwang drei gehäufte Esslöffel Kaffee in die 0,5 l große französische Kaffeekanne gegeben. Ich fand den ganz gut, aber Stella machte sich Sorgen um ihr Herz…Also ab in Richtung Innenstadt, auf der Esplanadi (auch von J.C. Engel entworfen) haben wir viel über die finnischen Dichter gelernt, jede Statue wird erläutert, manchmal sogar digital. Der Dichter der Nationalhymne, Johan Ludvig Runeberg, begegnet einem nicht nur hier, sondern in jeder finnischen Stadt. Wichtig natürlich auch der Skandalbrunnen von Ville Vallgren. Die Statue stellt eine Meerjungfrau dar, die sich entschieden hat, ihre Heimat im Meer zu verlassen und an Land zu gehen. Sies soll die Verkörperung Helsinkis, der Tochter der Ostsee, sein. Die Aufstellung der Statue 1908 erregte wegen ihrer Nacktheit Aufsehen. Es gehört heute zu den studentischen Bräuchen Helsinkis, die Amanda, natürlich bei laufendem Brunnenbetrieb, zu küssen. Für die Meerjungfrau hat die Tochter des Bildhauers Modell gestanden. Interessant, dass Anfang des 20. Jh. so ein Bildnis noch einen Skandal hervorgerufen hatte. In Frankreich haben Rodin, Degas und andere doch schon Vorarbeit geleistet. Am Hafen steht ein nagelneues Infocenter aus Holz, im Eisenman-Stil. Daneben dann die historische Markthalle, hier hatten aber nicht viele Stände auf und zum Essen war es noch zu früh. Ich finde, hier wird zu viel Hype aufgebaut, ich nehme an, dass die Touristenbehörden hierdurch eine Steigerung der touristischen Kauflaune erwarten. Die Markthalle ist schön, aber wie viele aus der Zeit, auch die in Oulu ist ähnlich und auch in Ungarn habe ich solche gesehen. Auf dem offenen Markt haben wir dann einen Kaffee-to-go erworben und sind dann zur Uspenski-Kathedrale auf einen Hügel gestiegen, hier hat sich der russische Staat 1886 ein Denkmal setzen wollen, außen ganz typisch, innen etwas geistarm. Etwas zu monumental für meinen Geschmack. Wieder fällt auf, dass die typischen Attribute orthodoxer Heiliger männlich mit Bart sind. Als Frau kommt quasi nur die Maria, einzeln oder als Madonna mit Kind, vor. Danach zum Senatsplatz mit dem Dom, alles ein Werk des deutschen Architekten J.C. Engel, der damals wohl halb Finnland mit Bauten ausgestattet hatte. Er muss ja ein Riesen-Büro unterhalten haben und war in Diensten des russischen Zaren am Aufbau Finnlands beteiligt. Ich bin fest davon überzeugt, dass J.C. Engel das größte Bauvolumen in Finnland über alle Zeiten errichtet hat, da dürfte Alvar Aalto nicht herankommen. Der Platz ist wohlproportioniert und auch die Kathedrale ist durch zwei Wächtergebäude flankiert, ich glaube, er hat hier im Grundriss Anleihen beim Pergamonaltar gemacht, auch hier sind die Flanken nach vorne gezogen. Komisch nur, dass sein Entwurf von 1819 ist, der Pergamon-Altar aber erst 1878 systematisch ausgegraben wurde, er wird wohl Reiseberichte früherer Forscher genutzt haben, vielleicht Otto Magnus von Stackelberg. Zur russischen Zeit, also quasi nach Fertigstellung, hat man wohl das Gebäude als zu nüchtern betrachtet und noch vier Kuppeln und 12 Apostelstatuen dazu gebastelt. Könnte man auch mal wieder wegmachen. Danach durch das Universitätsviertel (auch viel von J.C. Engel) zum Botanischen Garten, der ebenfalls ein historisches Gewächshaus hat. Wir waren aber nur draußen, es erinnert etwas an den Bonner Botanischen Garten, nur etwas größer. Der Baum der Pflanzenentwicklung ist hier mit eckigen Beeten gestaltet. Danach über den Hauptbahnhof, dort einen Snack eingenommen und dann auf der Westseite die Kulturinstitutionen neue Bibliothek, Musikhalle, Finlandia (in Renovierung) und Opernhaus abgeklappert, damit man es gesehen hat. In der Bibliothek machen wir noch ein Europaspielchen mit, nun sind unsere Fotos auf einer internationalen Web-Site mit einer Aussage veröffentlicht, warum wir uns für Europa einsetzen. Allerdings konnte man nur zwischen vorgefertigten Aussagen wählen. Bei der Finlandia-Halle ist ein Interimsbau bemerkenswert, der wohl vollständig aus Holz errichtet wurde, die Stützen sind noch erkennbar aus Baumstämmen hergestellt, kein Brettschichtholz oder ähnliches. Dann rüber zum Sibelius-Monument im Sibelius-Park. Das war wirklich ein Highlight, da die Röhren, die man schon von den Fotos kannte, sich als ziselierte und sonst geschmückte, bzw. bearbeitete Objekte entpuppten. Der Wind war leider nicht ausreichend, um sie zum Klingen zu bringen. Ich fand aber schon, dass man die Musik beim Durchlaufen und Betrachten spüren kann, man muss sie natürlich wenigstens teilweise kennen. Die Künstlerin Eila Hiltunen hat übrigens das Monument gegen viele Widerstände 1967 durchgesetzt, man liest, dass sie schon als Kind davon geträumt habe. Bemerkenswert, wenn Menschen so auf die Realisierung eines Traums zuarbeiten. Das einzige Zugeständnis, das sie machen musste war, dass sie noch einen Portraitkopf von Sibelius applizieren musste. Diesen hat sie auf eine Felsmauer neben das Denkmal gesetzt. So haben auch die konservativ denkenden Fans und Heiligenanbeter einen Ort zum Gedenken. Schließlich noch zur Temppeliaukio-Kirche, hier kamen wir gerade rechtzeitig zur Nachmittagsöffnung. Man nahm gut Eintritt, das Gebäude ist wohl ziemlich einmalig. In einen Granitfelsen, die es hier als Relikt aus der Eiszeit massenhaft gibt, wurde ein Kirchenraum gesprengt und überkuppelt. Dazu wurde noch ein Eingangsgebäude aus Sichtbeton errichtet. Der Felsen war schon vorher durch die Stadtentwicklung von Helsinki erreicht, so dass Gebäude aus dem Jugendstil kreisförmig diesen Felsen umstehen. Erst in den 60er Jahren des 20 Jh. kam man dann auf die Idee, diese leere Stadtfläche mit Bedeutung zu füllen. Offensichtlich ist den Planern nur eine Kirche eingefallen. Ergänzend zum rosa Granit nahmen die Architekten Timo und Tuomo Suomalainen Kupfer als wichtiges Material, insbesondere für die Auskleidung der Kuppel. Während wir ansonsten eigentlich weniger Touristen gesehen haben, war das hier besonders ausgeprägt. Natürlich am Hafen und der Markthalle…. Danach Rückmarsch zur Wohnung mit Einkauf im finnischen Spezialitätengeschäft „LIDL“, eingedeckt für die nächsten Tage mit Frühstücksutensilien. Kleines Päuschen und Nickerchen, dann zu einem Restaurant „Seafood“, das Stella über Internetinfo ausgesucht hatte. Auf dem Weg dahin noch die Mikael Agricolan Kirkko aus dem Jugenstil (1930) besichtigt, die der anglikanischen Kirche angehört. Der freundliche Küster hat uns reingelassen, obwohl geschlossen war. Englisch scheint hier mit wenigen Ausnahmen nicht nur kein Problem zu sein, sondern auch gut gesprochen zu werden. Die legendäre finnische Bildung scheint hier zu wirken. Die Kirche gehört, finde ich, zu den führenden Sehenswürdigkeiten in Helsinki, ein sehr schönes Inneres bei klarem äußerem Design. Überhaupt ist der Jugendstil, nach dem klassizistischen Zentrum, sicher der flächenmäßig interessanteste Stadtbereich. Er wird in den Reiseführern viel zu wenig beachtet. Es ist wieder festzustellen, dass die Inhalte der Reiseführer entweder persönlich geprägt sind (was gut ist, wenn man sich dessen bewusst ist) oder aber touristisch-wirtschaftlich motivierte Infos geben. Die dort angegebenen Lokationen für Essen etc. sind sicher nicht an objektiven Kriterien ausgewählt. Im Restaurant Seafood haben wir dann sogar unangemeldet noch einen Platz bekommen. Natürlich haben wir Lokales probiert. Zuerst einen finnischen Wodka, übrigens als „Schnapps“ bezeichnet. Dann ein Gericht, das wohl auch sonst in Osteuropa präsent ist, hier als „Vorschmack“ bezeichnet. Es ist wohl eine Art angemachtes Hackfleisch mit Sardellen und Zwiebeln, möglicherweise auch rote Bete. Arsen kannte das auch. Im Übermut habe ich „groß“ für zwei Personen bestellt. Danach waren wir satt. Dazu gab es ein finnisches Lager, wie in England ohne Schaum im Lager-Glas serviert, Stella hatte einen Riesling, nicht aus Finnland. Dann gab es noch „Heringssteak“, für jeden zwei Stück. Wir haben es nicht geschafft. Das Lokal befindet sich in einem Jahrhundertwendehaus und hat eine Einrichtung aus den 30er Jahren. Nach dem Restaurant haben wir noch einen Spaziergang durch das Diplomatenviertel gemacht, vorbei an verschiedenen Botschaften, unter anderem der russischen, die derzeit besonders gesichert ist, hier kommt keine Maus rein, aber wahrscheinlich auch nicht raus. Gegenüber an der Straße Protestplakate. In der Abendstimmung ist dann die Ostseeküste besonders reizvoll, wir laufen gegenüber von Savonlinna und anderen Inseln am Wasser entlang, um 23:00 Uhr ist es immer noch nicht dunkel, schließlich sind wir nach 00:00 Uhr wieder in der Wohnung.

 

 

Montag, 11.7.2022

 

Heute ausschlafen ohne Wecker, es reicht aber nur bis kurz vor acht. Es gab ordentliches Frühstück mit Müsli, Eiern, Tomaten, Käse, Brot, Milch, nicht so starkem Kaffee. Nach mehreren Versuchen, uns bei der Fahrradapp von Helsinki anzumelden, haben wir uns umentschieden und auf den ÖPNV gesetzt. Das Scheitern der Versuche lag übrigens nicht an finnischer Technik, sondern an unseren Sicherheitseinstellungen für das Online-Buchen mit Kreditkarte. Zum Busbahnhof gelaufen und ein Tagesticket gekauft. Große Suche nach den Busabfahrtspositionen. Schließlich haben wir entdeckt, dass diese im Untergeschoss eines Einkaufszentrums sind, also -1-Ebene, während die Metro in -3 ist. Tolle Regelung, die Busse fahren in Schrägparkplätze, die sie rückwärts wieder verlassen. Aus- und Einstieg sind getrennt, weil hier die Linien anfangen. Die Fahrgäste warten hinter geschlossenen Türen für jeden Bus getrennt. Erst wenn der Bus angehalten hat, wird die Terminaltür geöffnet und nur die vordere Bustür. Somit besteht optimale Kontrolle und Sicherheit, der Bus kann dann auch rückwärts ausfahren, weil kein Mensch über die Fahrbahn laufen kann. Sehr empfehlenswerte Lösung. Wir fahren heute zum Freilichtmuseum Seurasaari. Das liegt etwas außerhalb auf einer Insel im Grünen. Schönes Entree mit einer historisch gestalteten Fußgängerbrücke. Die Eintrittslösung ist interessant. Das Gelände kann umsonst begangen werden. Nur die Häuser sind von innen kostenpflichtig. Das wird über einen Sticker geregelt, den man sich an die Kleidung klebt, so dass das Personal bei den Häusern diesen sehen kann. Es ist das nationale Freilichtmuseum, also gibt es Häuser aus ganz Finnland, aber wohl nicht oder nur wenig aus Lappland, dort gibt es ein eigenes Museum in Inari. Die finnische historische Bau- und Wohnkultur unterscheidet sich in vielen Punkten nur unwesentlich von anderen. Allerdings gibt es aus frühen Zeiten Gehöft-Strukturen, bei denen für jedes Zimmer ein Blockhaus gebaut wurde, quasi aufgeständert. Unsere heutigen „Tiny-House“" hatten die Finnen schon vor 400 Jahren, allerdings ohne Räder, aber einfach auf Steinmauern aufgeständert. Wir haben uns etwa 3,5 h dort aufgehalten und noch einen Kahvi und eine Zimtschnecke einverleibt.

