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Alte Bäume erzählen

 

Nicht nur der einsame Baum, bzw. „Dorflandschaft bei Morgenbeleuchtung“, den Caspar David Friedrich im Jahr 1822 fertig gestellt hat, erzählt. Alte Bäume haben immer dem etwas zu erzählen, der sich mit dem Erzählgut ihres Standorts etwas auskennt. Über die verschiedenen Interpretationsansätze zu dem Friederich’schen Bild will ich mich nicht weiter auslassen. Hinsichtlich des Baums, einer Eiche, kann zumindest vom natürlichen Standpunkt aus gesagt werden, dass der Baum alt ist und schon viele Krisen erlebt haben muss. Wäre das nicht der Fall, wäre die Krone geschlossener und auch ausladender. Hier haben wir es nur mit einzelnen lebenden Austrieben zu tun. Die Spitze ist klar tot, so dass ein Größenwachstum schon nicht mehr möglich ist. Die Krisen können seine direkte Umwelt verursacht haben, in Frage käme hier Krieg, Brandrodung, Baumfraß in frühen Jahren, Holzfrefel. Es könnte aber auch, querinterpretiert, auf die menschlichen Krisen aus ähnlichen Gründen Bezug genommen werden. Dass Friedrich das mit gemeint hat, davon bin ich fest überzeugt.

 

Vor diesem Hintergrund habe ich die Baum-Methusalems oberhalb von Oggiogno oberhalb von Cannero Riviera wahrgenommen. Es sind auf engem Raum ca. 20 alte Kastanien, deren Zustand von fast schon nicht mehr da über umgestürzt bis hin zu alter Baumhülle noch vorhanden, die jedoch an einzelnen Stelle wieder austreibt, wechselt. Da die Bäume häufig innen hohl sind, ist von einem Alter deutlich über 100 Jahren auszugehen, Kastanien werden bis zu 1.000 Jahre alt, selten auch mehr. Wenn der Kastanienanbau in Oggiogno vor ca. 100 Jahren geendet hat, müssen die Bäume mindestens ca. 150 Jahre alt sein, sind aber wahrscheinlich deutlich älter. Oggiogno wurde schon im Jahr 985 erwähnt. Bis vor gut 100 Jahren wurden dort Kastanien, Hanf, Oliven, Wein und andere Früchte angebaut und vermarktet. Inzwischen hat die meisten Flächen der Wald erobert, sofern sie nicht dem Tourismus dienen. Die Kastanien-Methusalems sind noch da und erzählen von der kultivierten Vergangenheit. Immer wieder überrascht, mit welcher Kraft dann doch neue Triebe aus den Ruinen wachsen. Ich finde, das gibt Hoffnung.

 

 

 

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