 

Danach Trennung, Stella wollte schwimmen gehen, ich noch mit einem autonomen Bus fahren, von dem ich gelesen hatte. Es gibt ein neues Neubaugebiet in einem ehemaligem Hafengelände. Das entspricht aktuellem Architekturtrend der verdichteten Bebauung. Interessant ist, dass offensichtlich Verkehrsknotenpunkte immer mit einer Mall verbunden werden. Das sind Mega-Architekturprojekte, sozusagen die architektonische eierlegende Wollmilchssau, Orientierung ist ein spannendes Thema, aber alles drin. Ich komme mit der Metro an und will in den autonomen Bus einsteigen, ich kann aber dann keine passende Haltestelle finden. Das Neubaugebiet hat natürlich tolle Fahrradstraßen mit getrennten Spuren, aber offensichtlich ist das Auto immer noch wichtig im Straßenraum, also ist alles weniger innovativ, als ich dachte. Offensichtlich wurde der autonome Bus mit Fortschritt der Bebauung wieder durch einen Standardbus ersetzt, der einfach größere Transportkapazitäten aufweist. Letztendlich habe ich keinen autonomen Bus zu Gesicht bekommen.

 

Schließlich zurück zum Hauptbahnhof, dort noch Bahntickets für morgen gekauft, wir wollen ja einen Tag auf dem Päijennesee verbringen. Nach einer kleinen Pause in der Wohnung sind wir noch zum Bahnhofsplatz gegangen, um im Hemmingways Bistro noch etwas zu uns zu nehmen. An dieser Stelle scheint nämlich auch noch abends die Sonne. Es gab fish and chips für mich und einen Burger für Stella. Sehr erfreulich war die Bierauswahl. Ich fragte, was gibt es für Bier, der Barkeeper sagt, hunderte. Ich sage, was können Sie empfehlen, etwas lokales? Er: In welche Richtung soll es denn gehen? Blonde, Weizen, IPA, Belgian? Ich sage, IPA wäre nett. Er füllt mir ein Schnapsglas eines IPA vom Fass ab und gibt mir zum Probieren. Ich freue mich, denn es riecht fruchtig, es muss also auch CITRA drin sein. Ich sage, da ist CITRA drin, da muss ich nicht trinken, riechen reicht auch. Er meint, dass in dem Bier acht Hopfensorten verarbeitet sind, aber er hat sich nicht alle acht gemerkt. Insgesamt ist das Bier auch im Trink-Modus sehr lecker. Stella hatte einen Riesling. Die Weinglasgrößen sind hier komisch, 12, 16 oder 24 cl. Habe noch nicht geprüft, ob das alte schwedische oder russische Maße sind. Schließlich nach kurzem Innenstadtrundgang in die Wohnung, man muss morgen ja früh aufstehen. Es ist um 22:30 Uhr noch hell.

 

 

Dienstag, 12.7.2022

 

Der Wecker klingelt um 5:30 Uhr. Das reicht noch für ein ordentliches Frühstück. Abmarsch um 6:35 Uhr, planmäßig den Zug bekommen. Es ist ein Intercity, fast vergleichbar mit den Doppelstock-ICE, die bei uns rumfahren. Das Ticket enthielt automatisch eine Sitzplatzreservierung. Die Wagen haben Schließfächer, sehr praktisch. Die Fahrt ist sehr ruhig, die Menschen machen deutlich weniger Krach beim Bahnfahren als in Deutschland. Ankunft ca. 8:00 Uhr In Lahti. Die Stadt ist architektonisch nicht relevant, schöner, einfacher Küstenpark. Am Schiff schließlich kurze Unsicherheit, wo die Tickets gekauft werden können, kein Schalter hat offen. Nach Internetrecherche ist klar, dass man die Tickets an Bord kaufen kann, was schließlich problemlos gelingt. Wieder fällt auf, dass alle gut englisch sprechen können und kein Mensch bar bezahlt. Am Ende des Urlaubs habe ich noch fast mein ganzes Bargeld in der Tasche.

 

Das Schiff Suomen Naito ist in deutscher Werft 1963 gebaut worden. Einige Schilder in deutsch weisen darauf hin, dass das vorherige Einsatzgebiet wohl in Deutschland lag. Innen und außen ist es noch vollständig im Originalzustand erhalten, man ist geneigt, zu behaupten, einschließlich der Gardinen. Sehr freundliches Personal. Wir haben uns vorgenommen, einen ganzen Tag auf dem Schiff zu verbringen. Wir fahren 4,5 h hin nach Hainola, dort eine Stunde Aufenthalt und wieder 4,5 h zurück nach Lahti. Unterwegs überwinden wir zwei Schleusen, was merkwürdig erscheint, soll es doch ein See sein, dann dürfte es keine Höhenunterschiede geben. Ich interpretiere das so, dass es doch eine kleine Strömung und damit ein leichtes Gefälle gibt. An den Engstellen wurde für die Schifffahrt die Durchfahrt ausgebaggert, wodurch, damit hier keine Anschwemmungen entstehen können, eine vollständige Regulierung notwendig wurde. Die Sicht besteht aus See, Wald, Himmel und Möckis. Das Möcki ist das typisch finnische Ferienhaus, ursprünglich sehr einfach, ein Raum, keine bis wenig Technik und rudimentäre Sanitäreinrichtungen. Diese gibt es auch noch, aber nach oben hin ist alles möglich. In der Nähe der Städte und Orte sowie dort, wo man von einer Straße aus das Seeufer erreichen kann, gibt es nahezu keinen Uferabschnitt ohne Möckis, Anlegestellen und wahrscheinlich einer Reihe von Saunen. Dazwischen große Strecken ohne Gebäude. Man kann noch günstig Waldstücke zum Bebauen mit einem Möcki kaufen, insgesamt dürfte man mit 100.000 € dabei sein. Allerdings ist das Verhältnis von Uferlänge pro Person in Finnland sicher so, dass eigentlich für jeden Finnen ein Stück Ufer irgendwo im Land der 35.000 Seen und 70.000 Inseln da ist.

 

Zuerst sitzen wir draußen, nach dem Genuss einer Portion Wind aber dann irgendwann drin, Stella hat ein schönes Plätzchen am Fenster im Hauptraum gefunden. Hier können wir ein schönes Gedankenexperiment machen. Man schaut in den Innenraum und stellt sich vor, dass das Schiff steht (es fährt sehr ruhig) und der See und die Landschaft an einem „vorüberzieht“. Das gibt eine reizende Erfahrung, leicht surreal, wie ein Film oder vielleicht ein Schiffssimulator. Vielleicht fährt man gar nicht?

 

In Lahti sind nur etwa 20 Personen eingestiegen. Ich finde, da lohnt sich eigentlich die Fahrt nicht. Aus dem Internet weiß ich, dass der Kapitän die Tour schon 40 Jahre macht, ich erkenne ihn wieder. Möglicherweise ist es sein Schiff, dass er günstig gekauft hat und im Originalzustand erhält. Am nächsten Halt in Vääksy steigen dann ganze Horden ein, hauptsächlich Frauen über 70 und eine Handvoll Männer ähnlicher Kategorie. Kurze Zeit später wird klar, warum. Wir haben eine Fahrt mit Lunch gebucht. Während die Fahrt relativ teuer ist, ist das Lunch verhältnismäßig günstig. Wir haben keine großen Erwartungen, weil wir wissen, wie schlecht das Essen auf deutschen Ausflugsschiffen ist. Später dann sehen wir, dass die „Horden“ in Hainola entweder zu einer Kulturveranstaltung gehen oder von Bussen abgeholt werden. Auf der Rückfahrt waren wir noch weniger als die 20 Gäste des Starts. Hauptziel war es also bei denen, eine möglichst kurze Strecke wegen des Preises zu fahren, aber trotzdem das Essen mitzunehmen. Dieses war, wider Erwarten, sehr gut. Ein kalt-warmes Buffet mit Salatklassikern, viel Fisch, Hühnchenbrust, Gemüse, Nachtisch (Viili?) und Kaffee sowie Wasser/Saft. Die 20 € pro Nase waren sehr sehr gut angelegt. Es ging übrigens schon um 11:00 Uhr mit dem Essen los, damit genug Zeit bis zum Anlegen in Hainola um 13:30 Uhr ist. Da war dann das meiste schon vom Personal abgeräumt. Die Buffetschlacht war übrigens sehr zivilisiert. Es war ja auch fast kein ausländischer Tourist dabei, ich glaube, wir waren die einzigen Ausländer. Die Erklärungen des Kapitäns über den See und die Landschaft haben wir wohl auch deshalb nicht verstanden, weil er nur finnisch gesprochen hat.

 

In Hainola eine kleine Runde gedreht, es ist ein typisches Landstädtchen. Nahezu die gesamte Bebauung besteht aus Holzhäusern, hier gibt es sogar historische aus dem 18. Jh. Nur das Einkaufszentrum (Sic!) und die neueren Handelsgebäude sind wohl aus moderneren Materialien. Schöner Park, gerade sind dort Theaterveranstaltungen open air, wofür viele der älteren Menschen vom Schiff ein Gruppenticket hatten, man gab übrigens „Flirtkurs 55+“.

 

Danach ruhige Rückfahrt, Stella hat sogar ein Nickerchen auf der Bank gemacht. Wir saßen wieder eine ganze Zeit oben, diesmal vorne, hinter dem Kate-Winslet-Platz. Nachdem es erst mal wegen viel Gegenwind etwas frisch geworden war, nochmal nach unten und einen Kaffee und eine Pulla (Zimtschnecke) gegessen. Dabei eine Diskussion über Vektoraddition von Windkräften, Fahrtwind und realer Wind addieren sich nach den Gesetzen der Vektormathematik, weshalb der Windeindruck so stark war, weil der reale Wind fast aus der Fahrtrichtung am Wind kam. Nachdem das Schiff mit dem See eine 90 Grad-Kurve nach links gemacht hatte, ergab sich eine Windsubtraktion, weshalb es auf dem Oberdeck nahezu windstill war. Wir also rauf, Sonnenöl eingeschmiert, Weinchen und Bierchen organisiert und gut zwei Stunden eine tolle Zeit an Oberdeck gehabt. Beim Ausstieg schließlich waren es nur noch knapp 10 Personen. Insgesamt ein tolles Erlebnis und ein schöner, entspannter Tag. Auf dem Weg zum Bahnhof von Lahti kommen wir noch an einem Restaurant vorbei. Dort steht der Spruch „Happyness is like a kiss. You must share it to enjoy it.“ Immerhin ein schöner Gedanke. Am Bahnhof in Lahti dann noch etwas Wartezeit und mit dem Commuter-Train zurückgefahren. In Helsinki noch beim 24h-Supermarkt eingekauft und zuhause zu Abend gegessen. Im Supermarkt war übrigens die Alkohol-Abteilung abgesperrt. Offensichtlich gibt es eine Regelung, dass nachts kein Alkohol verkauft werden darf, klingt sehr vernünftig.

 

 

Mittwoch, 13.7.2022

 

Heute trennen sich unsere Wege. Ich fahre zum Wohnhaus von Aino und Jean Sibelius, Stella geht in die Sauna. In Helsinki gibt es am Hafen eine Sauna, bei der man im Freibecken quasi im Hafen schwimmen kann.

 

Das Haus der Familie Sibelius heißt übrigens nach der Frau Aino „Ainola“. Heute heißt der ganze Ort und die Bahnstation so. Es wird wahnsinnig gebaut, aus dem ländlichen ruhigen Städtchen wird ein Vorort, mit 30 min-S-Bahn in ca. 30 km Entfernung von Helsinki. Das Haus liegt aber immer noch sehr ländlich mit Nachbarn, die etwas entfernt sind. Es gehörte zu einer Künstlerkolonie, der auch der Bruder von Aino Sibelius, der Maler Eero Järnefelt, angehört hat. Während das Haus, übrigens ein Blockhaus, vom Architekten Lars Sonck geplant wurde, ist alles andere, vor allem der Garten und die Sauna sowie die Wirtschaftsgebäude dem Geist von Aino Sibelius entsprungen. Mich fasziniert, dass hier ein Paar, zeitweise mit Kindern, fast 55 Jahre von 1904 bis 1957 zusammen gelebt hat, die Frau nach dem Tod von Jean Sibelius noch weitere 10 Jahre. Fließend Wasser gab es erst um 1960. Bis dahin wurde Wasser aus mehreren Brunnen geholt, das Sauna-Gebäude hatte einen eigenen. Der Haushalt wurde wesentlich von zwei Haushälterinnen arbeitstechnisch geführt, geleitet von Aino Sibelius. Im Haus ist bemerkenswert, dass hier ein Bild hängt: „das kranke Mädchen“ von einem Freund von Sibelius um 1910 gemalt. Das Sujet scheint damals beliebt gewesen zu sein, Edvard Munch hat es ja schon Ende des 19. Jh und später mehrfach dargestellt. Mir wurde versichert, dass das Bild von Anfang an hier hing, vielleicht finde ich dazu einmal die passende musikalische Stelle. Von Sibelius ist bekannt, dass er Töne nicht nur gehört, sondern auch gesehen hat. Diese seltene Begabung führte unter anderem dazu, dass er sich im Speisezimmer einen grünen Kachelofen gewünscht hatte, für ihn „F-Dur“. -er muss also seine Musik im Kopf gemalt haben. Angeblich hat er alles im Kopf erarbeitet und erst das fertige Werk heruntergeschrieben. Unvorstellbar. Komisch allerdings, dass es kein musikalisches Werk von Sibelius gibt, das jünger als 1929 ist. Er hat also fast 30 Jahre auf Ainola gelebt, ohne etwas neues veröffentlicht zu haben. Gründe dafür muss ich noch mal suchen. Ich könnte mir vorstellen, dass er mit der Kritik an seinem „alten Stil“ nicht umgehen konnte oder dass seine Versuche, diesen weiterzuentwickeln, in seinen Augen nicht zufriedenstellend waren. Dass er an einer weiteren Symphonie tatsächlich gearbeitet hat, ist bekannt, Entwürfe dazu soll er verbrannt haben.

 

Im Haus fällt noch ein Tablett mit Freiburg – Stadtvedoute auf. Sogar hier!

 

Der Garten diente früher der Selbstversorgung. Die Bestellbücher für Samen und Pflanzen sind erhalten, so dass der Garten, so wie Aino Sibelius ihn gesehen und wohl auch größtenteils geschaffen hat, rekonstruiert werden konnte. Er enthält auch die Grabstätte von Beiden. Die Grabplatte wurde von seinem Schwiegersohn Aulis Blomstedt, einem Architekten, entworfen und besteht aus einer monumentalen Grabplatte aus Kupfer, die an einem „Rapallo‘“ genannten Ort platziert wurde, angeblich der wärmste auf dem Grundstück. Sibelius ist auf der Grabplatte in monumentalen Großlettern geschrieben, Aino Sibelius in Schreibschrift rechts unten. Ich bin mir nicht sicher, ob die Größe von Jean Sibelius nicht zu großen Teilen von Aino supportet wurde, Genie und Talent sind wahrscheinlich nicht alles. Schließlich kaufe ich noch ein Buch über das Leben auf Ainola und den Garten und seine Pflanzen. Vielleicht habe ich einmal Zeit und die Gelegenheit, etwas davon in den eigenen Garten zu übertragen.

 

In Helsinki wieder angekommen, stelle ich fest, dass die Nationalgalerie renoviert wird. Also wähle ich ersatzweise das finnische Nationalmuseum, das vor allem ein Geschichtsmuseum in einem Jugendstilgebäude ist. Es gibt einige schöne Installationen. So gibt es in der Frühgeschichts-Abteilung grummelnde Felsen, die auch das Gesicht bewegen, um Felsmalereien und ihre Hintergründe darzustellen. Es werden auch Bezüge zur Neuzeit hergestellt. So gibt es in der Abteilung, bei der der Naturglaube erläutert wird, eine Vitrine, die ein Auto enthält mit der Erläuterung: „even today we think of everyday objects as if they were human beeings“. Insgesamt ein schönes Museum, Schwerpunkt ist allerdings die Nationswerdung Finnlands, die aus den davor liegenden Fremdherrschaften hervorgegangen ist. Immerhin ist Helsinki eine schwedische Gründung mit einem russischen repräsentativen Ausbau (mit einem deutschen Architekten). Lustig auch der Streit um die Nationalflagge, die nach längerer Diskussion zunächst aus vielen Vorstellungen, unter anderem mit einem Löwen, schließlich aus einem Entwurf mit einem rot-gelben Kreuz zu einem blauen Kreuz gekommen ist.

 

Ich habe danach noch etwas Zeit, so dass ich in Helsinki die Stadt erkunde. Hinter dem Rex, einer privaten Kunstsammlung, die ein Museum unter der Erde betreibt mit schönen Lichtkuppeln, die man begehen kann, ist eine neue Kapelle aus Holz, Kampin Kappelli in einer runden, schüsselförmigen Form. Die Kapelle wurde von Mikko Summanen, Niko Sirola und Kimmo Lintula entworfen. Die Kapelle besteht aus drei verschiedenen Holzarten. Der Besuch gelingt, hier gibt es einen sehr schönen runden, holzigen Eindruck. Das Licht kommt von Oben seitlich an den Wänden entlang. Die Technik scheint derzeit beliebt zu sein, ähnlich wurde auch beim Neubau der Gethsemane-Kirche in Aachen verfahren, aber in Stein. Dahinter steht das riesige Einkaufszentrum, bei dem wir schon waren, als wir mit dem Bus zum Freilichtmuseum gefahren sind.

 

Die Finnen lieben Einkaufszentren, Malls etc. Sie sind im Vergleich zu deutschen groß und teilweise sehr labyrinthisch. Das Forum z.B. besteht aus bestimmt 10 Häusern und Innenhöfen, die durch Gänge verbunden sind. Möglicherweise hängt die Bedeutung von Einkaufszentren mit den dunklen Wintern zusammen, wo man dann lieber drin ist. Wer hier einkaufen will, muss sich schon auskennen. Ich schließe die Tour dann mit einem Bier vor den „drei Schmieden“ draußen ab. Bier trinkt man hier übrigens nicht einfach so, weil ein Glas etwa 10,00 € kostet, größere Mengen saufende Menschen habe ich auch nicht gesehen. In einer der Malls gibt es eine Raumfolge, in der Indoor-Farming betrieben wird, also Nutzpflanzen in Regalen unter gesteuertem künstlichen Licht. So kann man noch die letzte Ecke nutzbar machen, eigentlich keine schlechte Idee. Man spart Transport- und Energiekosten, wenn das Gemüse und die Kräuter am Ort benötigt werden, hat natürlich Energiekosten für die LED-Beleuchtung. Die Berechnung würde ich gerne einmal sehen.

 

Mit Stella kurz zur Wohnung. Zum Abendessen beschließen wir, bei den Leningrad Cowboys zu essen. Stella kannte die nicht, ich kann mich noch an den Hype erinnern, nachdem Kaurismäki 1989 den Film rausgebracht hatte. Die Band gibt es wirklich, die Mitglieder betreiben das Restaurant Zeta mitten in der Innenstadt. Es ist in einem modernen Vielzweckbau. Wenn man reingeht, ist man in ländliche Kneipen versetzt, neben einer Bar und einer Tanzfläche gibt es drei Traktoren, die zu Tischen umgebaut sind, alles holzlastig und dunkel. Es wird traditionell finnisches Essen angeboten. Nach etwas Diskussion probiert Stella eine Rentier-Suppe als Vorspeise. Das Essen war lecker, es gab kostenloses Wasser dazu wir haben noch Bier/Wein/Kaffee gehabt. Auch hier wieder sehr freundliche, englischsprechende Bedienung. Auf der Toilette bewundere ich die Ausstattung, an der Wand sind im 60er Jahre Stil Pin-Up-Girls als Tapete verwendet.

 

Das mit dem kostenlosen Wasser in der Gastronomie ist übrigens ein schöner Zug in Finnland, wir haben es überall erlebt. Sogar am Flughafen in Helsinki gab es das. Die Wegelagerer-Mentalität wird also hier wenigstens für ein Grundlebensmittel und ein Grundbedürfnis unterbrochen. Es hilft auch in den Gaststätten, sich nicht aus Durst zu betrinken, sondern alkoholische Getränke als etwas besonderes zu betrachten und somit dem Drogenkonsum entgegenzuwirken. Hier könnte man sich in Deutschland etwas abschauen, wie auch bei einigen anderen Themen, wie Pünktlichkeit im öffentlichen Verkehr, Sauberkeit öffentlicher Anlagen, Toiletten etc. Und schließlich die finnische Gelassenheit und Freundlichkeit des Service-Personals.

 

 

Donnerstag, 14.7.2022

 

Der Tag beginnt mit dem Verlassen der Wohnung, vereinbart ist 11:00 Uhr. Wir schaffen es um 20 vor 11. Beim Rausgehen treffen wir noch den Wohnungsbesorger. Warum der schon um diese Zeit vor der Tür steht ist unklar, und auch, wie lange er da schon stand. Am Bahnhof wiederum kurze Aufregung. Alle großen Schließfächer sind besetzt, es gibt sogar eine Art Schlange von Leuten, die ihr Gepäck unterbringen wollen. Stella schließlich versucht, ihren Rucksack in eines der kleineren Fächer unterzubringen und – sic! – er passt rein. Also Rucksäcke verstaut. Heute geht es nach Porvoo. Zur Feier des Tages hat Stella eine gelbe Falten-Pluderhose angezogen. Damit kann sie auf jeden Fall nicht verloren gehen. Nach Porvoo kommt man mit dem Bus hin, 53 km von Helsinki-Mitte entfernt. Wir bekommen noch den viertel nach 11-Bus und sind dann um viertel nach 12 da. Porvoo ist eins der wenigen noch erhaltenen Landstädte mit vorwiegend Holzhäusern und der ehemalige Wohnsitz des Nationaldichters Runeberg. Interessant ist, dass solche Städte einst königlicher Willkür unterlagen. So wurde Porvoo, eine damals blühende Handels- und Hafenstadt, bei der Gründung Helsinkis (12. Juni 1550 auf Befehl des schwedischen Königs Gustav I. Wasa) verlassen, weil der König für seine neue Stadt Einwohner brauchte und die von dort nach Helsinki zum Umzug befohlen hatte. Weil Porvoo so schön ist, treffen wir dort erstmalig viele Touristen auf einen Haufen an. Der Tourismus ist wohl die Haupteinnahmequelle. Der ist so wichtig, dass die Stadt auf der Straße kostenlose Stadtpläne verteilt. Der Hintergrund ist, dass dort auch alle Geschäfte und Restaurants verzeichnet sind und natürlich auch die Sehenswürdigkeiten. Wir geben uns als gute Touristen und folgen dem dort vorgeschlagenen Besichtigungspfad, von dem man alles sieht. Malerisch ist vor allem der obere Teil der Stadt, der etwas ursprünglicher direkt auf Felsen gebaut ist. Hier gibt es auch eine "Teufelstreppe", eine stufenförmige Felsformation. Wir philosophieren über den Umstand, dass der Teufel in Aachen ja schon sich den Daumen eingeklemmt hat, nachdem er ein paar Säcke Sand auf dem Lousberg verloren hatte. War er da schon mit der Teufelstreppe in Porvoo fertig? Dank des Touristenführers besuchen wir auch die städtische Kunstgalerie, die freundlicherweise kostenfrei zu besichtigen ist. Neben einer kleinen Privatsammlung, die vornehmlich Kunst aus der ersten Hälfte des 20. Jh. enthält, gibt es eine aktuelle Ausstellung: „disabled Robots.“ Künstler*innen sind Pekka & Teija Isorättyä. Sehr aktuell und interessant, tatsächlich wurden aktuelle Robot-Techniken verwendet. Humanoide Roboter ohne Fassade oder nur mit Teilaspekten von Kleidung und Gesicht sitzen an der Bar und unterhalten sich beim Bier, bzw. im Fall der Frau beim Wein. Während die Männer finnisch reden, redet die Frau spanisch. Köstlich. IN der ständigen Sammlung findet Stella ein Gemälde von Stig Fredriksson schön und meint, das sollte ich doch mal nachmalen. Es freut mich, dass sie mir das zutraut, wieder eine Aufgabe für spätere Zeiten.

 

Nach dem gemeinsamen Rundgang nehmen wir in der Touristenbar Nr. 1 auf einem dauerhaft vertäuten Schiff auf dem Wasser ein Getränk zu uns. Ich probiere ein alkoholfreies IPA Bier, das überraschend gut schmeckt, also Alkohol ist hier wirklich nicht nötig. Es gibt auch eine große Auswahl alkoholfreier Biere, sogar vom Fass. Auch hier könnte sich unsere Gastronomie etwas abschauen.

 

Stella will noch etwas schoppen und so trennen wir uns für zwei Stunden. Ich gehe auch etwas durch die Läden, aber nicht lange. So ein Touristenort besteht aus Nippes, Antiquitäten, Vintage-Vormüll, Second-Hand- und Läden für Frauen sowie für Einrichtungen. Ich gebe es auf, eine Tischdecke von Marimekko zu finden, die Corinna gefallen könnte. Die Kaufdecken sind eher in gedeckten Farben. Die schönen Stoffe gibt es entweder in Kleidern verarbeitet oder von der Rolle. Vielleicht muss man doch einen Rollenstoff mitnehmen. Ich lege mich am Ufer etwas auf eine Bank und entspanne. Dann suche ich noch einen Laden, bei dem ich eine Kappe kaufen kann. Die habe ich nämlich in der Wohnung liegengelassen. Beim Busbahnhof gibt es einen Outdoor-Ausrüster, hier werde ich fündig, jetzt habe ich eine finnische Kappe. Zurück mit dem Bus sind wir um 19:00 Uhr in Helsinki. Wir gehen noch Sushi-Buffet zum Abendbrot essen, dann noch eine Runde durch das abendliche Helsinki, am Hafen, diesmal am Nordteil, nehmen wir noch einen Aperol-Spritz zu uns und schauen der Abendstimmung zu. Es gibt so viele schöne Plätze in Helsinki, meistens am Wasser, aber auch am Senatsplatz, wo wir auch wieder länger waren. Für Stella haben wir noch den Sitz des obersten Gerichts von außen betrachtet, Top-Lage am Hafen, schönes Gebäude, bestimmt auch von Engel. Schließlich kommen wir rechtzeitig am Bahnhof an, der Zug ist pünktlich, wir finden unser Schlafwagenabteil, müssen hier allerdings einen Gast verscheuchen. Das Abteil ist gut gelöst, es gibt ein Bad mit allem was man braucht, sofern man nicht zu wohlbeleibt ist, was ja auf uns zum Glück nicht zutrifft. Die Dusche ist so gelöst, dass man die Wand mit dem Waschbecken umklappt, dann hat man den Duschraum. Wir schlafen relativ gut, sogar Stella ist zufrieden.

 

 

Freitag, 15.7.2022

 

Pünktlich in Oulu angekommen finden wir auch gleich ein Schließfach, so dass wir zunächst zum Frühstück aufbrechen, das wir dann an der alten Markthalle direkt neben dem Toripoliisi draußen einnehmen, schöne Morgenstimmung Es gibt belegtes Roggenbrot und eine karelische Piirakka, quasi ein Törtchen mit Milchreisfüllung und in meinem Fall mit Rühreitopping. Der Milchreis ist auch salzig. Dazu Kaffee. Ich trinke in Finnland Kaffee, weil ich nicht weiß, ob die hier überhaupt Tee können. Man hat meistens, auch in den Imbissen die Wahl zwischen mindestens zwei Kaffeesorten. Der Ruf der Finnen ist diesbezüglich also gerechtfertigt. Meistens kann man auch Nachschlag kostenfrei bekommen, so auch hier.

 

Danach machen wir einen Spaziergang über die Inseln, kommen an einem von Alvar Aalto entworfenen Wohnquartier vorbei und diskutieren über die Notwendigkeit, solche Quartiere (in diesem Fall niedrige Hochhäuser) zu planen und zu bauen. An der riesigen Kraftwerksanlage, die gerade Wasser ablässt, vorbei kommen wir in den Stadtpark, der sich als ein von Wasserläufen durchzogenes Gebiet mit vielen weißen Holzbrücken darstellt. Dabei sind auch öffentlich zugängliche Gewächshäuser, Cafés, Spielplätze und Blumenrabatten, vornehmlich Rosen. Im Gewächshaus ist eine große Bougainville auffällig. Sogar Palmen und Feigen gibt es hier.

 

Stella möchte in das Wissenschaftsmuseum, das die zweitgrößte Universitätsstadt des Landes natürlich hat. Oulu ist auch IT-Zentrum, das nordische Silicon Valley. Das Wissenschaftszentrum ist in einer alten Fabrikanlage untergebracht. Hier bleiben und spielen wir gut drei Stunden. Teilweise sehr gute Spiel- und Animationskonzepte, die Spaß machen. Lange Zeit verbringen wir an den Lichtknopf-Tafeln, wo man leuchtende Bilder aus Pixeln stecken kann. Viel Spaß mach auch ein Formsand, der von einem Laser abgescannt wird, der farbige Höhencodierungen projiziert, die das, was man da formt, in Höhenlinien, bzw. Schichtenfarben umsetzt. Die großen Simulatoren überlassen wir den Kindern. Es ist viel los und es macht Spaß. Zum Abschluss fahren wir noch im Panoramaaufzug auf den historischen Wasserturm, von dort gibt es einge gute Aussicht auf die Stadt.

 

Den Schluss des Besichtigungsprogramms macht der Dom, wieder einmal ein Werk von L. C. Engel. Er hat so viel in Finnland gebaut, dass er mehrere Büros mit mehreren hundert Leuten gehabt haben muss. Der Dom ist reine Neorenaissance, Kuppel über griechischem Kreuz mit Kasettendecken. Klares Prinzip, wenig Schnörkel. Ein Fenster ist für mich wegen MM interessant, allerdings von 1937, nicht aus der Erbauungszeit. Im Garten steht eine kleine Holzkirche, eindeutig eine Kinderkirche. Hier hat man das Wort einmal ernst genommen. Den Kinderservice machen zumindest heute zwei Mädchen, die ein Mauskostüm anhaben. Also hier mal etwas positives von der katholischen Kirche, zumindest von dieser in Oulu. Der Mißbrauchsskandal scheint hier weit weg zu sein.

 

Danach im zentralen Parkcafé einen Mittagssnack eingenommen, Smörebröd und Mozzarella-Baguette, Bierchen und Cola. Wie immer freundliche und zuvorkommendes Personal. Danach holen wir das Gepäck und beziehen das Zimmer im Automatenhotel, alles geht digital. Wir sind nicht sicher, ob die Klimaanlage an ist, es ist etwas heiß, es gibt aber einen Ventilator. Wir beschließen, ein Nickerchen zu machen, nach dem Aufwachen gehe ich schon mal in die Stadt und kaufe im Supermarkt etwas ein. Auch hier wieder die Beobachtung, dass viele aktuelle Geschäfte „vermallt“ sind, auch für den Supermarkt muss man in eine Mall. Danach gehen wir in das Hafengelände, hier ist viel los, weil in Oulu zeitgleich ein Festival der finnischen Popmusik ist. Nach einem kleinen Rundgang gehen wir zu einem Streetfoodstand und lassen uns zwei Teller mit Lachs, Kartoffeln, Sprotten, Gemüse etc. vollschaufeln. Wir setzen uns ans Wasser auf eine Treppe, auf der schon andere gefühlte 100 Leute sitzen. Da bleiben wir dann auch. Im Lokal nebenan gibt es Life-Musik, sing-a-Songwritermäßig, wir konnten gut mithören.  Man merkt hier schon dass die Sonne viel später untergeht, in Oulu erst um 23:30 Uhr, um dann um 3:15 Uhr wieder aufzugehen. Gegen 22:30 Uhr gehe ich dann aufs Zimmer, Stella bleibt noch draußen.

 

 

Samstag, 16.7.2022

 

Heute ist Reisetag. Um 8:00 Uhr Zimmer verlassen, auschecken geht wieder digital. Am Bahnhofskiosk noch einen Kaffee und ein Brötchen erstanden und schon sind wir wieder im Intercity, quasi der gleiche Zug wie gestern, nur nicht im Schlafwagen. Die reservierten Sitzplätze eingenommen und erst mal gefrühstückt. Nach Rovaniemi sind es noch mal 2,5 h. Man merkt, dass die Landschaft nur noch selten durch Gebäude, geschweige denn durch Siedlungen unterbrochen wird. Selbst bei den Bahnhöfen merkt man kaum, dass hier ein Ort oder eine Stadt ist. Der Zug ist wieder „pünktlich wie die Eisenbahn“. Hier gilt das noch. In Rovaniemi am Bahnhof funktioniert das Auto mieten problemlos, ein junger Man hat einen Tisch im Bahnhof und regelt das. Leider kostet der Trip nach Norwegen wegen der Versicherung noch mal extra, aber so ist das. Wir haben einen nagelneuen Toyota Yaris, Hybridantrieb. Stella fährt. Wir sind schnell auf der Hauptstraße in Richtung Ivalo / Inari. Der erste Schock kommt dann schon nach etwa einer Stunde Fahrt. Ein Rentier blockiert die Straße, der Fahrer vor uns muss bremsen, zum Glück war der Abstand ausreichend. Als Stella losfährt, kommt noch ein zweites kurz vor uns über die Straße. Eigentlich sind wir informiert, aber man muss es erst mal erleben. Bei den Nächsten sind wir dann schon vorbereitet. Rentiere laufen in ganz Lappland frei herum. Allerdings sind es keine Wildtiere, sondern gehören jemandem, es ist wie bei und mit den Ziegen im Schwarzwald. Wir versuchen noch, eine Rentierfarm zu sehen, aber die ist ausgestorben. Ist ja klar, weil im Sommer die Rentiere nicht in der Farm sind. Farmbesichtigungen gehen bei den Meisten erst im oder ab Oktober. Wir steuern auch noch eine historische Goldgräberstadt an, die in den Führern erwähnt wird. Weil es aber schon regnet, entscheiden wir, nicht auszusteigen und fahren weiter. In Inari sind wir dann so um 15:30 Uhr. Unser Camp liegt am Eingang des Ortes, direkt am See. Wir bekommen ein Hütten-Upgrade, so dass wir jetzt drei Tage eine Sauna haben. Das Upgrade ist begründet, weil auf dem Gelände eine Baustelle zur Vergrößerung des Camps ist, die auch direkt vor unserer Haustür liegt. Weil es aber regnet, passt Regen und Sauna gut zusammen. Nach dem Beziehen der Hütte gehen wir noch einkaufen, weil wir hier auch kochen wollen. Ich mache Bauernommelette mit Pilzsauce und Salat. Die Küchenausstattung ist allerdings rudimentär, so dass kontinuierliche Improvisation angesagt ist. Danach noch an den See und nacheinander die Sauna ausprobiert. Es ist eine Zweimann-Kabine mit einem einfach zu bedienenden Sauna-Ofen. Funktioniert bestens. Danach bin ich zumindest platt und gehe ins Bett.

 

 

Sonntag, 17.7.2022

 

Stella macht heute einen „Chill-Day“, wohl auch deswegen, weil eine durchgehende Regenphase angesagt wird. Ich gehe zunächst in das örtliche Saamen-Museum. Es verspricht Authentizität, weil in Inari auch das Saamenparlament tagt. Ich werde nicht enttäuscht. Es besteht aus zwei großen Indoor-Ausstellungsräumen und einem kleinen Freilichtteil. Indoor erfährt man vieles über Natur, Geologie und geologischer Geschichte, über Flora und Fauna, aber hauptsächlich über die Geschichte der Samen. Es gibt viele Tondokumente und auch eine kleine Abteilung über Musik und aktuelle saamische Musik mit Hörbeispielen. Ich finde die Sachen von Sofia Jannok und SomBy interessant und beschließe, das zuhause noch mal nachzuhören. Saamische Sprache gibt es, das ist die Erkenntnis, auch heute noch in den aktuellen Musikströmungen. Allerdings gibt es verschiedene Saamische Dialekte und es ist zu bezweifeln, dass dieses kulturelle Erbe in seiner Komplexität lebendig erhalten bleiben kann. Outdoor kenne ich schon einiges aus dem Museum in Helsinki, lerne aber auch neues. So kenne ich jetzt die historisch gebräuchlichen Fallentechniken vom Marder bis zum Bär. Auch über Fischfang konnte man einiges erfahren, insbesondere aber über Rentiere und Rentierhaltung. Ich lerne auch über das Zero Arctic Projekt, bei dem versucht wurde, aus den historischen Erkenntnissen der alten Saamengebäude moderne Bauprinzipien abzuleiten. Den Bericht habe ich schon heruntergeladen, muss nur noch gelesen werden.

 

Nach dem Museum hatte ich mir schon eine kleine Wandertour zurechtgelegt. Es geht von einem Wanderparkplatz zu einer „Wildniskirche“, ca. 5 km. Die Straße dahin ist auf den letzten Hundert Metern ohne Asphaltdecke, vielleicht eine Ausnahme, aber später fahren wir noch über 30 km ohne Asphaltdecke, also ist das hier wohl Prinzip. Ich denke, 5 km ist ja nix. Es stellt sich allerdings heraus, dass das ganze Gelände aus mit Felsen übersäätem Wald besteht, sofern es sich nicht um einen See oder ein kleines Moor handelt. Der Weg ist gut ausgeschildert, aber es geht langsamer voran als gedacht. Im Wald gibt es Rentier-Türen aus Zeltstoff, die man durchqueren muss, offensichtlich sind hier verschiedene Reviere abgegrenzt. Die Landschaft ist, wie ich mir Finnland immer vorgestellt habe. Seen wechseln sich mit kleinen Wasserläufen ab, dazwischen Schilfzonen. Das ganze eingebettet in eine hügelige Waldlandschaft. Der Wald ist hier, nicht nur wegen der Felsen, sondern wohl auch wegen dem begrenzten Klima, viel lichter als bei uns. Bäume brauchen sehr lange. Eine Fläche, die gerodet wird, ist auch nach 35 Jahren nicht wieder vollständig bewachsen, erst nach über 60 Jahren kann man wieder von Wald sprechen. Hier ist einfach zu wenig Wachstumszeit. Die Kirche Pielpajärven erämaakirkko schließlich ist an einem ehemaligen Wintersiedlungsplatz der Saamen positioniert und noch unter schwedischer Herrschaft errichtet worden, aber erst unter russischer Herrschaft wurde ein regelmäßiger Pfarrdienst eingerichtet. Überhaupt haben sich wohl die russischen Herrscher stärker um die saamischen Eigenschaften, Selbstbestimmung und Sprache zumindest im 19. Jh. stärker engagiert als vorher die Schweden. Komisch, heutzutage…Die Kirche ist eine vollständige Holzkirche mit allen typischen Elementen, es fehlt allerdings eine Orgel und auch sonst alles, was Wert haben könnte, kein Wunder hier in der Wildnis.

 

Es geht den gleichen Weg zurück wie hin, Das Wegenetz ist hier sehr dünn. Schließlich muss ich den Wanderparkplatz wieder erreichen. Der Beginn des Weges ist am Wanderparkplatz übrigens sehr schön mit einem Tor gekennzeichnet. Zurück am Standort scheint noch viel Zeit zu sein, so dass ich noch einen weiteren Spaziergang ins Auge fasse. Natürlich zuerst Abendessen, Stella macht Spaghetti Carbonara alla Inari (mit Salami, ohne Parmesan und sehr flüssiger Ei-Sauce). Ich gehe noch mal raus, um den Fischer-Weg zu gehen, hier erfährt man einiges über die historische Fischerei am Juutuanjoki, auch kurz Juutu genannt. Der übrigens auf ganzer Länge beleuchtete Weg geht vom Museum los, lange durch den Wald und dann über eine spektakuläre Hängebrücke auf die andere Seite und wieder durch den Wald zurück. Ich komme an einigen eigentümlichen Schildern vorbei, die anzeigen, dass der Durchgang für Wanderer verboten ist. Sogar hier haben die Grundstückskapitalisten sich die Sahnestückchen unter den Nagel gerissen und wollen natürlich ungestört bleiben. Wie das im Nationalpark gelungen ist, bleibt im Dunkel der Geschichte.

 

Auch hier ist der Wald sehr weitläufig, allerdings mit weniger Felsen. An einem Felsen werde ich an die grummelnden Felsen aus dem Nationalmuseum in Helsinki erinnert. Er hat wirklich ein Gesicht. Die Hängebrücke geht über eine Stromschnelle, die wohl schon mehrere Menschen das Leben gekostet hat, heute ist das alles von sicherer Warte aus zu erleben. Der Fluss wird kurz vor Inari ziemlich breit und flach. Ich werde informiert, dass deswegen hier die Fliegenfischerei schon Anfang des letzten Jahrhunderts schon so berühmt war, dass Gäste aus Großbritannien, Kanada und den USA hier den ersten Touristenboom ausgelöst haben sollen. Daher entstammen auch zwei der heutigen Hotels.

 

 

Montag, 18.7.2022

 

Heute haben wir Großes vor. Wir machen eine Wanderung im Lemmenjoki Nationalpark. Dieser ist neben seiner Naturlandschaft auch dafür berühmt, dass hier Gold gefunden wurde und noch gefunden wird. Hierzu gehören natürlich Goldrausch und alle möglichen Geschichten, die man auch aus dem Wilden Westen kennt. Wir wollen aber die Natur erkunden und ich will insbesondere diesen Weitblick über die finnische Waldlandschaft erleben, dem ich im Internet begegnet bin. Wir machen also von einem Wanderparkplatz aus eine Tour zum Joenkielinen und auf anderem Weg über die Goldroute zurück. Der Joenkielinen ist 535 m hoch und damit für finnische Verhältnisse schon ein hoher Berg. Die geringe Höhe führt dazu, dass ich die Schwierigkeit des Weges maximal unterschätze, Komoot gibt die ca. 17 km lange Strecke mit mittelschwer an. Stella fährt hin, es sind ca. 45 km von Inari aus. Unterwegs treffen wir wieder einige Rentiere, die aber so desinteressiert sind, dass sie nicht ausweichen und einfach das machen, was sie sowieso tun, in der Regel einen Weg absolvieren oder grasen. Stella erzählt, dass es Glück bringt, wenn ein Rentier, besonders ein weißes, einen ansieht. So gesehen müssen wir sehr viel Glück haben.

 

Der Weg beginnt bei leichtem Regen, mit dem wir aber gerechnet haben. Womit wir allerdings nicht gerechnet haben, war, dass der Weg sehr steinig war, über sehr viele Wurzeln, also im besten Sinne „über Stock und Stein“ lief und dass offensichtlich alle Wasserläufe entschieden haben, durch die Wege, und zwar in Längsrichtung, zu verlaufen. Es war also sehr nass. Zudem hatte es ja in der Nacht vorher sehr viel geregnet, so dass auch der Boden sehr nass war. Es war also sehr zäh, man musste immer den besten Weg suchen und dann regnete es auch noch. Stella ist dann noch mit einem Fuß etwas zu tief ins Wasser gelangt, so dass der Schuh dann noch von innen nass wurde. Die Landschaft ist dennoch sehr schön. Wieder der lichte Wald, hauptsächlich Kiefern über Blau- und anderen Beeren, alle aber noch nicht reif. Dann gab es Moore, die von Birken umstanden und teilweise schon durchstanden waren, die der Weg aber nur am Rand streifte. So ging es leicht auf und ab, keine weiteren Schwierigkeiten. Bei einem zeltartigen Unterstand konnten wir dann eine Pause auch vom Regen machen. Hier war für alles gesorgt, eine Toilette, ein Schuppen mit Feuerholz und zwei Feuerstellen, eine innen und eine außen. Wir hätten also gut Feuer machen können, wenn wir denn ein Feuerzeug dabei gehabt hätten, es ist auch eindeutig erlaubt. Der Berg ist schon in Sichtweite. Beim Näherkommen stellt sich dann der Aufstieg eher subalpin bis alpin dar. Die Baumgrenze ist hier so niedrig, dass wir fast plötzlich in der freien Landschaft ohne Bäume waren. Der Aufstieg ist felsig, aber gut markiert. Wenigstens einige Meter ohne Wasser im Weg. Oben schließlich der erwartete großartige Rundumblick über die Wald- und Hügellandschaft mit wenigen Bergen ohne Bäume. Die umliegenden dunklen Wolken erhöhen noch die empfundene Dramatik, weisen aber darauf hin, dass es bald wieder regnen wird. Wir machen also noch ein Gipfelphoto und dann geht es wieder runter. Der Abstieg scheint noch schwieriger zu sein, als der Aufstieg, er dauert auf jeden Fall länger. Hier fängt zuerst eine Birkenbestockung, dann aber auch hier eine Kiefernbestockung an. Bisher haben wir übrigens von einigen Eichelhähern abgesehen, keine Tiere gesehen. Jetzt zeigt sich noch ein Schmetterling. Es ist, wie bei den Rundgängen bisher auch, sehr still, die Tiere machen keine Geräusche und es ist die ganze Zeit sowieso windarm.

 

Am Berg habe ich ein Deja-vue-Erlebnis. Stella ist schneller als ich und muss regelmäßig auf mich warten. Der Altersunterschied fällt einfach auf. Ich mache kleine Schritte und komme gut voran, aber junge Menschen sind einfach flotter. Genau das gleiche hatte ich mit meinem Vater erlebt. Auf meiner Harzreise-Tour nach dem Reisebericht von Heinrich Heine 1984 hat mich mein Vater drei Tage begleitet, von Göttingen bis Goslar. Beim Aufstieg auf die Harzhöhen ging es ihm genauso, er musst mich mehrfach daran erinnern, dass er ja schon über 60 ist und am Berg nicht mehr so flott. Sein Einsatz ist ihm hoch anzurechnen, hat aber glaube ich nicht zu einer stärkeren Annäherung geführt. Ich hoffe, mir geht es in der Hinsicht besser als ihm.

 

Auf dem Goldpfad schließlich treffen wir doch noch zwei Rentiere im Wald, die aber in entgegenkommender Richtung einen ziemlich genau abgezirkelten Bogen um uns herum machen, nicht ohne den glücksbringenden Blick auf uns geworfen zu haben. Schließlich wandelt sich der Wald noch mal, es wird kleinteilig hügelig, weil hier nach der Eiszeit sich im Geröll des sich zurückziehenden Eises Eisbrocken in der Erde zurückblieben, die nach dem Schmelzen zu trichterförmigen Erdformationen geführt haben. Auch hier Kiefern, die älteste wohl 400 Jahre alt. Seit 1959 hat sie nur 7 cm an Stammdicke zugelegt, daran erkennt man, wie wenig Zeit die Vegetation hier zur Entwicklung hat. Wir schließen die Wanderung noch mit einem Kaffee und einer Pulla ab. Auf der Rückfahrt versuchen wir es noch mal mit finnischem Radio. Wir haben festgestellt, dass die Finnen im Radio viel reden und weniger Musik spielen als bei uns. Da wir das Reden nicht verstehen, suchen wir Musiksender. Wir bleiben bei einem, der europäische Schlager spielt. Dabei sind auch deutsche Stücke. Man spielt schließĺich „Für mich soll‘s rote Rosen geben“ in der Fassung von Conchita Wurst. Ich sage, das ist doch ein Stück von Hildegard Knef. Die Knef hat das viel authentischer und auch härter gesungen. Trotz einer längeren Diskussion über Transexuelle, Unentschiedene und Andere nicht eindeutig den beiden sexuellen Lagern zuzuordnenden Personen bleibt dieses Lied, auch für die nächsten Tage, hängen, sozusagen der Ohrwurm der Reise. Tatsächlich ist auch der Text so eine Art von Glaubensbekenntnis, ganz passend zur Knef, übrigens von ihr selbst verfasst.

 

 

Mit 16, sagte ich still
Ich will, will groß sein, will siegen
Will froh sein, nie lügen
Mit 16, sagte ich still
Ich will, will alles oder nichts

 

Für mich soll′s rote Rosen regnen
Mir sollten sämtliche Wunder begegnen
Die Welt sollte sich umgestalten
Und ihre Sorgen für sich behalten

 

Und später, sagte ich noch
Ich möcht' verstehen, viel sehen, erfahren, bewahren
Und später, sagte ich noch: Ich möchte
Nicht allein sein und doch frei sein

 

Für mich soll′s rote Rosen regnen
Mir sollten sämtliche Wunder begegnen
Das Glück sollte sich sanft verhalten
Es soll mein Schicksal mit Liebe verwalten

 

Und heute, sage ich still
Ich sollt mich fügen, begnügen
Ich kann mich nicht fügen
Kann mich nicht begnügen
Will immer noch siegen
Will alles, oder nichts

 

Für mich soll's rote Rosen regnen
Mir sollten ganz neue Wunder begegnen
Mich fern vom alten neu entfalten
Von dem, was erwartet, das meiste halten
Ich will, ich will

 

 

Zurück in Inari gibt es zum Abendessen Spaghetti Bolognese. Nach der abendlichen Sauna bin ich etwas schwach, so dass ich sofort schlafen gehe. Unser Camp hat heute Besuch von einem Rentier, wohl ein älterer Herr, der es sich auf einem Sandhaufen unserer Baustelle gemütlich macht, quasi direkt vor unserer Unterkunft. Er lässt sich aber durch nichts aus der Ruhe bringen. Vielleicht typisch für Finnen?

 

 

Dienstag, 19.7.2022

 

Aber zum Glück wache ich so gegen 1:30 Uhr auf und beschließe nach einen Blick aus dem Fenster, jetzt der Mitternachtssonne nachzujagen. Unten am Inarisee stelle ich dann fest, dass noch eine feste Wolkenmasse die Sonne verdeckt, die Windrichtung aber vielversprechend ist. Also warte ich und mache gelegentlich Fotos von dem immer heller werdenden Himmel. Um ca. 2:10 Uhr ist es dann soweit. Die Sonne befreit sich von den Wolken und bestrahlt die Landschaft. Da es auch sehr ruhig ist, alles schläft (außer einem Wiesel und mir), ist das eine ganz besondere eigentümliche und in gelbliches Licht getauchte Atmosphäre, die ich sonst noch nicht gesehen und erlebt habe. Die Sonne steht ganz knapp über dem Horizont, der hier aus einer flachen Hügelkette gebildet wird. Auch das habe ich mir so vorgestellt. Ein wunderbares Erlebnis.

 

Morgens dann nach dem Frühstück ist zusammenpacken angesagt. Heute geht es etwa 350 km in Richtung Nordkap. Stella fährt und so konzentriere ich mich auf die Entwicklung der Landschaft. Erwartungsgemäß werden zunächst die Bäume immer kleiner, dann auch spärlicher. Bis zur norwegischen Grenze bleibt aber der Wechsel von Wald und Moor bei sanfter Hügellandschaft bestimmend. Da die Finnen beidseitig der Straße einen etwa 10 m breiten Streifen von Baumbestand freihalten, sind auch die Rentiere immer gut zu sehen. Außerdem ist ja bei Tempo 80 (in Ausnahmefällen Tempo 100) die Reaktionsmöglichkeit noch ganz gut. Nach der norwegisch-finnischen Grenze verändert sich die Landschaft kurzzeitig, es gibt Bauernhöfe und Viehaltung von Kühen und Schafen. Das liegt wohl an dem Tal des Flusses Karasjoka, der ein spezielles Klima mit sich zu bringen scheint. Weiter in Richtung Norden weitere Reduzierung der Bewaldung, dafür kommen große kahle Berge in Sicht, die dann die Landschaft bestimmen. Schneeinseln können erkannt werden. Schließlich kommt ab Lakselv rechter Hand das Nordmeer. Ab jetzt liegt es fast immer rechts, die Landschaft wechselt zu meeresbestimmter Kulisse, überall begrenzende schroffe Felsformationen. Je weiter nach Norden wir fahren, umso breiter wird die Wasserfläche, ich weiß nicht, ob das hier auch „Fjord“ heißt. Es wird immer kahler, Bäume gibt es schon lange nicht mehr. Unterwegs überraschenderweise doch noch – die erste – eine Herde Rentiere auf der Straße. Mehrere Straßentunnel zeigen, dass die Norweger zu früheren Zeiten Tunnel recht hemdsärmlig gebaut haben. Derzeit wird für den längsten ein neuer nach hoffentlich aktuellem Standard gebaut. Diesen weist dann der Nordkap-Tunnel mit fast sieben Kilometern Länge auf. Dann sind wir endlich auf dem Nordkap, die ganze Insel und auch die politische Gemeinde heißen so, bzw. Magerøya. In der einzigen Stadt hier, Honningsvåg, liegt ein großes Kreuzfahrtschiff. Ich denke, hier ist der Endpunkt der meisten Nordkap-Kreuzfahrten, vielleicht werden die Gäste noch mit Bussen nach oben zum Nordkap gefahren. In Honningsvåg kaufen wir noch Lebensmittel ein, wir wissen noch nicht, wie die Versorgungslage am Unterkunftsort ist. Der heißt Skarsvåg und ist ein idyllisches Hafenstädtchen mit vielleicht 100 Häusern, es gibt aktive Fischerei, zwei Restaurants, eine Fischfabrik, Ferienwohnungen und -häuser und unseren Campingplatz Base Camp. Der hat eine Reihe von „Cabins“, wir bekommen Nr. 1. Hier ist in den Kabinen nur der Schlafplatz, alles andere ist gemeinschaftlich organisiert. Bettzeug kostet extra, hatten wir vergessen, aber konnten noch nachordern. Nach dem Belegen habe ich mich gleich aufgemacht auf einen ersten Erkundungsrundgang. Der führt über den nächsten Hügel zum Aussichtspunkt Kirkeporten. Das ist eine torartige Felsformation am Wasser. Hier hat man Sicht auf das Nordkap und das Nordkap-Horn, ein hornförmiger Felsen am östlichen Steilufer des Nordkaps. Viel spannender sind aber die Felsformationen des Kirkeporten. Hier kann man die Felsfaltung aus den Urzeiten sehr gut erkennen, der Fels ist quasi tafelförmig geschichtet, ich denke, es ist eine Art Grauwacke, bin aber nicht sicher. In die Bänderung sind Quarzbänder eingeschlossen, so dass die Faltung sehr malerisch markiert wird, dies wird durch die Schichten des Steins noch unterstützt. Am Wasser ist der Stein durch die Wasserkräfte rundgeschliffen und auch das innere des Kirkeporten-Bogens ist, wahrscheinlich durch die Windkräfte, malerisch rund mit fast surrealen Formergebnissen. Richard Oelze hätte hieran sicher seine Freude gehabt. Ich muss auch an Tony Cragg denken, er könnte hier abgeschaut haben. Die Felsen nehmen mich mehr in Beschlag, als der großartige Blick, ich nehme sogar einen nicht ganz einfachen Abstieg über die Steilküste in Kauf. Zurück geht es über den Höhenrücken mit wieder großartigen Weitblicken, das Wetter ist hierfür freundlich. Gegen Abend ziehen tiefer liegende Wolken auf, wie es morgen wird, müssen wir dann mal sehen. Inzwischen wird es kälter, es sind nur noch 10 Grad Celsius. Aus Deutschland erreichen uns Meldungen über 38 Grad, Wir haben, glaube ich, den besseren Teil.

 

Heute abend gibt es Salat und Sushi, Stella bereitet das in der Gemeinschaftsküche vor, ich spüle. Zwischendrin sitzen wir noch am See vor unserer Hütte, ich schreibe, sie liest. Hier muss ich wieder an Dr. Murkes gesammelte Nachrufe denken. Da geht es um einen Dichter O‘ Shaughnessy, den Bur-Malottke, der sehr von sich als Dichter, Philosoph und Essayist überzeugt ist, nicht kennt. Er fragt die Cutterin, ob sie den Dichter kenne. Sie sagt, ja sicher, O‘ Shaugnesssy, irischer Dichter, geboren dann und dann, gestorben dann und dann, schrieb das und das. Worauf er: Woher wissen Sie das? Sie sagt: „Ich lese.“ Da wird er ganz nachdenklich und sagt: „Ich schreibe.“

 

Nach dem Essen gibt es noch einen kleinen Abendspaziergang in den Ort. Hier wird wohl noch aktive Fischerei betrieben, wie etwa 20 kleinere Fischerboote belegen. Natürlich gibt es auch die Touristen-.Boote, mit denen man zum Nordkapp fahren kann. Es gibt zwei Restaurants, wo das Highlight wohl die Königskrabben sind. Königskrabben sind hier übrigens erst Ende des 20 Jh. von russischen Fischern eingeführt worden. Sie erobern sich Schritt für Schritt die Nordmeerküste, offensichtlich gibt es keine natürlichen Feinde. Für die Fischerei ist das sicher nicht schlecht, kann man doch die Krabben für gutes Geld verkaufen. Für das ökologische Gleichgewicht ist das wohl eher eine Katastrophe.

 

 

Mittwoch, 20.7.2022

 

Frühstück wieder in der Gemeinschaftsküche. Angesichts des Wetters mit Regen und tiefhängenden Wolken, beschließen wir, den Besuch vom Nordkapp auf den Nachmittag zu legen, hierfür sagen die Wetter-Apps besseres Wetter voraus. Den Vormittag verbringen wir in Honningsvåg, der einzigen Stadt am Nordkapp. Dort gibt es vor allem eine Statue für einen Hund. Dieser war ein Bernhardiner, hieß Bamse und war im zweiten Weltkrieg Schiffshund auf norwegischen Kriegsschiffen. Er hat sich durch seine soziale Funktion ausgezeichnet. So begleitete er die Mannschaft auf den Landgängen und hat streitschlichtend in Streitereien der Matrosen eingegriffen. Zweimal hat er Besatzungsmitgliedern das Leben gerettet. Es ist wahrscheinlich der einzige Hund, der jemals mit militärischen Ehren bestattet wurde, bei seiner Beerdigung 1944 kamen 800 Menschen. Die norwegische Marine hat noch zu Lebzeiten Fotos und Postkarten mit dem Hund produziert und verschickt. Nachdem wir Bamse gebührend betrachtet und fotografiert hatten, stellen wir fest, dass wir in die Zeitfalle getappt sind. In Norwegen ist die europäische Sommerzeit, also eine Stunde hinter der finnischen. So sind wir für den Besuch des Museums zu früh. Wir spazieren entlang des Hafens, der erstaunlich groß ist. Auch hier ist Umweltschutz ein Thema, es gibt ein Kunstwerk, dass aus Abfall, der aus dem Hafen gefischt wurde, hergestellt wurde. Gerade hat hier ein Schiff angelegt, das wohl die Hurtigroute befährt, aber eher wohl ein kleines Kreuzfahrtschiff. Die Havila Castor ist nur für 640 Passagiere und hat „nur“ neun Etagen. Angeblich ist es eins der umweltfreundlichsten Schiffe auf der Nordroute. Mit Elektroantrieb und Batterien kann es vier Stunden geräuschlos fahren, wohl vor allem um die Fjorde und ihre Natur zu schonen. Ansonsten ist auch ein Gasantrieb vorhanden. Wenn man allerdings vor so einem Schiff steht, stellt sich die Frage, wie relativ wohl die Umweltschonung zu sehen ist, bei so einem Riesen-Teil. Allein der Material- und Energieeinsatz für die Herstellung ist schon Wahnsinn, nur damit wohlbetuchte „Bürger*Innen“ damit um die Ecke fahren können. Wir können beobachten, dass rechtzeitig zum Erscheinen des Schiffes fahrende Händler ihre Stände aufbauen. Für so einen kleinen Ort wie Honningsvåg (2.500 Einwohner) ist das schon ziemlich bedeutend. Später am Nordkapp sehen wir Busse von mehreren Kreuzfahrtschiffen dorthin fahren, also muss auch in Honningsvåg mehr als ein Schiff angelegt haben. Wir machen noch einen pflichtgenmäßen Ausflug zur örtlichen Kirche, die in den Führern erwähnt wird. Die Kirche an sich ist eine Holzkirche, wie viele andere in Finnland und Norwegen auch. Das Besondere erfährt man aus der Geschichte. Die deutsche Wehrmacht hatte die „Finmark“ im 2. Weltkrieg besetzt. Der Begriff ist übrigens keine deutsche Erfindung, sondern man nennt die Gegend hier selbst so. Nachdem eine russische Gegenoffensive von Osten gestartet war, zog sich die Wehrmacht in Richtung Westen zurück. Die Bevölkerung wurde evakuiert und die Siedlungen abgebrannt , um dem Feind keine Ressourcen zur Verfügung zu stellen. so brannte Honningsvåg vollständig, mit Ausnahme der Kirche ab. Nach Kriegsende wurde mit dem Wiederaufbau begonnen, die Bevölkerung wohnte zunächst in der Kirche, wo auch eine Bäckerei eingerichtet wurde. Strom wurde übrigens, wie wir später erfahren, aus einem Generator der ausgeschlachteten „Tirpitz“ gewonnen. Dieser Generator befindet sich noch heute im Besitz des Nordkapp-Museums und ist der einzige noch erhaltene Teil des Schiffs.

 

Schließlich können wir, nach dem Besuch eines Souvenir-Shops und einem Kaffeehaus, das in einem ehemaligen Fischerhaus aus den 50er Jahren untergebracht ist, das Museum besuchen. Es ist relativ klein und enthält verschiedene Aspekte des Nordkaps, neben den schon geschilderten Kriegsereignissen vor allem die touristische Entwicklung, die bereits im 17. Jh. Durch den italienischen Priester Francesco Negri 1664 begann und im 19. Jh. mehrere Potentaten, darunter Louis Philippe aus Frankreich und König Oskar II von Norwegen/Finnland aufzählen kann. 1907 kommt schließlich der König von Siam, heute Thailand, König Chulalongkorn hierhin und hinterlässt eins der ersten Graffiti auf einem Felsen, um den heute das Nordkap-Museum herumgebaut ist. Daneben gibt das Museum Einblicke in Saamisches Leben, Fischfang und dessen technische Entwicklung sowie eine kleine Kunstausstellung. Spannend ist auch, dass die Hexenverfolgung sogar bis hier oben hin im 17. Jh. gelangt ist, wobei hierunter sowohl weibliche als auch männliche Hexen zu verstehen sind. Inwieweit hier noch die katholische Kirche profitiert hat, kann ich dem kleinen Tableau zu diesem Thema nicht entnehmen. Das Parkticket kostet übrigens 3,00 € für die Stunde. Schließlich haben wir alles gesehen und fahren zurück. Wir fahren zum Wäschewechseln noch mal kurz am Standort vorbei. Es ist immer noch sehr neblig und nach Abwägung denkbarer Szenarien beschließen wir, doch zum Nordkap zu fahren. Stella fährt wieder. Wir landen, da das Nordkap ja ein größerer Felsen ist, beim Hochfahren in einer richtig dicken Suppe. Man sieht extrem wenig. Bei dichtestem Nebel und quasi Kolonnenfahren aus Sicherheitsgründen kommen wir oben an. Mitten auf der Straße stehen Eintrittshäuschen, man kann aber auch, aus welchen Gründen auch immer, dran vorbeifahren. So zahlen wir den Eintritt von 30,00 € pro Nase, includiertem Parkplatz und Zugang für 24 h. Wir denken, es ist gut so, denn wenn wir heute nichts sehen, kommen wir morgen früh noch mal wieder. Nach kurzem Besuch bei der Weltkugel beschließen wir, erst mal das Museum zu besichtigen. Es stellt sich heraus, dass hier wenig zu sehen ist. Es gibt einen schönen Film über das Nordkap und die Nordlichter, eine Dioramen-Show über die oben schon genannten Touristen und die Entdeckung im Jahr 1553. Damals verließen drei englische Schiffe London, um die Nordostpassage nach China zu finden. Die Schiffe wurden im Sturm voneinander getrennt, und eines von ihnen, die Edward Bonaventura des Kapitäns Richard Chancellor, passierte Mitte August den Felsen mit dem Namen „Knyskanes“. In der Annahme, es handele sich um norwegisches Festland, gab Richard Chancellor dem Schieferplateau den Namen „Nordkap“. Erklärungen zum Phänomen des Nordlichts werden gegeben. Schön ist eine Kapelle mit Musik von Jan Gabarek. Außergewöhnlich ist ein Sanktuarium, dass durch den Staat Thailand ausgestattet wurde. Es zeigt das Ereignis des Besuchs des Siamesischen Königs Chulalongkorn im Jahr 1907. Soweit erkennbar, hat der König zur Vorbereitung seiner Reformbemühungen Europa besucht. Wenn ich die Karte richtig lese war er auch in Stuttgart, später lese ich, dass er in Braunschweig war. Die Ur-Ur-Enkelin des Königs hat das Sanktuarium eingeweiht. Schließlich haben wir noch etwas Post von hier abgeschickt, wegen des besonderen Nordkap-Stempels.

 

Und siehe da, die Wolken haben sich – nicht verzogen – sondern gesenkt, so dass nun klare Sicht bis zum Horizont ist. Langsam schälen sich die umliegenden Berge aus dem Nebel. Eine fantastische Situation! Wir gehen noch mal zu Weltkugel und entscheiden uns dann zu einem Spaziergang zum Horn des Nordkaps, das etwa 1 km östlich liegt. Hier gibt es keine Wege und auch keine Zäune, so dass alle, die dorthin laufen (etwa 5 Personen), eine andere Strecke gehen, ich gehe davon aus, dass dies abhängig von der Lagegenauigkeit des verwendeten Navigationsprogramms oder schlicht von Google Maps.

 

Auf dem Weg sehen wir, dass die sehr niedrige Vegetation doch in der Lage ist, Blüten hervorzubringen, sogar in vielfältiger Weise. Tiere sehen wir aber wenige, es gibt allerdings einige Rentiere, die sogar hier grasen. Auch auf der Hinfahrt waren Herden zu sehen. Komischerweise haben wir in Finnland immer nur wenige Tiere auf einmal gesehen, während in Norwegen Herden unterwegs sind, auch auf der Straße. Es gibt einige Vögel, aber keine Vogelkolonie. Am Horn angekommen, hat es sich gerade aus dem Nebel geschält, es ist aber von oben nicht so beeindruckend wie am Abend vorher von der Seite. Die Klippen sind aber an jeder Stelle beeindruckend, auch wegen der gut zu erkennenden Schichtenstruktur der Felsen. Da jetzt die Sonne von oben auf den Nebel, der wie eine Decke wirkt, scheint, können wir kleine Mini-Regenbogen auf der Oberfläche sehen. Ich denke, dass wir insgesamt eine besondere Stimmung mit der Wolkendecke auf dem Wasser und darüber scheinender Sonne erlebt haben.

 

Schließlich gehen wir zurück zum Nordkap-Museum. Hier hat sich inzwischen die Besucherstruktur geändert. Wie wir sehen können, sind von mindestens drei Kreuzfahrtschiffen Busse angekommen. Das Durchschnittsalter der Besucher hat sich dadurch um gut 20 Jahre angehoben. Vorher waren die Campingmobil-Nutzer, Motorradfahrer, wenige Pkw-Fahrer und noch weniger Radfahrer dort. Wir beschließen, noch etwas da zu bleiben, um noch weiteres Absenken des Nebels zu beobachten. Es wird ja nicht dunkel. Es gibt ein Self-Service-Restaurant (auch eins mit Service), bei dem man an einer großen runden Fensterfront auf das Meer (in unserem Fall auf den Nebel), die Sonne und die Weltkugel schauen kann. Wir nehmen einen Snack und gönnen uns zur Feier des Nordkap-Besuchs einen Prosecco. Langsam senkt sich die Sonne und der Himmel in Horizontnähe wird grünlich. Wir machen draußen noch ein paar Fotos. Wichtig ist vor allem ein Foto von der Sonne, die genau durch die Weltkugel scheint. Wir hatten so ein Foto schon gesehen und uns gefragt, welche Position der Fotograf wohl gehabt haben könnte. Und nun haben wir selbst diese Position, übrigens eine von vielen Möglichkeiten, sogar auf der Hauptterrasse der Besucher. Inzwischen ist es schon 20:00 Uhr und wir fahren, nun ohne Nebel zurück. Die Landschaft ist sehr beeindruckend, quasi vegetationslose und vegetationsarme Felsen, Seen und das Meer. Es kommt mir wie in den Hochalpen vor, nur eben fast auf Meeresniveau und, bedingt durch die Mitternachtssonne, um diese Uhrzeit auch bei ungewöhnlichen Lichtverhältnissen.

 

Die Touren am Nordkap haben bei Stella den Wunsch geweckt, Motorrad zu fahren. Wir diskutieren über verschiedene Modelle, am Nordkap- Base-Camp waren ja einige in Natur zu betrachten. Wir sind uns schließlich einig, dass eine mittlere Kawasaki wohl das richtige für sie ist. Mal sehen, was daraus wird.

 

 

Donnerstag, 21.7.2022

 

Heute ist Rückfahrtag nach Rovaniemi. Damit wir noch eine andere, etwas längere Strecke fahren können, beschließen wir, schon früh aufzustehen. Wir kommen tatsächlich um 6:45 Uhr norwegischer Zeit weg. Die erste Etappe nach Arta zeigt, dass wir richtig gewählt haben. Die Landschaft ist beeindruckend, wir fahren, nachdem wir die Nordkap-Insel hinter uns gelassen haben, zuerst durch schroffe Felsen auf eine Hochebene, die wiederum von Bergen eingerahmt ist. Dort gibt es wenig Vegetation aber Seen. Manchmal erscheinen kleine Birkenwälder, die teilweise aber nicht sehr gesund aussehen. Beim Herunterfahren aus der Hochebene nach Arta haben wir beide den ‚Eindruck, dass die Szenerie auch gut an die oberitalienischen Seen passt, allerdings ohne Palmen. Das Wetter ist auf jeden Fall sehr sonnig, es zeigt sich keine Wolke. In Arta an der Tankstelle ist, neben dem Tankvorgang, Fahrerwechsel. Hier tankt man übrigens so, dass man die EC-Karte in den Automaten schiebt. Nach Freigabe wird die Tankvorrichtung freigegeben, abgerechnet der verbrauchte Betrag. Auch hier sind die Toiletten in Ordnung. Ich will gar nicht an den Vergleich mit deutschen Tankstellen denken…

 

Nach Abfahrt und neuer Zieleingabe ins Navi kurze Verwirrung. Das Navi zeigt als Ankunftszeit jetzt etwa 19:30 Uhr an, zwei Stunden mehr als vorher ermittelt. Irgendetwas stimmt nicht. Wir fahren erst mal los. Die Landschaft ändert sich wieder, wir fahren in ein langes Tal, das mit dramatischen Felsformationen beginnt, ich werde an das Höllental im Schwarzwald erinnert. Weiter oben weitet sich die Landschaft und See folgt auf See, umgeben von niedrigen Birkenwäldern, nahezu kein Haus weit und breit. Das ändert sich auch nicht für etwa zwei Stunden Fahrt. Je weiter nach Süden wir kommen (wir sind immer noch weit nördlich des Polarkreises), umso höher werden die Bäume, immer noch hauptsächlich Birken. Ohne dass sich die Grundstruktur der Landschaft ändert, wird es immer waldiger, so dass wir uns schließlich in der finnisch geprägten Waldlandschaft wiederfinden. Hier etwa verläuft auch die südliche Grenze des saamischen Siedlungsgebiets. Schließlich überqueren wir wieder die norwegisch-finnische Grenze. Fast die ganze Zeit über fahren wir an einem Fluss entlang, der wohl auch teilweise Grenzfluss ist.

 

Wir machen bei einem Trucker-Café Fahrerwechsel, nicht ohne einen Café zu uns zu nehmen. In Finnland schließlich ist die Landschaft weniger spannend, da es quasi ausschließlich durch Wald, ganz selten durch landwirtschaftliche Flächen geht. Aber es gibt noch etwas spannendes. Unsere Tour verläuft über ca. 30 km über eine kleine Nebenstraße, in unserer Kategorisierung wohl eine Kreisstraße. Wie sich herausstellt, ist diese nicht asphaltiert, würde in Deutschland also eher als Waldweg durchgehen. Die 30 km auf dieser Straße waren schon anspruchsvoll, da sich natürlich Schlaglöcher nicht vermeiden lassen. Diesen Typ öffentlicher Straße haben wir schon an anderer Stelle erlebt, aber nicht auf so langer Strecke. Schließlich erreichen wir einen wohl bekannten Skiort. Ab da ist die Straße wieder im Landes- oder Europastraßenstandard.

 

An einem weiteren Café machen wir wieder Pause, Fahrerwechsel und Kaffeegenuss. Diesmal scheint es ein richtiges Café zu sein, wir probieren den Kuchen, für den die Finnen ja berühmt zu sein scheinen. Stella nimmt Preiselbeercreme, ich Blaubeercreme. Beide erweisen sich als extrem lecker. Nicht nur der Geschmack, auch die Struktur überzeugt. Die sehr lockere Creme scheint aus wenig Sahne und Frischkäse (oder finnisch Viili) zu bestehen, auf einem Mürbeteigboden. Sehr lecker.

 

In der Zwischenzeit hat sich das Zeitproblem geklärt, mit dem Wiedereintritt in die finnische Sphäre und dem Vorstellen um eine Stunde war die Ankunftszeit des Systems plötzlich bei etwa 18:00 Uhr, so wie wir es mit den Pausen auch erwartet hatten. Wir parken direkt vor der Unterkunft, die sich wie erwartet als nostalgische Einrichtung aus den 70er Jahren erweist. Zimmer im EG ist sauber und einfach, Rest auf dem Flur. Ich übernehme es jetzt, das Auto zurückzubringen. Der Bahnhof ist eigentlich nur um die Ecke, aber beim Versuch, eine Tankstelle anzufahren, verfranse ich mich und finde mich auf der Autobahn wieder. So muss ich eine größere Runde um Romaniemi herum fahren, wodurch ich immerhin beide Brücken nutzen kann. Schließlich erreiche ich den Bahnhof mit vollgetanktem Auto und stelle es pünktlich ab. Es ist kein Mitarbeiter des Mietunternehmens vor Ort, so dass ich, wie vereinbart, den Schlüssel in den Briefkasten werfe. Kurzer Rückmarsch zur Unterkunft, dann gehe ich mit Stella etwas essen. In der Fußgängerzone wimmelt es nur so von Ess- und Trinklokalen, so dass wir nach einigem Rauf- und Runterlaufen uns für die Care-Bar Zoomit entscheiden. Dort gibt es eine Charcutrie-Platte für mich und einen Kimtschieburger für Stella. Alles ist hier sehr gemütlich und natürlich mit zuvorkommender Bedienung. Als Bier gibt es hier Karhu, die wohl vorherrschende Biermarke, gehört inzwischen leider auch zu Carlsberg. Hier braut man wohl vornehmlich Lagerbier mit reichlich malzigem Geschmack. Nicht zu vergessen die leckeren IPA aus finnischer Provenienz.

 

 

Freitag, 22.7.2022

 

Heute ist als Highlight der Besuch bei Santa Claus angesagt. Zunächst frühstücken wir draußen bei einem lokalen Café, belegte Bagel und Latte macchiato. Normalerweise gibt es hier in Finnland klassischen Filterkaffee, aber in den gesonderten Cafés gibt es auch die ganze uns bekannte Palette. Die Fahrt mit dem öffentlichen Bus kostet etwa so viel wie bei uns, wir sehen schöne Einfamilienhausgebiete mit vornehmlich einstöckigen Häusern mit viel Grün drumherum, das wäre etwas für Corinna, aber natürlich in Bonn (was es nun mal nicht gibt). Beim Santa Claus-Village müssen wir uns erst mal orientieren. Rund um den eigentlichen Sitz von Santa sind eine Reihe von touristischen Einrichtungen entstanden, die dazu geführt haben, dass eine Karte angefertigt werden musste, die auch schon schwer zu studieren ist. Wir identifizieren schließlich das eigentliche Santa Claus-Village und passieren erst mal einige Verkaufseinrichtungen. Danach sind wir in dem großen Hof wo aus einem großen Lautsprecherturm Weihnachtsmusik ertönt. Als erstes überqueren wir den Polarkreis, der mitten über den Hof läuft und durch malerische Laternen markiert ist. Die Linie im Boden ist mehrsprachig angelegt. Wenn ich die Karte richtig gelesen habe, sitzt auch der Weihnachtsmann genau auf dem Polarkreis. In dem Moment, wo wir hier aufkreuzen, haben wir den Polarkreis schon zweimal in Richtung Norden und einmal in Richtung Süden passiert, aber natürlich nicht so malerisch wie hier. Schließlich begeben wir uns zum Weihnachtsmann. Auch hier passiert man zunächst Räume, wo man etwas kaufen kann. Dann wird es aber wichtelmäßig. Durch geschlossene Türen kann man über Türspione die Wichtel beim Geschenkepacken beobachten. Eine riesige Zeitmaschine steht bereit, damit der Weihnachtsmann immer rechtszeitig zu Weihnachten ankommt. Nachdem wir den ersten Stock erreicht haben, müssen wir dann doch in einer kleinen Schlange warten, vor uns sind etwa vier kleine Gruppen. Eine schön-nette Wichtelfrau spricht immer mit der ersten wartenden Gruppe. Sie sammelt Informationen für den Weihnachtsmann, vor allem, woher man kommt und welche Sprache wohl angemessen ist. Als wir dann dran sind, kommen wir in den Raum des Weihnachtsmanns. Wir legen unser Gepäck ab und bekommen eine Bank neben dem Weihnachtsmann zugewiesen. Corona-bedingt gibt es jetzt eine Scheibe zwischen Besuchern und Weihnachtsmann, auch göttliche Vertreter müssen geschützt werden. Freundlicherweise kann der Weihnachtsmann deutsch, wir plaudern etwas über Finnland, warum wir hier sind und schließlich stellt der Weihnachtmann die entscheidende Frage, was wir uns denn zu Weihnachten wünschen. Darauf sind wir komischerweise nicht vorbereitet. Nach etwas Überlegen sagen wir beide einen Wunsch, den er jeweils freundlich und kommentarlos entgegennimmt. Während des ganzen Gesprächs macht die Foto-Wichtel-Frau Fotos. Die können wir später über einen Code im Internet für 45,0 € herunterladen, einen Ausdruck könnte man direkt unten im Geschäft bekommen, der kostet 35 €. Wir werden mit dem Wunsch entlassen, dass wir bestimmt noch mal nach Finnland kommen und dann den Weihnachtsmann einmal im Winter besuchen.

 

Das Ganze läuft gut, geräuschlos und schön inszeniert ab. Mich begeistert vor allem, dass der eigentliche Weihnachtsmannbesuch nichts kostet, er ist also für tatsächlich jeden machbar, der den Weg hierhin findet. Man muss natürlich angesichts der darum gruppierten Versuchungen stark sein. Nach einem kleinen Rundgang im Park (Husky-Farm kostet 30 € pro Nase, machen wir nicht) nehmen wir noch einen Snack ein. Hier gibt es Quiche mit Rentierfleisch. Kann man essen, ist etwas würziger als unser Hirsch. Kaffee ist sogar hier mit 2 € sehr billig.

 

Als nächstes steht das Arktikum auf dem Programm. In den Führern wird es als sehr sehenswertes Museum beschrieben, so dass wir dahin müssen. Zuerst kommen wir gar nicht rein, weil gerade ein Feuerwehreinsatz ist. Offensichtlich hat die Notrufautomatik einen Notruf geschickt. Die Feuerwehr hat aber keine Ursache gefunden und war damit beschäftigt, die Technik wieder auf „0“ zu stellen. Wir trinken noch eine Limonade und warten. Schließlich dürfen wir rein. Das Gebäude hat eine lange durchgehende Glashalle mit Blick auf das Wasser, links und rechts sind die Ausstellungsräume. Die Glashalle hat sich bei dem Sonnenschein schon schön aufgeheizt, hier hilft offensichtlich auch installierte Technik nichts. Links wird über die Arktis mit ihren klimatischen Besonderheiten, Flora und Fauna und über die Bedrohung durch Verschmutzung, Erwärmung etc. informiert. Es gibt viele Mitmachstationen, so dass die Ausstellung sicher toll für Kinder und Familien ist. Ich finde die Simulation der Schneeflocken interessant, die in Abhängigkeit von der Temperatur und der Wassermenge unterschiedliche Kristallisationsstrukturen und Größen annehmen kann. Es gibt auch einen schönen Film über die Polarlichter.

 

Rechts ist vor allem der Saami-Kultur und ihrer Geschichte gewidmet. Es geht zurück bis in die Steinzeit, einen Teil der Informationen kenne ich schon aus Inari, hier ist es allerdings größer angelegt, es kommen auch Informationen über die Eskimos und anderen nordindogenen Bevölkerungsgruppen zur Sprache. Alles ist sehr informativ, wenn man bereit ist, zu lesen. Im Arktic-Teil ist übrigens alles auch in Englisch, im Saami-Teil auch in Deutsch dargestellt. Auch hier wird die Geschichte der Kriege des 20. Jh. ausführlich dargestellt. Im Gedächtnis der Saamen ist wohl vor allem die Vertreibung aus den russisch annektierten Gebieten verankert. Darüber hinaus ist in Rovaniemi die vollständige Zerstörung durch die Deutschen wichtig, die beim Rückzug vor den vorrückenden finnischen Truppen die Politik der verbrannten Erde verfolgten und viele Städte und Dörfer abbrannten. Hier gibt es zwei große Stadtdioramen, eins zeigt die Situation 1939 und eins nach dem Brand 1944. Aus deutscher Sicht ist nachvollziehbar, dass man sich verraten fühlte, hatte man doch vorher noch die Finnen gegen die Russen unterstützt und ein entsprechendes Abkommen geschlossen. Es bleibt, dass Rovaniemi nach dem Krieg vollständig neu aufgebaut werden musste. So sieht es auch aus. Die Stadt ist keine Schönheit, funktioniert aber wohl ganz gut. Nicht nachvollziehbar ist aus heutiger Sicht, dass aus der Lage am Wasser städtebaulich nichts gemacht wurde. Die Stadt ist nicht hierhin orientiert. Vor dem Krieg diente das Wasser hauptsächlich als Transportweg für den Holzexport. Rovaniemi wird übrigens häufig als Hauptstadt Lapplands bezeichnet, liegt jedoch tatsächlich außerhalb des eigentlichen Saamen-Siedlungsgebietes. Man muss aber berücksichtigen, dass auch in Lappland die Saamen inzwischen eine deutliche Minderheit sind. Das saamische Parlament tagt in Inari. Verwaltungstechnisch ist die Bezeichnung richtig, weil hier die Verwaltung der Region Lappland angesiedelt ist. Rovaniemi ist übrigens von der Fläche her die größte Stadt Europas, allerdings mit entsprechend niedriger Siedlungsdichte.

 

Das Highlight für Stella ist der ausgestellte lebensgroße Elch, der wirklich etwa 3m hoch ist und etwa doppelt so groß wie ein Rentier und deutlich größer als unsere Hirsche ist. Hier machen wir ein paar Fotos. Neben dem Elch werden auch die anderen Tiere erläutert und gezeigt, so muss bis vor kurzem noch die Robbenjagt bei den Saamen üblich gewesen sein. Inzwischen sind die Robben vollständig geschützt, Ausnahmeregelungen sind möglich.

 

Zurück in der Stadt trennen wir uns, Stella macht einen Nachmittagsschlaf, ich setze mich in ein Café und schreibe etwas an meinem Text. Dabei esse ich einen Kuchen mit „salted Caramel“. Wir treffen uns anschließend zum Abendessen und entscheiden uns für mexikanisch orientierte Cross-Over-Küche. Es gibt Lachs mit Shrimps und Mangosauce sowie Kartoffeln in Schale gebacken. Überhaupt fällt auf, dass auch in der kleinen Stadt Rovaniemi nahezu alle uns bekannten ausländischen Restaurants, also Italiener, Thailänder, Inder, Japaner, Franzosen, Mexikaner vertreten sind. Das teuerste Restaurant am Platz ist allerdings der einheimischen Küche gewidmet, hier kann man allerdings nicht draußen sitzen, so dass das allein schon deswegen nicht in Frage kommt. Nach dem Essen wechseln wir zu der uns schon aus dem Vorabend bekannten Bar und trinken noch etwas. Wir beobachten die Leute und diskutieren über Stile der Kleidung und der Haare. Stella fällt wieder auf, dass viele junge Finninnen sich die Haare blond färben, obwohl sie teilweise schon blond sind. Es gibt wohl so etwas wie skandinavisch-Blond, was von Natur her aber kaum Eine aufweist. Darüber hinaus kann man über knappe Oberteile, löchrige Hosen und bunte Kleider diskutieren. Im Laufe des Abends wird das Publikum im Mittel immer jünger, wir gehen dann so gegen halb 10. Am nächsten Eisstand ist es dann soweit, wir müssen ja noch ein finnisches Eis essen. Ich traue mich zum Lakritz-Eis neben anderen Sorten. Es ist sehr lecker, es schmeckt gar nicht so nach Salmiak, sondern sehr abgerundet. Kann man also machen. Vier kleine Kugeln in einer großen Waffel kosten 4,5 €. Tatsächlich ist tagsüber bei diesem warmen Wetter das Straßenbild von Eis-essenden Menschen geprägt. Dabei ist zu beachten, dass Rovaniemi keine Touristenstadt ist. Die Touristen bewegen sich vor allem im Weihnachtsmanndorf und den umliegenden Einrichtungen, das aber außerhalb der Stadt liegt. Im Museum waren wenige ausländische Gäste. Schließlich suchen wir noch für morgen die Bushaltestelle, die wir zunächst nicht finden. Ich gehe später noch mal los um sie zu entdecken, man hat hier auf ein Abfahrtstableau verzichtet und nur ein kleines Busschild angebracht. Man muss sich also schon ziemlich auskennen.

 

 

Samstag, 23.7.2022

 

Wir frühstücken wieder im gleichen Café wie gestern, es ist das einzige, das schon um 9:00 Uhr am Samstag aufmacht. Danach in der Unterkunft noch etwas abgehangen und pünktlich um 11:00 Uhr ausgecheckt, in dem die Schlüssel in eine Schale gelegt werden. Wir gehen nun doch zum Busbahnhof, wo wir dann noch etwas auf den Bus warten. Dieser kommt dann um etwa 11:30 Uhr. Es ist der Bus, der von Rovaniemi zum Nordkap fährt. Überhaupt ist hier oben wohl das Busnetz, gemessen an der geringen Siedlungsdichte, gut. In 10 Minuten sind wir am Flughafen, wo wir zunächst digital einchecken, dann das Gepäck aufgeben, schnell durch die Sicherheitskontrolle. Hier prüft man die Klingenlänge meines Taschenmessers, aber ich bin damit ja schon durch einige Kontrollen gekommen. Dann noch etwas gegessen bzw. getrunken und schon geht es los, es ist das gleiche Flugzeug, bzw. die gleiche Crew, mit der wir von Düsseldorf nach Helsinki geflogen sind. Offensichtlich setzt Finnair die Teams auf mehreren hintereinander liegenden Strecken ein, unser Flugzeug fliegt in Helsinki weiter nach München. Daher steigen wir in das Nachbarflugzeug in Helsinki (von Gate 29 nach Gate 28) um. Alles läuft unproblematisch, allerdings ist nun das erste mal in Finnland, dass wir eine Verspätung von etwa 10 min angezeigt bekommen. Wir sind aber pünktlich in Düsseldorf. Dort ist der Flughafen etwas sauberer als beim Abflug, die Gepäckabfertigung ist für Düsseldorfer Verhältnisse normal, alles klappt. Corinna und Arsen holen uns ab, wir fahren in Köln vorbei, laden die jungen Leute aus und sind dann gegen 20:00 Uhr in Aachen, wo wir noch beim Vietnamesen in Richterich essen, so dass Ankunft zu Hause erst gegen 22:30 Uhr ist.

 

 

Fine

 

   

 

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